Studie: Wovon wirklich abhängt, wann Babys laufen lernen

Die Bandbreite, wann Babys laufen lernen, ist groß.
- Studie der Universität Surrey zeigt, dass Gene etwa ein Viertel der Unterschiede beim Laufbeginn von Kindern erklären.
- Identifizierte genetische Marker sind mit Gehirnentwicklung und Bildungserfolg verknüpft, während Umweltfaktoren eine geringere Rolle spielen.
- Eltern sollten Kinder in sicherer Umgebung ermutigen und auf Lauflernhilfen verzichten, um die natürliche Entwicklung zu fördern.
Wann ein Baby seine ersten Schritte macht, ist für viele Eltern ein emotionaler Meilenstein – und laut einer neuen Studie maßgeblich genetisch bedingt. Wissenschaftler der Universität Surrey und internationaler Partnerinstitutionen haben herausgefunden, dass Gene etwa ein Viertel der Unterschiede im Alter erklären, in dem Kinder laufen lernen. Ihre Erkenntnisse wurden nun in der renommierten Fachzeitschrift Nature Human Behaviour veröffentlicht.
In der bislang größten genetischen Untersuchung zu diesem Thema analysierten die Forscherinnen und Forscher die Daten von über 70.000 Säuglingen. Dabei identifizierten sie elf genetische Marker, die den Zeitpunkt des Laufbeginns beeinflussen. "Dieser spannende Fortschritt gibt uns Einblick in die biologische Grundlage früher motorischer Entwicklung", erklärt Professorin Angelica Ronald, leitende Wissenschaftlerin der Studie.
Auch Gene spielen eine wichtige Rolle
Während bisher vor allem Umweltfaktoren wie Erziehung, Ernährung oder kulturelle Unterschiede im Fokus standen, zeigt diese Studie: Auch die Gene spielen eine wichtige Rolle. "Viele Eltern machen sich Sorgen, wenn ihr Kind früher oder später mit dem Laufen beginnt", sagt Studien-Mitautorin Anna Gui. "Unsere Ergebnisse zeigen, dass solche Unterschiede häufig ganz natürlich und genetisch bedingt sind."
Die Entdeckung hat weitreichende Bedeutung über das Laufen hinaus: Einige der identifizierten Gene stehen in Zusammenhang mit der Gehirnentwicklung – etwa mit der Faltung der Hirnrinde. Zudem fanden die Forscher Hinweise darauf, dass Kinder, die später zu laufen beginnen, ein geringeres genetisches Risiko für ADHS haben und tendenziell Gene tragen, die mit einem höheren Bildungserfolg assoziiert sind.

Eltern können das Laufenlernen unterstützen, etwa indem sie sie viel Freiraum für Bewegung anbieten.
Wann sollten sich Eltern Sorgen machen?
Die meisten Kinder lernen im Zeitraum von 8 bis 18 Monaten laufen – manchmal auch bis 24 Monaten, ohne dass es Anlass zur Sorge gibt. Ein Kinderarztbesuch ist aber sinnvoll, wenn:
Das Kind mit 18 Monaten noch nicht frei stehen oder laufen kann.
Es kaum Interesse an Bewegung zeigt (z. B. sich nicht hochzieht oder nicht robbt/krabbelt).
Es beim Stehen oder Gehen eine starke Asymmetrie zeigt (z. B. immer nur ein Bein belastet).
Der Muskeltonus auffällig wirkt: sehr schlaff oder sehr steif.
Das Kind zuvor gelernte motorische Fähigkeiten wieder verliert.
Wichtig ist: Frühgeborene entwickeln sich oft etwas langsamer – das muss bei der Beurteilung berücksichtigt werden.
Kinder beginnen in der Regel zwischen dem 8. und 18. Lebensmonat mit dem Laufen, wobei das Zeitfenster von 8 bis 24 Monaten als normal gilt. Es gibt also eine große Bandbreite, was völlig unbedenklich ist.
Kopf- und Rumpfkontrolle (ab 2–4 Monate):
Bevor Kinder laufen können, müssen sie ihren Körper kontrollieren lernen. Das beginnt mit dem Halten des Kopfes und der Rumpfstabilität.Drehen und Rollen (ab 4–6 Monate):
Babys beginnen, sich zu drehen und rollen sich vom Bauch auf den Rücken und umgekehrt – erste Mobilität.Sitzen ohne Hilfe (ab 6–8 Monate):
Sitzen fördert das Gleichgewicht und die Rumpfmuskulatur – wichtige Grundlagen fürs Stehen.Krabbeln oder andere Fortbewegung (ab 7–10 Monate):
Viele Babys krabbeln, manche robben oder rutschen auf dem Po – jede Form der Bewegung hilft, Muskeln aufzubauen.Hochziehen zum Stehen (ab 8–10 Monate):
Babys ziehen sich an Möbeln oder Menschen hoch und stehen kurzzeitig mit Festhalten.Stehen mit Unterstützung und Möbel-Wandern (ab 9–12 Monate):
Sie laufen an Möbeln entlang, lernen Gleichgewicht und Fußkoordination.Erste freie Schritte (meist zwischen 10–18 Monaten):
Zuerst wackelig, mit weit gespreizten Beinen und Armen zur Balance – das berühmte "Entenlaufen".Sicheres freies Gehen (ab 12–24 Monate):
Der Gang wird sicherer, flüssiger und selbstbewusster – ein großer Entwicklungsschritt.
Wichtig:
Nicht alle Kinder krabbeln – das ist normal.
Der Zeitpunkt ist kein Maßstab für Intelligenz oder spätere Fähigkeiten.
Früh oder spät zu laufen ist meist genetisch oder entwicklungsbedingt, nicht "trainierbar".
Wie Eltern das Laufenlernen unterstützen können
Eltern können das Laufenlernen ihres Kindes auf vielfältige Weise unterstützen, indem sie vor allem für ausreichend Freiraum sorgen. Viel Zeit auf dem Boden in einer sicheren Umgebung ist dabei entscheidender als das ständige Tragen oder der Einsatz von Lauflernhilfen.
Auch das Barfußlaufen oder das Tragen von rutschfesten Socken fördert den Gleichgewichtssinn und die Fußmuskulatur deutlich besser als feste Schuhe. Wichtig ist zudem, das Kind zu ermutigen, ohne es zu drängen. Eltern können sichere Haltepunkte wie Sofas oder niedrige Möbel anbieten, sollten dem Kind aber die Freiheit lassen, selbst den richtigen Moment für erste Schritte zu wählen.
Spielerisches Fördern, etwa durch das Rollen von Bällen, das Bauen kleiner Hindernisse aus Kissen oder das Locken mit Spielzeug, macht Bewegung interessant und motiviert zum Ausprobieren. Auf sogenannte "Gehfrei"-Geräte mit Rollen, auch Lauflernhilfen genannt, sollte hingegen verzichtet werden, da sie nicht nur ein erhöhtes Unfallrisiko bergen, sondern die natürliche motorische Entwicklung sogar verzögern können.
Mit ihrer Arbeit eröffnen die Forschenden neue Perspektiven auf die frühe Kindheitsentwicklung – und räumen mit überzogenen Erwartungen an kindliche Meilensteine auf.
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