Gicht: Kein Anfall, keine Therapie

Gicht: Kein Anfall keine Therapie
Nicht jeder mit erhöhten Harnsäurewerten muss behandelt werden. Lebensstilfaktoren wie Ernährung und Bewegung können das Risiko beeinflussen.

Zusammenfassung

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  • Erhöhte Harnsäurewerte erfordern keine Behandlung ohne Gichtanfall; Lebensstiländerungen wie Diät und Bewegung sind entscheidend.
  • Gicht entsteht durch Harnsäurekristalle in Gelenken; akute Anfälle werden medikamentös behandelt, um chronische Schäden zu vermeiden.
  • Hohe Harnsäurespiegel, evolutionär vorteilhaft für antioxidativen Schutz und Gehirnentwicklung, können in der modernen Welt Gicht verursachen.

Gicht ist weltweit die häufigste entzündliche Gelenkserkrankung – und die Zahlen steigen rasant. 2020 lebten 55,8 Millionen Menschen mit der schmerzhaften Stoffwechselkrankheit, bis 2050 könnten es 95,8 Millionen sein. Besonders betroffen sind Männer: Sie erkranken 3,26-mal häufiger als Frauen, da letztere bis zur Menopause hormonell geschützt sind. Während Geschlecht, Alter, genetische Veranlagung und chronische Nierenerkrankungen zu Risikofaktoren zählen, die man nicht beeinflussen kann, gibt es auch Faktoren, die sich kontrollieren lassen. Dazu gehört vor allem ein erhöhter Harnsäurespiegel (Hyperurikämie), der durch Übergewicht, eine purinreiche Ernährung (Fleisch, Innereien) und Alkoholkonsum begünstigt wird.

Zuviel Harnsäure im Blut

Gicht ist eine Stoffwechselstörung, bei der sich Harnsäurekristalle in den Gelenken ablagern und dort heftige Schmerzen, Schwellungen, Rötungen und Überwärmung verursachen. Besonders oft trifft es die Großzehe. „Patienten berichten von Schmerzen, die so stark sind, dass sie nicht einmal die Bettdecke darauf ertragen“, schildert der Rheumatologe Thomas Nothnagl bei der Apothekertagung in Schladming. Danach folgen mit deutlichem Abstand Knöchel, Knie, Finger, Ellenbogen und Handgelenk.

Doch nicht jeder mit erhöhten Harnsäurewerten bekommt automatisch Gicht. „Erhöhte Harnsäurewerte allein sind für uns kein Anlass zur Therapie“, betont Nothnagl. „Kein Gichtanfall, keine Therapie.“ Die Ablagerung der Kristalle vollzieht sich schleichend – erst wenn es zu einem Anfall kommt, wird eine Behandlung notwendig.

Diagnose: Erst nach dem Anfall messen

Die Diagnose erfolgt über den Nachweis von Uratkristallen an den betroffenen Gelenken – mithilfe von Röntgen oder Ultraschall. Ein Bluttest auf erhöhte Serumharnsäure sollte jedoch erst zwei Wochen nach einem Anfall erfolgen. „Während eines akuten Gichtanfalls sind die Harnsäurewerte oft im Normbereich“, erklärt Nothnagl.

Lebensstilmodifikation als erste Maßnahme

Bevor Medikamente zum Einsatz kommen, steht eine Anpassung des Lebensstils im Vordergrund. „Diät, Vitamin C, Bewegung“, lautet die Empfehlung des Experten. Allerdings lässt sich die Harnsäure durch Ernährung allein nur um 15 bis 20 Prozent senken – genetische Faktoren spielen eine größere Rolle. Was hilft und was schadet? Alkohol – insbesondere Bier –, Fleisch, Fisch, Meeresfrüchte sowie fructosehaltige Getränke treiben die Harnsäure in die Höhe. Senkend wirken hingegen Vitamin C bzw. purinarme Lebensmittel wie Kartoffel, Teigwaren, Früchte und Gemüse, laut Empfehlungen der Österreichischen Gesellschaft auch Brokkoli, Kohl, grünen Bohnen oder auch Spinat. Hier handelt es sich allerdings um  purinreiche Sorten. Übrigens: Auch Kaffee kann vor Gicht schützen. Das besagt eine 12jährige Beobachtungsstudie bei 175.310 Personen. Hierfür verantwortlich sei aber nicht das Koffein, sondern andere Inhaltsstoffe.  „Drei Tassen am Tag sind empfehlenswert“, so Nothnagl. Wer jedoch keinen Kaffee trinkt, müsse nicht extra damit anfangen. 

Medikamente im Akutfall

Kommt es zu einem akuten Gichtanfall, kann eine medikamentöse Therapie mit Cortison oder anderen Entzündungshemmern notwendig werden. Gefährlich wird es, wenn die Gicht chronisch wird: „Dann droht die Zerstörung der Gelenke“, warnt Nothnagl. „Hier verlieren sie ihre Funktion.“ Doch nicht nur das: Gicht erhöht auch das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erheblich. „120 Tage nach dem letzten Gichtanfall haben Patienten ein doppelt so hohes Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden.“

Wer also von Gicht betroffen ist, sollte seinen Lebensstil im Blick behalten. Hohe Harnsäurewerte sind nicht zwangsläufig ein Problem – erst wenn ein Anfall auftritt, wird behandelt. Das wichtigste Ziel: eine chronische Gicht verhindern und das Risiko für Folgeerkrankungen senken.

Menschen und Affen haben im Vergleich zu anderen Wirbeltieren ungewöhnlich hohe Harnsäurespiegel – rund zehnmal so hoch. Der Grund dafür liegt in einem genetischen Verlust: Vor etwa 15 Millionen Jahren ging das Enzym Urikase verloren, das normalerweise Harnsäure zu Allantoin abbaut.

Doch dieser Anstieg der Serumharnsäure war offenbar kein evolutionärer Fehler – im Gegenteil: Wissenschaftler vermuten, dass er erhebliche Vorteile mit sich brachte. Harnsäure macht etwa 50 Prozent der antioxidativen Kapazität des Blutplasmas aus und schützt so die Zellen vor oxidativem Stress. Gleichzeitig könnte sie durch die Aktivierung der Xanthinoxidase intrazellulär prooxidativ wirken – ein möglicher doppelter Mechanismus. Diese biochemische Veränderung dürfte eine Schlüsselrolle in der menschlichen Evolution gespielt haben. Forschungen legen nahe, dass der erhöhte Harnsäurespiegel zur Entwicklung des Gehirns beitrug und möglicherweise die Lebenszeit des Menschen verlängerte.

Doch der einstige Vorteil hat in der modernen Welt eine Kehrseite: Der hohe Harnsäurespiegel kann zur Entstehung von Gicht führen – einer schmerzhaften Stoffwechselkrankheit, die durch die Ablagerung von Harnsäurekristallen in den Gelenken entsteht. 

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