Wie Gentherapie die Behandlung seltener Erkrankungen revolutionieren kann

Blume mit lila Blütenblätter und einem weißen Blütenblatt
Gentherapien setzen gezielt an den genetischen Ursachen von seltenen Erkrankungen an und eröffnen damit völlig neue Therapiechancen für Betroffene.

Zusammenfassung

  • Gentherapien bieten neue Behandlungsmöglichkeiten für seltene Erkrankungen, indem sie auf genetische Ursachen abzielen.
  • Frühe Diagnose und schneller Zugang zu Therapien sind entscheidend für den Erfolg bei seltenen Erkrankungen.
  • Strukturelle Hürden wie mangelnde Aufklärung und ein innovationsfeindliches System erschweren den Einsatz von Gentherapien.

In Österreich leben 300.000 Menschen mit einer Herz-Kreislauf-Erkrankung. Das ist KEINE seltene Erkrankung und Behandlungsoptionen gibt es viele. Demgegenüber stehen 500.000 Menschen, die an einer seltenen Erkrankung – einer Rare Disease – leiden. 50 Prozent davon sind Kinder. 

Wie entscheidend eine individuell zugeschnittene Gentherapie sein kann, zeigt ein bewegender Fall aus den USA: Innerhalb von nur sieben Monaten entwickelten Forschende eine Therapie. Nicht für eine Patientengruppe, sondern für ein einziges Kind mit einem schweren genetischen Defekt. KJ, wie der Junge in den Medien genannt wird, ist inzwischen neuneinhalb Monate alt, und erste Hinweise deuten auf einen erfolgreichen Therapieverlauf hin. 

Dieser Einzelfall macht deutlich, welches Potenzial personalisierte Therapien künftig für andere seltene Erkrankungen haben könnten.

Faktor Zeit ist entscheidend

Martina Rötzer, Obfrau SMA Österreich, die Patientenvertretung für Menschen mit Spinaler Muskelatrophie, betonte kürzlich beim 17. Rare Diseases Dialog der Pharmig Academy, wie wichtig innovative Therapieansätze für Betroffene und Angehörige sind. 

Schließlich weiß sie aus persönlicher Erfahrung, was es bedeutet, mit einer seltenen Erkrankung im familiären Umfeld zu leben. Als Mutter von Kindern mit Spinaler Muskelatrophie setzt sie sich seit Jahren für bessere Bedingungen für Betroffene ein: Mut, Kraft und umfassende Information sind für Familien essenziell. "Der Einsatz innovativer Therapien ist lebensverändernd – aber nur, wenn sie früh genug zur Anwendung kommen", betont Rötzer. Eine rechtzeitige und präzise Diagnose sei der Schlüssel, um das volle Potenzial moderner Behandlungsansätze auszuschöpfen. Denn gerade bei seltenen Erkrankungen wie SMA ist der Faktor Zeit entscheidend: "Jede Verzögerung kann den Krankheitsverlauf negativ beeinflussen und Chancen auf eine bessere Lebensqualität schmälern."

Rötzers Appell: Betroffene Familien brauchen nicht nur medizinische Unterstützung, sondern auch schnelle, verlässliche Informationen und einen unkomplizierten Zugang zu Therapien. Denn bei seltenen Erkrankungen kann ein früher Behandlungsstart den Unterschied zwischen schwerer Behinderung und einem weitgehend selbstbestimmten Leben bedeuten.

Was sind seltene Erkrankungen?

Per Definition gelten Krankheiten als selten, wenn sie weniger als fünf von 10.000 Menschen betreffen. Bisher sind weltweit etwa 8.000 solcher Erkrankungen bekannt, etwa 80 Prozent davon haben eine genetische Ursache. Trotz dieser hohen Zahl ist das Wissen über einzelne Erkrankungen nach wie vor gering – was wiederum enorme Hürden bei Diagnose und Therapie bedeutet.

Ein zentrales Problem: Die Seltenheit jeder einzelnen Erkrankung erschwert nicht nur die Forschung, sondern auch die Entwicklung wirksamer Therapien. Weil es oft nur wenige Patientinnen und Patienten pro Krankheit gibt, fehlen spezialisiertes medizinisches Wissen und erfahrene Zentren. 

Klinische Studien müssen daher an wenigen, hochspezialisierten Einrichtungen durchgeführt werden. Hinzu kommt, dass international nach geeigneten Studienteilnehmern gesucht werden muss – ein aufwendiger und zeitintensiver Prozess.

Gamechanger Gentherapie

Gentherapien eröffnen gerade bei seltenen Erkrankungen neue Behandlungschancen. Molekularbiologe und Science Buster Martin Moder erläutert: "Die Gentherapie erfüllt genau die Hoffnung, die viele Menschen an moderne Medizin haben: Sie behandelt die Erkrankung möglichst nahe an ihrer Ursache, statt bloß Symptome zu lindern."

Als Einmaltherapie zielt sie darauf ab, die Ursache der Erkrankung zu korrigieren. Sie hilft dem Körper durch eine Behandlung, sich selbst von innen heraus zu reparieren und potenziell zu heilen. Im Gegensatz zu Behandlungsformen, die eine lebenslange Therapie, Krankenhausaufenthalte sowie eine reduzierte Lebenserwartung mit sich bringen, erhöhen sich Lebensqualität und Lebensdauer von Betroffenen, und wichtig: auch eine Teilhabe am Sozial- und Erwerbsleben wird oft wieder möglich.

Skepsis immer noch hoch

Dennoch herrschen, wenn es um das Eingreifen in den genetischen Code geht, Unsicherheit und Angst, die mit Wissenschaftsskepis in der österreichischen Bevölkerung einhergeht. Dieser gelte es entgegenzusteuern – mit Aufklärung und entsprechender Courage verantwortlicher Ärzte, bekräftigt Richard Greil, ehemaliger Vorstand der Uniklinik für Innere Medizin III am Universitätsklinikum Salzburg. 

Er weist auf grundsätzliche strukturelle und kulturelle Herausforderungen beim Einsatz von solchen innovativen Therapien hin: "Österreich hat ein kulturelles Problem mit Innovation und Innovatoren, Wissenschaft und Technologie. Der gesellschaftlichen Gestaltungskraft von Erneuerung wird große Skepsis statt Grundvertrauen entgegengebracht." Die Tatsache, dass Gentherapien einen langfristigen volkswirtschaftlichen Nutzen mit sich bringen, würde daher oft ausgeblendet. 

Damit Gentherapien in Österreich ihr Potenzial entfalten können, brauche es mehr als medizinischen Fortschritt. Die Expertinnen und Experten fordern:  

  • Mehr Aufklärung, um Ängste und Unsicherheiten abzubauen. Wissenschaftliche Informationen müssen verständlich, frühzeitig und aus vertrauenswürdigen Quellen kommuniziert werden.
  • Abbau von strukturellen Hürden: ein innovationsfeindliches Gesundheitssystem, fehlende Finanzierungsklarheit und langsame Diagnosen behindern den raschen Zugang zu Therapien. Eine Umstellung auf langfristige Nutzenbewertung und mehr Mut zur Innovation sind nötig.
  • Frühe Diagnostik, schneller Therapiezugang und verlässliche Patienteninformationen. Ebenso wichtig sind gut ausgestattete Behandlungszentren, nationale Register und internationale Vernetzung, um Wissen und Daten zu bündeln.
  • Zusammenarbeit mit Patientinnen und Patienten: Schließlich ist die essenziell, um Forschung praxisnah und erfolgreich zu gestalten. 

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