Warum die Heilung von HIV vorerst die große Ausnahme bleiben wird
Es sind Tage, an denen das Telefon in der Kassen-Gruppenpraxis „Schalk-Pichler“ in Wien-Alsergrund öfter läutet als sonst. Ein Schwerpunkt der beiden Allgemeinmediziner ist die Betreuung HIV-positiver Patienten. Schlagzeilen wie „Dritter krebskranker HIV-Patient geheilt“ führen deshalb zu vermehrten Anfragen. „Natürlich ist das eine tolle Nachricht“, sagt Horst Schalk. „Aber vorerst bleibt es eine absolute Ausnahme.“
Der heute 53-jährige „Düsseldorfer Patient“ war HIV-positiv und an Leukämie erkrankt. 2013 wurden ihm Blutstammzellen transplantiert. Die Spenderin verfügt über eine natürliche Genmutation. Dadurch fehlt den Stammzellen an ihrer Oberfläche eine Andockstelle für das HI-Virus. Es kann also nicht in Zellen eindringen und keine Infektion auslösen.
Genauso war es auch bei den anderen beiden geheilten HIV-Patienten. Der erste war Timothy Ray Brown, bekannt als „Berliner Patient“. Auch bei ihm wurde Leukämie diagnostiziert. Er erhielt 2007 eine Transplantation von Stammzellen eines Spenders mit der CCR5-Mutation. Danach war bei ihm das HI-Virus nicht mehr nachweisbar, Brown konnte seine HIV-Medikamente absetzen. Er starb 2020 an der Leukämie.
Risikoreich
2020 wurde der zweite Fall einer Heilung einer HIV-Infektion bekannt. Der „Londoner Patient“ Adam Castillejo bekam wegen einer Blutkrebserkrankung ebenfalls eine Stammzelltransplantation (im Jahr 2016). Darüber hinaus gibt es weitere Fallberichte – darunter eine Frau – aus den USA, allerdings mit kürzerer Nachbeobachtung.
„Eine Stammzelltransplantation ist aufwendig und risikoreich“, betont Schalk. „Sie ist bei Leukämie-Patienten gerechtfertigt. Ein Nebeneffekt der Therapie von lebensbedrohendem Blutkrebs kann die Heilung von HIV sein. Aber bei einem HIV-Infizierten ohne Krebserkrankung ist eine Stammzelltransplantation nicht vertretbar.“
Hinzu kommt: Nur rund ein Prozent der Stammzellspender ist Träger dieser Genmutation, die das Andocken des Virus an Zellen verhindert.
Schalk: „Wir hatten früher viele Anfragen von HIV-negativen Patienten nach genetischen Bluttests zum Nachweis dieser Mutation. Sie hatten HIV-positive Partner und wollten wissen, ob sie möglicherweise dank der Mutationen vor einer Infektion geschützt sind. Aber es war kein einziger Träger dieser Mutation unter den Getesteten – sie ist wirklich sehr selten.“
Mittlerweile gibt es Überlegungen, diese Mutation mittels „Genschere“ in das Erbgut von Stammzellen ohne dieses genetische Merkmal einzufügen, um so mehr HIV-Positive damit behandeln zu können. „Man versucht auch, aus bereits infizierten Abwehrzellen das Viruserbgut herauszuschneiden – aber das sind alles ganz frühe Studien, sehr weit weg von einer klinischen Anwendung.“
Zwei-Monats-Spritze
Auf der anderen Seite gebe es aber große Fortschritte bei der HIV-Therapie: In vielen Fällen reicht mittlerweile eine Tablette am Tag. Seit 2022 sind auch Zwei-Monats-Spritzen zugelassen, seit Jänner werden die Kosten von der Sozialversicherung übernommen, sagt Schalk. „Alle zwei Monate bekommen die Patienten zwei Spritzen mit je einem Wirkstoff in das Gesäß injiziert. Das erspart die tägliche Tablette.“ In Entwicklung sind auch eine Halbjahresspritze und Tabletten, die nicht mehr täglich eingenommen werden müssen.
Neuinfektionen
Rund 9.000 Menschen sind in Österreich HIV-positiv. Jährlich werden zwischen 300 und 400 Infektionen neu diagnostiziert
Wirksame Therapie
Die HIV-Therapie unterdrückt die Virusvermehrung und verhindert, dass das Virus weitergegeben werden kann. Experten sprechen von U=U, „Undetectable is Untransmittable“ (NIcht nachweisbar = nicht übertragbar)
20 Prozent der Infizierten sind älter als 60 Jahre. Das Durchschnittsalter der Patienten liegt heute bei 49,1 Jahren, 2002 waren es 39,1 Jahre.
Infos und Beratung: www.aids.at
„Gleichzeitig sind Nebenwirkungen eine Seltenheit geworden. Wir finden heute für fast jeden Patienten eine praktisch nebenwirkungsfreie Therapie.“ Und dass die Nachfrage nach den Gentests zurückging, hat auch einen Grund. Der heißt PrEP – „Präexpositionsprophylaxe“, also Vorsorge vor einem möglichen HIV-Kontakt. HIV-negative Menschen nehmen ein HIV-Medikament ein, um sich vor einer Ansteckung mit HIV zu schützen. „Die PrEP ist hocheffektiv, um Neuinfektionen zu reduzieren.“
Fazit von Mediziner Schalk: „Ich habe die berechtigte Hoffnung, dass es einmal für mehr HIV-positive Menschen eine Heilung geben wird. Aber schon heute haben früh therapierte HIV-Positive eine komplett normale Lebenserwartung bei guter Lebensqualität – und sie werden nie an Aids erkranken.“
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