Kardiologe warnt: "Ab 30 Grad nehmen Herz-Kreislauf-Notfälle zu"

Kardiologe Lukas Fiedler.
Steigende Temperaturen belasten das Herz-Kreislauf-System erheblich. Schon Temperaturen ab 25 Grad Celsius erfordern einen Temperaturausgleich, insbesondere wenn hohe Luftfeuchtigkeit hinzukommt oder die Hitze über mehrere Tage anhält. Der Körper versucht, sich durch Schwitzen und Erweiterung der Blutgefäße abzukühlen. Doch diese Mechanismen haben Grenzen. Ab 30 Grad Celsius fällt dem Körper die Wärmeregulation zunehmend schwer – die Häufigkeit von Herz-Kreislauf-Problemen steigt an. Denn: Das Herz muss bei Hitze mehr arbeiten, um den Kreislauf stabil zu halten. Gleichzeitig verliert der Körper über den Schweiß nicht nur Flüssigkeit, sondern auch lebenswichtige Mineralstoffe wie Natrium und Kalium. Das kann den Blutdruck stark absinken lassen, zu Herzrhythmusstörungen führen oder sogar einen Kreislaufkollaps auslösen.
Die WHO und nationale Gesundheitsbehörden warnen regelmäßig vor den Auswirkungen von Hitzewellen, die mit einer messbar erhöhten Sterblichkeit einhergehen – vor allem bei älteren Menschen und jenen mit Vorerkrankungen wie Bluthochdruck oder Herzschwäche. Wann Hitze für das Herz zum Problem wird, welche Warnsignale ernst zu nehmen sind und wie man sich schützen kann, erklärt Lukas Fiedler, Kardiologe und Sekretär der Österreichischen Kardiologischen Gesellschaft, im Interview.
KURIER Leben: Welche Auswirkungen hat Hitze auf das Herz-Kreislauf-System?
Lukas FIEDLER: Die Körpertemperatur konstant zu halten ist für den Körper eine große Aufgabe. Und zwar in beide Richtungen, sowohl gegenüber Kälte als auch gegenüber Hitze. Bei Hitze wird über die Erweiterung der Blutgefäße versucht die Hautdurchblutung zu erhöhen, damit Wärme an die Luft abgegeben werden kann. Das funktioniert nur dann, wenn ein gewisser Temperaturunterschied gegeben ist – je größer, desto besser. Bereits ab Temperaturen über 25 Grad Celsius wird der Unterschied zwischen dem Körperinneren mit etwa 37 Grad Celsius und der Umgebung immer geringer, sodass es sehr schwer wird für den Körper, Wärme abzugeben. Man weiß aus wissenschaftlichen Untersuchungen, dass, wenn die Temperaturen über 30 Grad Celsius gehen, die medizinischen Notfälle in der Kardiologie messbar zunehmen – und zwar mit jedem Grad mehr. Dazu kommt: Je höher die Luftfeuchtigkeit, desto schwieriger ist es für den Körper Hitze abzugeben. Da reichen dann auch viel niedrigere Temperaturen, dass es zu Problemen kommen kann.
Welche Menschen sind besonders gefährdet, dass der Temperaturausgleich nicht gut gelingt?
Primär haben ältere und chronisch erkrankte Menschen ein höheres Risiko für Herzprobleme aufgrund von Hitze. Das kommt einerseits daher, dass ja ältere Menschen Durst nicht mehr so gut spüren und eigentlich chronisch zu wenig trinken. Hinzu kommt, dass viele Menschen mit Erkrankungen, insbesondere Herzpatienten Medikamente einnehmen, die eine entwässernde Wirkung haben, sogenannte Diuretika oder ACE-Hemmer. Die Medikamente braucht es, damit das Herz entlastet wird. Diese Substanzgruppe beeinflusst den Flüssigkeitshaushalt so, dass sie in Kombination mit starkem Schwitzen auch zu einer Dehydrierung führen kann, also zu einem Wasserverlustsyndrom. Zudem kommt es zu einer Elektrolytverschiebung. Der Körper wird stärker entsalzt, wodurch der Blutdruck sinkt. Das ist an sich gut, aber wenn es überschießend ist, weil man sehr viel schwitzt, kann es auch so weit führen, dass es zum Beispiel zu einem Kreislaufkollaps kommt. Auch die Einnahme sogenannter Betablocker muss möglicherweise angepasst werden – sie senken unter anderem den Blutdruck und verlangsamen die Herzfrequenz, um das Herz zu entlasten.
Müssen Menschen, die Herzmedikamente nehmen, ihre Dosierung in den Sommermonaten anpassen?
Ja. Wir sehen immer öfter, dass Patienten, sowohl Blutdruckpatienten als auch Herzschwäche-Patienten, die diese Medikamente brauchen, im Sommer immer wieder Einstellungsprobleme bekommen. Oft haben sie im Sommer einen sehr niedrigen Blutdruck, weil sie einfach mehr schwitzen und dann mehr Flüssigkeit verlieren. Und im Winter ist es umgekehrt, dass wir dann eher einen höheren Blutdruck sehen und ein bisschen mehr Entwässerung brauchen, weil eben dieses Schwitzen nicht so stark ist. „Deshalb ist es besonders wichtig, dass Herzpatienten, die eine sehr genaue Einstellung ihrer Behandlung benötigen, um ein gutes Leben führen zu können, auch in diesen Monaten regelmäßig ihren Arzt aufsuchen. So kann die Feineinstellung rechtzeitig erfolgen, bevor es zu ernsten Problemen kommt, etwa einem Bewusstseinsverlust, der zu Stürzen und Verletzungen führen könnte. Richtige Warnsignale wären beispielsweise Kurzatmigkeit, Brustschmerzen oder Herzstolpern. Tritt das auf, braucht man nicht zu warten, bis es noch schlechter wird. Da kann man beim Hausarzt nachfragen, ob man nicht etwas adaptieren soll.
Steigt bei Bluthochdruck in der Hitze der Blutdruck weiter an?
Nein, eigentlich ist es oft so, dass Blutdruckpatienten in der Hitze auch die Medikamente ein bisschen reduzieren können, weil sie mehr schwitzen. Sie verbrauchen mehr Flüssigkeit und dadurch sinkt der Blutdruck. Hier hilft im Sommer eine Adaptierung der Medikamente.
Kann man selbst seine Dosis anpassen?
Das kommt auf die Patienten an. Es gibt sicherlich Menschen, die das nach Rücksprache mit ihrem Arzt können und möchten. Aber es gibt auch Menschen, die das eher von jemandem anderen geregelt haben wollen. Prinzipiell glaube ich, ist es gut, wenn der Patient auch ein Wissen dazu hat. Dann kann er nämlich viel feiner reagieren, als wenn er zwei Wochen warten muss, bis er beim Arzt einen Termin hat.
Wie beugt man Herzproblemen durch Hitze außer von Medikamenten-Einstellung vor?
Gerade wenn es sehr heiß ist sehen wir, dass vor allem ältere Patienten, nicht ausschließlich Herzpatienten, große Schwierigkeiten haben. Man kann mit relativ einfachen Maßnahmen das Risiko minimieren. Zum Beispiel ist es wichtig, die Trinkmenge konstant zu halten. Das gelingt, indem man sich etwa einen Krug Wasser hinstellt und dieser Krug Wasser wird am Vormittag getrunken und dann für den Nachmittag wieder aufgefüllt. Am besten stellt man ihn an eine Stelle, wo man immer wieder vorbeigeht und trinkt, auch wenn man keinen Durst hat. Hier eignen sich vor allem Wasser und ungesüßte Tees gut. Es ist auch wichtig, körperliche Anstrengung zu vermeiden, wenn es so heiß ist. Man muss nicht unbedingt im Garten arbeiten oder sich in die pralle Sonne legen, sondern sollte, wenn notwendig, eher die Morgenstunden nützen, wo es noch kühler ist. Wenn es extrem heiß ist, sollte man im kühlen Innenraum bleiben und Klimaanlagen oder Ventilatoren nutzen. Ist man irgendwo unterwegs, hilft es, sich kaltes Wasser über die Hände und in den Nacken laufen zu lassen – das kann eine Erleichterung herbeiführen.
Muss man bei Schwindel zu einem Arzt oder reicht es, mehr zu trinken?
Prinzipiell kann man schon, wenn man sich sonst klinisch wohlfühlt, durchaus einmal sagen, jetzt trinke ich einen Liter Wasser in den nächsten eineinhalb Stunden und schaue, wie es mir dann geht. Man sollte auch immer schauen, ob der Harn klar bleibt. Das ist ein ganz guter Gradmesser, dass man ausreichend getrunken hat. Wenn der Harn dunkelgelb ist, ist das ein relativ gutes Zeichen dafür, dass man zu wenig getrunken hat. Die meisten Menschen haben zudem ein Blutdruckmessgerät zu Hause, da kann man schauen, ob der Blutdruck sehr niedrig ist. Wenn der obere Blutdruck unter 100 ist, kann das bei einem Bluthochdruckpatienten ein Warnzeichen sein. Bei einem Blutdruckabfall oder wenn etwa ein Schwindel trotz ausreichendem Trinken nicht vergeht, sollte man zum Arzt gehen.
Lässt sich ein Hitzschlag für einen Laien klar von einem Herzproblem wie einem Herzinfarkt unterscheiden?
Ja, das lässt sich gut unterscheiden. Bei einem Hitzschlag ist es relativ untypisch, dass man z. B. die typischen Brustschmerzen wie bei einem Herzinfarkt hat. Beim Hitzschlag ist es so, dass die Fähigkeit, die Körpertemperatur zu regulieren, überfordert ist. Man wird die Hitze nicht mehr los und dadurch kommt es dazu, dass das Gehirn auch „zu warm“ wird. Diese Veränderung, dieses Zu-Warm-Werden, löst Funktionsstörungen im Gehirn aus, die zum Beispiel dazu führen können, dass man matt wird, eintrübt, man bekommt Kopfschmerzen und fühlt sich richtig krank. Betroffene können dann auch Schüttelfrost bekommen. Bei einem Hitzschlag sollte man wirklich rasch in den Schatten, sich rasch abkühlen und kalt trinken. Es kann auch notwendig sein, ins Krankenhaus zu gehen.
Kann die Hitze in der Nacht fürs Herz problematisch sein?
Die meisten Menschen sorgen intuitiv dafür, dass die Schlafräume kühler sind. Man kann zum Beispiel eine Kinderbadewanne mit Wasser aufstellen , sodass eine Verdunstung entsteht. Da könnte man zum Beispiel einen Ventilator davorstellen, wenn man kein Klimagerät hat, und kann somit eine Kühlung erwirken. Es ist natürlich auch gut, sich vor dem Schlafengehen kalt abzuduschen. Wenn das am Oberkörper unangenehm ist, kann man die Beine kühl abspülen. Das ist oft eine sehr gute Methode, um über die Hautoberfläche ein, zwei Grad herunter zu kühlen. Und es kommt dann reflektorisch dazu, dass die Hautgefäße weit aufgehen, wenn es vorher eben sehr kalt war. Dadurch kann der Körper leichter Wärme abgeben und besser mit der Hitze zurechtkommen.
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