Warum fühlt sich Intimität für mich mehr wie Pflicht als Spaß an?

Warum fühlt sich der Sex für mich mehr wie Pflicht als Spaß an?
Leserin Petra (36) fragt:
In letzter Zeit fühlt sich der Sex mit meinem Partner für mich immer öfter mehr wie eine Pflicht an. Ich merke, dass ich oft innerlich distanziert bin oder nur aus dem Gefühl heraus mitmache, um meinen Partner nicht zu enttäuschen. Das verunsichert mich – ich frage mich, ob das Problem bei mir liegt, bei ihm oder ob es etwas mit unserer Beziehung zu tun hat? Wie kann ich das herausfinden?
Dr. Leben antwortet:
Vielen Dank für Ihre Offenheit – schon Ihre Frage enthält einen wichtigen Hinweis: Sie spüren eine innere Distanz. Das bedeutet nicht, dass mit Ihnen „etwas nicht stimmt“, aber es bedeutet, dass Ihre Bedürfnisse in der Sexualität aktuell zu wenig Raum finden. Sie haben daran keine Schuld, aber eine wichtige Verantwortung: Ihrem Gefühl zu vertrauen – und ihm Gehör zu verschaffen.
Sexualität in Partnerschaften ist heute oft mit einem stillen Druck verbunden. Viele glauben: Wenn der Sex nachlässt, stimmt etwas nicht – oder die Beziehung ist gefährdet.
Dabei ist richtig: Eine Partnerschaft braucht Sexualität – sie ist notwendig, aber nicht hinreichend für eine gute Beziehung. Doch nicht jede Form von Sexualität erfüllt diesen Zweck. Entscheidend ist, dass sich beide Partner durch die Augen des anderen sexuell attraktiv erleben – und sich mit dem, was der andere an ihnen begehrt, identifizieren können.
In traditionellen Gesellschaften bestand die Funktion von Sexualität vor allem in Fortpflanzung, sozialer Absicherung und Rollenerfüllung. Beziehungen hielten oft auch ohne Lust – oder sogar ohne echte Nähe –, weil äußere Strukturen sie zusammenhielten. Seitdem Sexualität durch Verhütung vom „Muss zur Reproduktion“ befreit wurde, hat sich ihre Bedeutung tiefgreifend verändert: Sie ist heute emotional überfrachtet – mit Erwartungen an Lust, Intimität, Erfüllung, Gleichberechtigung und Dauer. Das ist ein hoher Anspruch – vor allem, wenn Stress, emotionale Unsicherheiten oder alte Verletzungen mitschwingen.
Dabei ist es völlig normal, dass sexuelles Verlangen eben einfach schwankt – und dass es durchaus Phasen gibt, in denen Nähe nicht automatisch Lust erzeugt. Was auf Dauer jedoch nicht funktioniert, ist: Sex aus Pflichtgefühl. Denn echte Intimität entsteht nicht durch Funktion, sondern durch Resonanz.
Emotionale BindungGerade Frauen brauchen oft emotionale Sicherheit, um sich sexuell öffnen zu können. Männer hingegen erleben emotionale Bindung häufig durch Sexualität. Hier entsteht eine gewisse Wechselwirkung: Wenn Männer Raum für die Emotionalität ihrer Partnerin schaffen, entsteht Nähe – und diese wiederum öffnet oft auch die Tür zur Sexualität. Aber nur, wenn es ehrlich geschieht, nicht aus Druck.
Sex, der aus Pflichtgefühl geschieht, schmerzt auf Dauer beide Seiten. Kaum ein Mann möchte mit einer Frau schlafen, die es „nur ihm zuliebe“ tut – und keine Frau möchte sich emotional verschließen, nur um irgendwie eine Erwartung zu erfüllen. Wenn Nähe zur Routine wird und Verbindung fehlt, ist kein Argument der Welt stark genug, um echte Lust zu ersetzen.
Es lohnt sich deshalb unbedingt, mit Ihrem Partner offen zu sprechen – nicht nur über Sex, sondern eben auch über das, was dahinterliegt: Wünschen Sie sich mehr emotionale Nähe? Mehr Zärtlichkeit? Freiheit, sich sinnlich zu fühlen, ohne sofort verfügbar sein zu müssen? Viele Männer empfinden es als befreiend, wenn sie hören, dass ihre Partnerin sich nur dann öffnet, wenn es ihr wirklich gut geht – nicht nur ihm.
Sollte Ihr Partner darauf nicht eingehen oder sogar Druck aufbauen, wäre das ein Warnsignal.
In manchen Beziehungen entsteht ein sogenanntes Traumabonding – eine emotionale Bindung, die nicht auf gesunder Nähe, sondern auf wiederholtem Stress, Verunsicherung und anschließendem Trost beruht. Dieses Wechselspiel aus Zurückweisung und Zuwendung kann Betroffene in destruktiven Beziehungen halten – selbst wenn sie erkennen, dass sie ihnen nicht guttun. Ein bekanntes Beispiel dafür ist das Stockholm-Syndrom, bei dem Menschen eine emotionale Bindung zu jemandem aufbauen, der ihnen Schaden zufügt – aus dem tiefen Wunsch heraus, Beziehung aufrechtzuerhalten, koste es was es wolle.
Aus allen Zuschriften wählt die Redaktion drei Fragen aus, die "Dr. Leben" in der nächsten Ausgabe des KURIER leben Magazin beantwortet. Und auch auf kurier.at erscheinen. Die Daten bleiben im KURIER und werden nicht an Dritte weitergegeben.
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