HPV: "Mit zwei Nadelstichen Krebs verhindern"

Junger Bub wird geimpft
Weltweit entstehen pro Jahr beinahe 700.000 durch HPV verursachte Krebsarten. Seit 2006 gibt es einen wirksamen Impfstoff. Dieser wurde vom Österreicher Reinhard Kirnbauer entwickelt. Jetzt wird der Forscher für sein Lebenswerk ausgezeichnet.

Es ist kompliziert. Aber auch nicht anders zu erwarten, wenn man mit dem Entwickler des HPV-Impfstoffs spricht. Dann ist die Rede von Zellkulturen und leeren Virushüllen. Reinhard Kirnberger, Wissenschafter, Immunologe, Österreicher, hat in langjähriger Forschung das Serum entwickelt, das direkt gegen Krebs, der durch Humane Papillomviren (HPV) verursacht wird, schützt. 

2006 und 2007 wurden die ersten Impfstoffe von der Europäischen Kommission zugelassen, auch in Österreich. Das kostenlose Impfprogramm für Mädchen und Burschen wurde hierzulande dennoch erst im Jahr 2014 eingeführt. Zu diesem Zeitpunkt lag Australien bereits bei einer Durchimpfungsrate von 90 Prozent bei jungen Mädchen.

30-jährige Pionierarbeit wird geehrt

Für seine 30-jährige Pionierarbeit auf dem Gebiet der Entwicklung prophylaktischer Impfstoffe gegen HPV wird der Österreicher nun mit dem "Lifetime Achievement Award" des Comprehensive Cancer Center (CCC) der MedUni Wien und des AKH Wien geehrt. Im Interview mit dem KURIER erzählt er, wie es ihm gelungen ist den Impfstoff zu entwickeln und was es braucht, das angestrebte Ziel einer Durchimpfungsrate von 70 Prozent bis 2030 zu erreichen.  

KURIER: Herr Prof. Kirnbauer, Sie haben gemeinsam mit Prof. Elmar Joura den CCC Lifetime Achievement Award für Ihre Leistungen in der Entwicklung und Verbreitung der HPV-Impfung erhalten. Was bedeutet Ihnen dieser Preis?

Reinhard Kirnberger: Ich wurde auch schon im Herbst 2024 mit dem Maurice Hilleman Award der Internationalen Papillomavirus Society ausgezeichnet. Der Lifetime Achievement Award des CCC ist aber nochmal ganz besonders und bedeutet mir außerordentlich viel, weil es die Anerkennung durch meine Kolleginnen und Kollegen an der Medizinischen Universität Wien widerspiegelt.

Dr. Reinhard Kirnbauer

Reinhard Kirnbauer, Leiter des Labors für virale Onkologie, MedUni Wien.

Verdienterweise, meine ich. Wie sind Sie ursprünglich zur Forschung an Papillomviren gekommen? 

Mein erster Laborchef an der Dermatologie der damaligen Medizinischen Fakultät der Universität Wien hatte persönliche Verbindungen zu Forschern an den National Institutes of Health in den USA. Ich habe mich dort um einen Forschungsplatz beworben und habe ein Schrödinger Stipendium beim Österreichischen Wissenschaftsfonds für die Finanzierung dieses Aufenthalts erhalten. Das war sozusagen der Beginn. 

Was hat Sie motiviert, an einem Impfstoff zu arbeiten, an den sich zuvor noch niemand gewagt hat und was waren die größten Herausforderungen? 

Das primäre Ziel meines Forschungsprojekts war, einen Rezeptor an der Oberfläche der Zelle zu finden, an den die HP-Viren andocken, um diese zu infizieren. Gereizt haben mich dabei gleich mehrere Herausforderungen, die wiederum mit bestimmten Eigenschaften der Papillomviren zusammenhängen. Eine der größten in der Papillomvirusforschung ist wohl jene, dass man Humane Papillomviren auch bis heute nicht effizient in einer Zellkultur züchten kann. (Anm.: Eine Zellkultur ist ein Modellsystem für tierische Zellen, bei dem Stoffwechsel, Zellteilung und viele weitere zelluläre Prozesse beobachtet und verändert werden können.) Dazu kommt zweitens, dass man in der Regel keine Versuchstiere mit HPV infizieren kann. Somit waren gleich zwei gängige Versuchsmodelle ausgeschlossen. 

Wie ging es weiter?

Ich versuchte, mit molekularbiologischen Methoden leere Virushüllen in einer Zellkultur zu generieren, um diese als "Köder" für die Suche nach einem Rezeptor zu einzusetzen. Das hatten schon früher andere Forscher erfolglos versucht. Es ist mir dann gelungen, eine Mutation in der Genomsequenz des Hüllproteins des wichtigsten Typs HPV16 zu identifizieren, die bislang verhindert hatte, dass dieses Protein leere Virushüllen bilden kann. Denn nur die komplette Hülle ist in der Lage, schützende Antikörper nach einer Impfung zu induzieren. Das war der entscheidende und lange gesuchte Schritt, um den Impfstoff gegen HPV16, und andere medizinisch relevante HPV-Typen, herzustellen, der aus leeren Virushüllen besteht. 

Warum ist der Typ HPV16 so wichtig?

HPV 16 ist für 50 Prozent aller Karzinome des Gebärmutterhalses verantwortlich, und darüber hinaus auch noch für weitere Karzinome der Vulva, Vagina, des Anus, Penis und des Mund-Rachenraumes. Danach war es ein Leichtes, Virushüllen für viele andere HPV-Typen herzustellen. 

Können Sie erklären, wie die HPV-Impfstoffe funktionieren?

Die leeren Protein-Virushüllen enthalten keine virale genetische Information, sie können sich nicht vermehren und sind daher sehr sicher. Man bezeichnet diese Art von Vakzinen als "Tot-Impfstoff" oder "subunit-vaccine".  Wenn man nun diese Protein-Virushüllen in den Muskel des Oberarms injiziert, erkennt das Immunsystem des Körpers diese als vermeintliche Gefahr und produziert massive Mengen an Antikörpern, die im Blut zirkulieren und in die Körpersekrete ausgeschieden werden. Wenn es später zum Kontakt mit infektiösen Papillomviren beim Geschlechtsverkehr kommt, wird das Virus durch die Antikörper neutralisiert und ist nicht mehr infektiös. Da etwa 15 verschiedene HPV-Typen Genitalkrebs, und noch weitere Typen Genitalwarzen verursachen können, müssen in sogenannten Mehrfachimpfstoffen möglichst viele klinisch wichtige Typen abgedeckt werden.

Der Impfstoff gegen HPV ist erst der zweite überhaupt, der direkt gegen Krebs wirkt. Was bedeutet das aus medizinischer Sicht?

Wenn man rechtzeitig, am besten zwischen dem neunten und zwölften Lebensjahr, bzw. vor dem ersten Sexualkontakt, geimpft wird, erwirbt man einen weitreichenden Schutz gegen die Infektion. Damit können sich keine HPV-induzierten Krebsvorstufen entwickeln, aus denen Karzinome hervorgehen können. Weltweit entstehen pro Jahr beinahe 700.000 durch HPV verursachte Krebsarten, etwa die Hälfte der Patientinnen und Patienten stirbt daran. Die HPV-Impfung ist unglaublich effizient und in der Lage, diese Krebsarten und die dadurch bedingten Todesfälle zu verhindern. 

Wie sehen Sie heute – mit einigen Jahren Abstand – die gesellschaftliche Wirkung Ihrer Entdeckung?

Die HPV-Impfung hat weltweit einen unglaublichen Siegeszug angetreten. Leider ist die Impfrate gerade in Entwicklungsländern noch immer sehr gering. Gerade diese Länder tragen die Hauptlast, 90 Prozent, der weltweiten Gebärmutterhalskarzinome. Aber in einigen westlichen Ländern, die schon früh ihre jungen Mädchen rechtzeitig geimpft haben, werden keine Zervixkarzinome mehr beobachtet. Wesentlich ist auch die Impfung von Burschen, da auch sie Karzinome durch HPV bekommen können und Überträger der Erkrankung sind. Auch bei uns ist die Impfrate bei Schulkindern mit etwa 50 Prozent noch relativ gering, obwohl der Impfstoff kostenlos, etwa in der Schule, verabreicht wird. 

Wohin geht die Reise? Arbeiten Sie derzeit an Weiterentwicklungen der HPV-Impfung oder an neuen Impfstoffen? Welche Entwicklungen im Bereich Krebsprävention durch Impfstoffe erwarten Sie in den nächsten zehn Jahren?

Bestimmte HPV-Typen verursachen die gewöhnlichen Hand- und Fußwarzen bei Kindern und insbesondere Patienten mit beeinträchtigtem Immunsystem, zum Beispiel nach einer Organtransplantation. Andere HPV-Typen sind an der Entstehung von Hautkarzinomen bei immunsupprimierten Menschen beteiligt, die meist zusammen mit Sonnenlicht entstehen. Wir entwickeln derzeit Nachfolge-Impfstoffkandidaten, die eine Vielzahl dieser HPV-Typen abdecken. Gerade haben wir dazu eine erste Studie am Menschen begonnen.

Das Impfverhalten in Österreich ist grundsätzlich bescheiden. Woher kommt Ihrer Meinung nach diese Impfskepsis? Was muss passieren? 

Das Gesundheitsministerium Österreichs - insbesondere die damalige Gesundheitsministerin Dr. Kdolsky, eine Ärztin! - hat leider die HPV-Impfung nach der Zulassung 2006 über Jahre nicht als empfehlenswert erachtet, obwohl das Nationale Impfgremium sofort die Impfung von Mädchen und Burschen empfohlen hatte. In Österreich wurde der Impfstoff im Rahmen des kostenlosen Impfprogramms für Mädchen und Burschen erst 2014 eingeführt. Wichtig sind öffentliche Kampagnen, um die Bevölkerung darüber aufzuklären, wie man mit zwei harmlosen Nadelstichen Krebsarten verhindern kann, die oft tödlich enden und unendliches Leid verursachen. In Wales wurde gerade gezeigt, wie man insbesondere mit Kampagnen in sozialen Medien Jugendliche für die HPV-Impfung motivieren kann.

Was halten Sie davon, dass das HPV-Gratis-Impfprogramm heuer ausläuft?

Das Gratis-HPV-Impfprogramm bis zum 21. Lebensjahr läuft ja unbeschränkt weiter. Nur darüber hinaus bis zum 30. Lebensjahr wird es eingestellt. Der Nutzen der HPV-Impfung nimmt mit zunehmendem Alter und einhergehend mit dem Beginn der sexuellen Aktivität rapide ab. Auf bestehende Infektionen hat der Impfstoff keinen Einfluss, da er vorbeugend wirkt und genitale Humane Papillomviren werden rasch nach Beginn der sexuellen Aktivität übertragen. Umso wichtiger ist es, dass wir bei 9 bis 12-jährigen Mädchen und Buben eine hohe Durchimpfungsrate erreichen. 

Die Weltgesundheitsorganisation hat sich das Ziel gesetzt, bis 2030 eine HPV-Durchimpfungsrate von 90 Prozent bei Mädchen bis zum Alter von 15 Jahren zu erreichen. In Österreich wird ein Impfziel von 70 Prozent bei Mädchen und Jungen angestrebt. Wie realistisch ist es, dieses Ziel zu erreichen? 

Mit den bereits erwähnten Kampagnen in sozialen Medien und auch in der Öffentlichkeit, die über den Nutzen der Impfung und die praktisch fehlenden Nebenwirkungen aufklären, sollte dieses Ziel erreichbar sein und hoffentlich sogar übertroffen werden.

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