Kronen für Milchzähne: Medizinisch sinnvoll oder bloß Geldmacherei?

Der Angst vorm Zahnarztsessel beugt man vor, indem man als Elternteil vorab positive Signale sendet.
Sie werden "Ritterzähne" oder "Prinzessinnenkrönchen" genannt. Gemeint sind Milchzahnkronen aus medizinischem Edelstahl für Kinder. "Stark zerstörte Milchzähne können damit oft gerettet werden", weiß Katrin Bekes, Leiterin des Fachbereichs Kinderzahnheilkunde an der MedUni Wien. Alternativ sind auch weiße Kronen verfügbar.
Die vorgefertigten Kronen werden direkt an die Milchbackenzähne angepasst. "Sie bleiben dann bestenfalls so lange in der Mundhöhle, bis der Zahn ausfällt", sagt die Vizepräsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Kinderzahnmedizin. Bei stark zerstörten Milchzähnen, die nicht mit Füllungen gerettet werden können, seien Kronen oft die letzte Möglichkeit, einen Zahn zu erhalten.
Doch ist das wirklich nötig?
Kauen bis Lautbildung
"Ja", sagt Bekes. Es müsse das oberste Ziel sein. "Immer wieder hört man: 'Das sind ja nur Milchzähne, die fallen sowieso aus'", kritisiert sie. Doch auch die ersten Zähnchen können Probleme und Schmerzen bereiten. Fast jedes zweite Kind im Alter von sechs Jahren hat hierzulande Karieserfahrung. Milchzähne erfüllen im Gebiss außerdem wichtige Funktionen: Die Backenzähne sind fürs gute Kauen zuständig, die vorderen spielen eine wichtige Rolle bei der Sprachentwicklung.
Jeder Milchzahn ist auch Platzhalter für einen bleibenden Zahn. "Der erste Zahn hält den Platz für den korrekten Durchbruch in der Zahnreihe frei" präzisiert Bekes, die auch Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Kinderzahnmedizin ist.
Ist ein Zahn stärker befallen, kann auch eine Wurzelbehandlung in Betracht gezogen werden. Muss er gezogen werden, bleibt eine Lücke. Bekes: "Im Backenzahnbereich können die Milchzähne dann aufeinander zuwandern. Der nachfolgende Zahn hat dann keinen Platz mehr." Spezielle Platzhaltersysteme – herausnehmbare oder komfortablere, festsitzende Lückenhalter – sollen Fehlstellungen verhindern.
Die aktuellsten Daten zur kindlichen Zahngesundheit in Österreich stammen aus dem Jahr 2016. Sie zeigen: Fast jedes zweite Kind im Alter von sechs Jahren hat Karieserfahrung. Im Durchschnitt zeigt dabei jeder Schulanfänger zwei von Karies befallene Zähne. In Wien ist es um die Zahngesundheit der Kleinsten am schlechtesten bestellt, am besten in Tirol.
Dabei spielt der sozioökonomische Status eine große Rolle. Familien mit geringem Bildungsgrad oder Migrationshintergrund brauchen meist öfter zahnärztliche Unterstützung.
Geschäft mit Kinderzähnen?
Milchzahnkronen, festsitzende Platzhalter und Wurzelbehandlungen: Kaum eine dieser Behandlungen im Milchgebiss wird – im Gegensatz zum Ziehen eines Milchzahnes – vollständig von der Krankenkasse bezahlt. Auch Zahnversiegelungen im Kindesalter – hier werden die Rillen der zerklüfteten und schwer zu reinigenden Oberfläche der bleibenden Backenzähne mit Kunststoff aufgefüllt und besser putzbar gemacht – werden nicht übernommen.
Für Laien muten solche Methoden mitunter übertrieben und nach Geldmacherei an. Laut Bekes ein Trugschluss: Schon früh in die zahnmedizinische Versorgung von Kindern zu investieren, lohne sich später. Allgemein sei man in Österreich bei der Finanzierung zu zaghaft. So werde etwa in Deutschland schon bei jüngeren Kindern in Prophylaxeprogramme investiert.
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In Österreich hat man derzeit ab dem 10. und bis zum vollendeten 18. Lebensjahr einmal jährlich Anspruch auf eine Zahnreinigung. Bei Kindern und Jugendlichen mit festsitzender Zahnspange sind sogar zwei kostenlose Mundhygiene-Sitzungen pro Jahr möglich. In Zahnarztpraxen werden freilich Prophylaxesitzungen als Privatleistung auch für die ganz Kleinen angeboten. Dabei werden sie spielerisch ans Zähneputzen herangeführt. "Wir würden uns wünschen, dass solche Programme viel früher von der Krankenkasse bezahlt werden", sagt Bekes, die sich für eine Verankerung zahnärztlicher Untersuchungen im künftigen Eltern-Kind-Pass ausspricht.
Dem schließt sich die ÖGK an und teilt auf Anfrage mit, dass "aktuelle Bemühungen im Gange" seien, Milchzahnkronen und Platzhalter "vollständig in das Leistungsportfolio zu integrieren". Man setze sich "dafür ein, dass die Zahngesundheit von Kindern und Jugendlichen bestmöglich unterstützt und gefördert wird".
Ab wann?
Zähneputzen – zweimal täglich – steht ab dem ersten Milchzahn am Programm.
Womit?
Ideal sind Kinderzahnbürsten mit kleinem Kopf und weichen Borsten. Auf die Zahnbürste kommt fluoridhaltige Zahnpasta – bis zum zweiten Lebensjahr (in Kombination mit der Gabe von Vitamin D innerhalb des ersten Jahres) eine reiskorngroße Menge, ab dem zweiten eine erbsengroße Menge. Zahnpasten mit Fluorid haben in zahlreichen Studien ihre weitreichende kariesvorbeugende Wirkung bewiesen.
Wie?
Für das Milchgebiss eignet sich die sogenannte KAI-Technik. Dabei werden Kauflächen, Außenflächen und Innenflächen nacheinander in Summe rund zwei Minuten lang geputzt. Zuerst übernehmen die Eltern das Brüsten. Ziel ist, dass die Kinder die Methode selbst erlernen.
Verweigerung
Eltern und größere Geschwister sind wichtige Vorbilder – auch bei der Mundhygiene. Am besten die ganze Familie putzt zumindest morgens zusammen die Zähne. Auch der Spaß sollte nicht zu kurz kommen. Dabei helfen lustige Lieder oder Videos, bunte oder – ab dem dritten Lebensjahr – auch elektrische Zahnbürsten. Wichtig ist, dass das Zähneputzen zur normalen Routine wird.
Angst
Der Angst vorm Zahnarztsessel beugt man vor, indem man als Elternteil positive Signale sendet und im Spiel die Neugier weckt. Etwa, indem man bei Stofftieren die Zähne zählt und putzt, oder sich mit einem Bilderbuch auf den Zahnarztbesuch. Sätze wie "Es tut nicht weh" sollten vermieden werden. Kinder hören die Verneinung nicht und denken automatisch an Schmerz.
Über Mundhygiene aufklären
Auch der schonende Umgang mit Kindern in der Praxis – eine zeitintensive Angelegenheit – werde laut Bekes von den Kassen nicht ausreichend vergütet. Viele Mütter und Väter wüssten zudem nicht, dass der erste Zahnarztbesuch schon im ersten Lebensjahr absolviert werden sollte. "Dabei geht es vor allem darum, aufzuklären und nützliche Tipps zu geben. Bei den folgenden Kontrollterminen soll eine vertrauensvolle Beziehung aufgebaut und Probleme frühzeitig erkannt werden", sagt Bekes
Egal wie ein kariöser Milchzahn behandelt wird: Wichtig ist laut Bekes, "dass man gemeinsam die Ursache – meist mangelnde Mundhygiene oder schlechte Ernährungsgewohnheiten – angeht".
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