Donuts als Droge: Jeder 7. ist süchtig nach stark verarbeiteten Lebensmitteln

Ziel ist es nie, das ganze Sackerl leer zu essen. Nach einer Handvoll Chips, so der Vorsatz, kommt der Rest wieder in den Vorratsschrank. Doch kaum hat man sich versehen, leckt man die letzten Brösel von den Fingern.
Für die einen sind es die Kartoffelchips. Für die anderen sind es Schokokekse, Frühstücksflocken oder Fertiggerichte: Diese stark verarbeiteten Lebensmittel, sind so konzipiert, dass sie übermäßig gut schmecken und übermäßig viel gegessen werden. Wie ein Forschungsteam der University of Michigan jetzt herausgefunden hat, ist es nicht nur schwer, ihnen zu widerstehen - sie machen sogar süchtig.
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Eine im British Medical Journal veröffentlichte Analyse von 281 Studien aus 36 Ländern ergab, dass 14 Prozent der Erwachsenen und 12 Prozent der Kinder süchtig nach stark verarbeiteten Lebensmitteln sind. Für die Wiener Internistin und Ernährungsmedizinerin Manuela Hanke ist das keine Überraschung: "Für mich ist ganz klar, dass diese Substanzen ein Suchtpotenzial haben“, sagt sie im Gespräch mit dem KURIER. Woran liegt das?
"Stark verarbeitete Lebensmittel sind keine natürlichen Lebensmittel, sondern Produkte, die diese ersetzen sollen", erklärt Hanke. Die Lebensmittelindustrie versucht, ein natürliches Lebensmittel billig herzustellen, durch Konservierungsstoffe haltbar und mit Geschmacksverstärkern schmackhaft zu machen.
Fette und Kohlenhydrate
Durch die vielen Verarbeitungsschritte haben diese Produkte eine andere Nährstoffzusammensetzung als natürliche Lebensmittel, die in der Regel entweder Kohlenhydrate oder Fett enthalten, selten aber beides. Ein Apfel zum Beispiel besteht hauptsächlich aus Kohlenhydraten in Form von Fruchtzucker. Ein Lachs hauptsächlich aus Fett, aber kaum aus Kohlenhydraten.
Ein Schokoriegel enthält dagegen viel Zucker und Fett, was laut den US-Forschenden im Gehirn ähnliche Dopaminschübe auslöst wie bei Suchtmitteln wie Nikotin und Alkohol zu beobachten sind. Zudem, so Hanke, enthalten hochverarbeitete Lebensmittel kaum Ballaststoffe, Vitamine, Mineralstoffe und Proteine, "die Sattmacher in unserer Ernährung".

Jeder 7. Mensch ist laut einer neuen Analyse süchtig nach stark verarbeiteten Lebensmitteln. Hauptautorin Ashley Gearhardt nannte als Suchtmerkmale unter anderem mangelnde Kontrolle, starkes Verlangen und Entzugserscheinungen
Hinzu kommt die Geschwindigkeit, mit der wir hochverarbeitete Produkte essen und ihre drogenähnliche Wirkung spüren. Stoffe, die schnell auf das Belohnungszentrum im Gehirn wirken, machen eher süchtig. Hochverarbeitete Lebensmittel wurden so entwickelt, dass Kohlenhydrate und Fette möglichst schnell in den Darm und dann ins Gehirn gelangen. Salz, Aromastoffe und Geschmacksverstärker tun ihr Übriges.
Insulin wird im Übermaß produziert
"Hochverarbeitete Lebensmittel bringen unser gesamtes Hormonsystem durcheinander", fasst Hanke zusammen. Neben Dopamin, wird auch das in der Bauchspeicheldrüse gebildete Hormon Insulin durch zucker- und fettreiches Essen im Übermaß produziert. "Dann bekommen wir Heißhunger und der ganze Körper spielt verrückt."
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Die Folgen sind verheerend. Das verstärkte Hungergefühl, das wir durch den Verzehr dieser Produkte verspüren, führt durch übermäßigen Konsum zu einer vermehrten Fettbildung, erklärt Hanke: "Und das sind nicht nur unerwünschte Fettröllchen am Körper. Dieses Fettgewebe organisiert sich und wird so zu einem neuen Organ, das Substanzen wie Hormone, Botenstoffe etc. produziert und freisetzt, die dann auf andere Organe schädigend wirken." In der Folge können Autoimmunerkrankungen und andere chronische Stoffwechselerkrankungen ausgelöst werden, so die Ernährungsmedizinerin.

Manuela Hanke ist Internistin und Ernährungsmedizinerin in Wien
Auch das Gehirn wird in Mitleidenschaft gezogen. Da die Dopamin-Rezeptoren im Gehirn herunterreguliert werden, ist die geistige Leistungsfähigkeit vermindert. Das Langzeitgedächtnis wird eingeschränkt. Auch die Neurogenese, also die Bildung neuer Gehirnzellen, wird durch Junk Food und Co. gehemmt.
Wie kann man das Laster ablegen?
Bislang ist eine Sucht nach hochverarbeiteten Lebensmitteln noch keine offizielle Diagnose. Ein Problem bei der Abhängigkeit von Essen ist, dass man – anders als bei Alkohol oder Nikotin – nicht einfach darauf verzichten kann. Das Forschungsteam um Gearhardt fordert, das Suchtpotenzial hochverarbeiteter Produkte stärker in den Fokus zu rücken. Auch Hanke stimmt zu, dass die Menschen besser informiert werden müssen. "Man muss aufzeigen, welche chemischen Substanzen verwendet werden und deren negativen Auswirkungen auf den menschlichen Körper erklären."
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Im Supermarkt seien die Produkte leicht zu erkennen. Als Faustregel gilt: "Wenn mehr als fünf Substanzen auf der Verpackung stehen, ist es ein stark verarbeitetes Lebensmittel." Wer dennoch nicht widerstehen kann, kann es mit einem Ernährungsprotokoll versuchen, so die Ernährungsmedizinerin. Die meisten ihrer Patientinnen und Patienten seien überrascht, wie viele verarbeitete Lebensmittel sie pro Woche essen: "Viele haben dann bei der zweiten Untersuchung schon ein paar Kilo abgenommen, weil sie sich so vor Augen führen, was sie alles essen und das von sich aus nicht weiter tun wollen."
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