Wie Improtheater hilft, das eigene Leben spielend zu verändern

Ein bisschen träumen ist erwünscht – immer. Davon, was im Leben anders und besser laufen könnte, vom „idealen Leben“, von einem idealen Tag. Oder davon, wie es wäre, herausfordernde Situationen auf neue Art zu meistern. Und was würde passieren, bekämen bestimmte Persönlichkeitsanteile eine neue, authentische Stimme, während die inneren Kritiker leiser werden?
Ein Seminarraum im Herzen Wiens und eine Gruppe Frauen und Männer, die sich hier für den Wochenend-Workshop „Impro für das Leben“ eingefunden hat. Unter der Leitung von Schauspielcoach Corinna Lenneis wollen sie versuchen, mit Improvisationstheater etwas anders zu machen als bisher. Etwa authentischer zu werden, um schwierige Situationen zu meistern oder beruflich mehr in ihrer Kraft zu sein. Bei den meisten geht es um Veränderungswünsche. Markus strebt einen Jobwechsel an: „Ich bin hier, um im Bewerbungsgespräch echter und lockerer zu wirken. Das fällt mir sehr schwer.“ Miriam sehnt sich nach mehr Lebensfreude. Carola möchte eine Situation, die sie belastet, in einem sicheren Raum üben, ebenso wie ein „schwieriges Gespräch“, das sie führen muss. Andere sind da, um „Leben zu spielen“. Wie Johannes , der „kreativ sein, sich zeigen, in reale Lebensgeschichten eintauchen, sie erspüren und ein Teil von ihnen werden“ möchte. Daniel will einfach nur neue Seiten an sich entdecken.
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Spontan, ohne Vorgabe
Improvisationstheater ist eine Form des Theaters, bei der die Darsteller spontan Szenen und Dialoge entwickeln, ohne Skript. Man betritt die „Bühne“, um aus dem Moment heraus etwas zu erschaffen. Im Workshop „Impro fürs Leben“ sind das oft Aspekte der eigenen Geschichte, neu erzählt und schließlich anders erlebt. Wahrhaftigkeit spielt eine zentrale Rolle: „Weil es vor allem darum geht, zu schauen, wer und wie ich bin“, sagt Lenneis, die dieses Format auch als angehende Lebensberaterin entwickelt hat, um Menschen in ihren authentischen Ausdruck zurückzuführen. „Was oft schwierig ist, weil von der Gesellschaft meist suggeriert wird, man solle anders sein“, sagt sie.
Und so sitzt Markus nun Agnes gegenüber, die ihn in ihrer Rolle als Personalchefin interviewt. Während er mit unterschiedlichen Möglichkeiten experimentiert und ausloten kann, was in ihm steckt. Später taucht Carola mit anderen Mitspielern in die Szenen ihres Lebens ein. Das „Spiel“ nimmt seinen Lauf, die anderen schauen zu, am Ende des Spiels ist Feedback erlaubt. Nicht nur: Auch Input in Form alternativer „Handlungsanleitungen“, gerne in Form eines Rollentauschs: „Darf ich dich mal spielen?“ Markus kann nun sehen, wie jemand an seiner Stelle agieren würde – und dabei neue Möglichkeiten entdecken.

Schauspielcoach Corinna Lenneis
Grenzen sprengen
„In der Rolle können wir oft Grenzen sprengen oder Hürden überwinden – was sich auf das echte Leben übertragen und Veränderungen anstoßen kann“, so Lenneis. Teilnehmer begegnen einander einfühlsam und lassen sich auf die Geschichten anderer ein. „Man fühlt sich angenommen und gesehen, was den eigenen Mut wachsen lässt“, sagt Miriam. Die Facetten der Möglichkeiten erweitern sich, starre Haltungen werden aufgelöst. Scheitern ist erwünscht, als wesentlicher Teil des Prozesses.
Einige Wochen später erzählen ein paar Teilnehmer, wie es ihnen geht. Markus erlebt sich lockerer: „Manch innerliche Mauer ist eingerissen“. Martina denkt gerne an die Impro-Aufwärmübung „Der ideale Tag“, die sie in ihren Alltag einbaut, um den freudigsten Tag ihres Lebens zu visionieren. Daniel begleitet das Gefühl, „urteilsfrei aus sich herausgehen zu können und neue Seiten an sich zu entdecken.“ Carola ist es gelungen, ihr schwieriges Gespräch in der Realität zu führen: „einfacher als gedacht, weil ich mir den Konflikt so erspielen konnte, dass es sich für mich gut anfühlt“. Sie hat mitgenommen, dass sie ihr Leben so gestalten kann, wie sie es will. Und für Miriam ist das Leben wieder „bunt und strahlend wie ein Blumenstrauß“.
Übung und Gedankenexperiment: "Mein idealer Tag"
Eine imaginative und alltagstaugliche Aufwärmübung, um für das eigene Leben zu improvisieren.
Impro für das Leben bedeutet auch: „das Leben proben“ – das kann freudvoll sein und Spaß machen. Mit der Übung „Mein idealer Tag“ ist es auch im Alltag möglich, sich einen besonders schönen Tagesablauf vorzustellen. So wie man es sich in seinen kühnsten Träumen ausmalt.
Die Frage, die sich stellt: Wie würden 12 Stunden des eigenen Lebens aussehen, wenn sie einfach nur schön, freudvoll und inspirierend wären? Um sich das gut vorzustellen, kann man sich mit geschlossenen Augen hinsetzen, hinlegen oder sich im Raum bewegen. Man beginnt mit morgens, fünf Uhr früh, zu imaginieren: Was würde ich jetzt am liebsten tun? Schlafen? Meditieren? In einem See schwimmen oder vielleicht Morgensex mit einem besonderen Partner haben? Alles ist möglich.
Dann geht es Stunde für Stunde weiter, wobei es auch wichtig ist, sich den Ort genau vorzustellen, an dem all das passiert. Und die Menschen, denen man im Laufe so eines Tages begegnet – oder eben nicht. „Es geht wirklich darum, jede Stunde eine Handlung zu imaginieren. Und gut darauf zu schauen, was an so einem Tag wirklich wichtig wäre und Freude machen würde, ohne den Anspruch zu haben, alles sofort umsetzen zu können“, sagt Schauspielcoach Corinna Lenneis. Diese Übung kann sehr gut verdeutlichen, was für einen Menschen essenziell und wirklich wichtig ist.
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