Vom Atem zur Achtsamkeit: Warum Meditation unser Leben verändert

Meditation: Mehr als stilles Verharren im Lotussitz
Lotussitz und Räucherstäbchen: Das stellen sich viele Menschen unter Meditation vor. Dr. Ulrich Tran vom Institut für Psychologie der Kognition, Emotion und Methoden an der Uni Wien schmunzelt: „Ein Klischee – aber so weit entfernt ist es von der Praxis gar nicht. Die Sitzmeditation ist ein zentraler Bestandteil vieler Methoden.“ Meditation beschreibt er so: „Im Kern geht es darum, sich mit inneren und äußeren Reizen zu beschäftigen, sie wahrzunehmen, ohne an ihnen festzuhalten und dadurch zu mehr innerer Klarheit zu kommen.“ Man spürt den Atem, beobachtet Gedanken, lässt sie wieder gehen. Manche Übungen fokussieren auf Körperempfindungen, andere auf Mantras, manche arbeiten mit Visualisierungen. „Es gibt mehr als 50 verschiedene Techniken, die wissenschaftlich beschrieben wurden. Was sie verbindet, ist die bewusste Lenkung von Aufmerksamkeit.“
Anstieg der Thetawellen
Achtsamkeitstrainer Klaus Kirchmayr findet hier das Wort „geistesgegenwärtig“ passend. Achtsamkeit – jene Form der Meditation, bei der die bewusste Wahrnehmung des gegenwärtigen Moments geübt wird – bedeutet, immer wieder im Jetzt anzukommen. Nicht in der Zukunft, nicht in der Vergangenheit, sondern im gegenwärtigen Moment. Heißt: jetzt sehen, hören, schmecken, fühlen.“ Jon Kabat-Zinn, Erfinder der Achtsamkeitsbasierten Stressreduktion MBSR, beschreibt Achtsamkeit als „eine bestimmte Form der Aufmerksamkeit: bewusst, im gegenwärtigen Moment und ohne zu urteilen“. Wissenschaftlich betrachtet, zeigt sich dabei oft ein Anstieg von Thetawellen – eine langsame Hirnaktivität, die für Entspannung und für Lern- und Gedächtnisprozesse wichtig ist. Für Kabat-Zinn ist Meditation eine Superkraft, wie er in einem Interview mit der „Zeit“ betonte. Dabei gehe es nicht darum, Gedanken zu stoppen, sondern sie zu bemerken – mit einer Haltung von Neugier und Freundlichkeit. Laut Kirchmayr lassen sich drei Grundformen unterscheiden: fokussierte Aufmerksamkeit, etwa auf den Atem, zur Schulung der Konzentration. Offenes Gewahrsein, bei dem alles, was auftaucht, wahrgenommen wird. Sowie die Mitgefühlsmeditation, in der wohlwollende Haltungen gegenüber sich selbst und anderen kultiviert werden. Daneben gibt es weitere Techniken – von der Mantra-Meditation über Yoga bis zur Gehmeditation. „Das ist für Einsteiger oft verwirrend“, sagt Tran. Er rät: „Wer mit dem Meditieren anfangen will, sollte sich etwas suchen, das keine großen Versprechungen macht und seriös begleitet wird.“
Was sagt die Wissenschaft?
Am besten erforscht ist MBSR, als achtwöchiges Programm mit Meditation, Achtsamkeit im Alltag und Gruppenaustausch. „In der medizinischen Datenbank PubMed finden sich über 2000 Studien dazu“, sagt Kirchmayr. Und: „Es gibt klare Belege für die Wirksamkeit bei Stress, Emotionsregulation, Schlafstörungen und chronischen Schmerzen.“ Tran bestätigt: „Kurse mit klarer Struktur wie MBSR zeigen ähnliche Effekte wie kognitive Verhaltenstherapie. Der Vorteil: Sie sind leicht zugänglich, gut im Alltag anwendbar und besonders hilfreich bei Depression, Angstzuständen und chronischem Stress. Welche Methode welchen Effekt hat, ist wissenschaftlich aber noch nicht eindeutig geklärt“, so Tran. Zudem sei Meditation kein geschützter Begriff. „In der Welt da draußen wird vieles als Meditation verkauft, was wenig mit achtsamkeitsbasierter Praxis zu tun hat“, sagt Tran. Wichtig wäre, sich nicht von Hochglanz-Versprechen blenden zu lassen. Eine Meta-Analyse unter Beteiligung von Tran zeigt: Der positive Einfluss von Meditation könnte mit einer Verringerung von Neurotizismus zu tun haben: der Tendenz zu emotionaler Instabilität und starker Reaktion auf Stress. Einfacher formuliert: Meditation macht emotional robuster und resilient.
Kein Allheilmittel
Was sie laut beiden Experten nicht ist: ein Allheilmittel. „Meditation ist keine Wunderpille, sondern ein Prozess“, sagt Kirchmayr. Wer erwartet, nach wenigen Sitzungen gelassener zu sein, wird oft enttäuscht. Im Gegenteil: „Viele erleben am Anfang mehr Unruhe. Das ist ein gutes Zeichen. Die Wahrnehmung wird geschärft.“ Gleichzeitig birgt Meditation auch Risiken. Gerade bei traumatisierten Menschen können bestimmte Übungen triggern. „Auch Halluzinationen sind möglich“, so Tran. Deshalb sei professionelle Begleitung wichtig, denn wenn verdrängte Erlebnisse auftauchen, braucht es einen sicheren Rahmen. Meditation kann Konfrontation bedeuten, aber sie kann auch helfen, alte Erfahrungen einzuordnen, ohne sich damit zu identifizieren. Wer mit dem Meditieren beginnen möchte, braucht keine App und kein Luxusretreat. „Sie brauchen nur sich selbst, einen ruhigen Ort und vielleicht ein wenig Anleitung“, so Tran. Dann heißt es üben, üben, üben. Kirchmayr: „Es reicht nicht, Meditation zu verstehen, sie muss gelebt werden. Wie beim Sport: Nur wer schwimmt, schwimmt.“ Sein persönliches Fazit nach Jahren der Praxis: „Ich bin ruhiger geworden, weniger reaktiv. Spüre schneller, wenn mir etwas zu viel wird. Achtsamkeit hat mein Leben nicht spektakulär, aber grundlegend verändert.“
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