Nicht einfach nur Leerlauf: Was Langeweile wirklich bedeutet

Ob im Urlaub, auf der Couch oder beim Joggen – jeder Mensch kennt das Gefühl der Langeweile. Es schleicht sich ein, wenn sich der Moment plötzlich zieht, die Umgebung reizlos erscheint oder Gedanken zu kreisen beginnen. Das Gegenteil vom erwünschten „Flow“, wo man in einer Tätigkeit aufgeht, versunken und zufrieden ist. Was viele schlicht als unangenehme Leere empfinden, ist psychologisch gesehen ein komplexes emotionales Phänomen. In unserer leistungsorientierten Gesellschaft gilt Langeweile oft als Zeichen von Desinteresse, Faulheit oder fehlender Produktivität – ein Zustand, den es möglichst schnell zu überwinden gilt. Sie kann aber auch ein wertvolles inneres Warnsignal sein. Studien aus der Emotions- und Kognitionspsychologie bestätigen diesen Befund.
So zeigen Arbeiten, etwa von John Eastwood und Kollegen, dass Langeweile eng mit einer gestörten Aufmerksamkeitsregulation und dem subjektiven Erleben von Sinnverlust verbunden ist. Eine unangenehme Gemütslage, in der man sich nach einer befriedigenden Tätigkeit sehnt, aber nicht in der Lage ist, sich darauf einzulassen. Menschen fühlen sich dann innerlich leer, entkoppelt vom Hier und Jetzt – und oft auch von sich selbst.
Langeweile kann in diesem Sinne aber auch konstruktiv sein. Sie fordert auf, aktiv nach neuen, sinnstiftenden Zielen oder Tätigkeiten zu suchen. So wird sie zu einem psychologischen Kompass – als sie zeigt, dass wir auf dem falschen Pfad unterwegs sind. Diesen Aspekten und Fragen geht das Team um den Sportpsychologen Wanja Wolff von der Universität Hamburg nach. Er erforscht die psychologischen, kognitiven und motivationalen Grundlagen der Langeweile – insbesondere auch im Kontext von Sport und Bewegung. Was hinter dem Phänomen steckt, sagt er im Interview.
KURIER: Wie definieren Sie Langeweile?
Prof. Wanja Wolff: Rein technisch gilt sie als ein Zustand, in dem unser Gehirn signalisiert, dass das, was wir gerade machen, nicht zu dem passt, was wir besser oder passenderweise tun können. Im Sinne eines „Missmatchs“ zwischen dem, was wir vielleicht tun wollen oder potenziell könnten und dem, was wir tatsächlich tun. Sie zeigt uns also, dass wir unsere Ressourcen und unsere Zeit verschwenden.
Ist Langeweile nur ein Leerlauf oder mehr?
Man kann es durchaus angenehm finden, fernzusehen oder durchs Handy zu scrollen. Aber Langeweile entsteht immer dann, wenn unser Gehirn signalisiert: Das bringt mir gerade nichts. Es fehlt der Sinn oder die emotionale Belohnung – etwa Freude, Interesse oder ein Gefühl von Passung. Genau dieses Missverhältnis, diese Unpassung zwischen einer Tätigkeit und dem innerem Bedürfnis, ist ein zentrales Merkmal von Langeweile.
Sie ist aber keinesfalls mit Nichtstun gleichzusetzen?
Genau, es ist sehr wichtig, das zu unterscheiden: Langeweile ist nicht dasselbe wie Nichtstun. Es gibt diese weitverbreitete, aber ungenaue und oft auch glorifizierte Vorstellung, dass man sich öfter langweilen sollte. Im Sinne von: ,Einfach mal langweilen, das wäre doch gesund und erholsam.’ Aber das ist ein Missverständnis. Denn: Nichtstun führt nicht automatisch zu Langeweile. Man kann sehr wohl untätig sein – auf dem Sofa liegen, aus dem Fenster schauen – und das vollkommen genießen. Langeweile dagegen entsteht, wenn das, was man gerade tut, sich innerlich falsch oder leer anfühlt – wenn es nicht mit den eigenen Bedürfnissen, Interessen oder Zielen übereinstimmt. Dennoch kann es sein, dass man sich auch langweilt, wenn es nicht mit den eigenen Bedürfnissen, Interessen oder Zielen übereinstimmt. Selbstverständlich kann man sich beim Nichtstun ebenso langweilen. Umgekehrt kann sich aber auch langweilen, wer viel zu tun hat.
Wie etwa im Job, wenn die Tätigkeit als sinnlos oder aber unterfordernd empfunden wird.
Ja, deshalb ist auch die Annahme falsch, dass mehr freie Zeit automatisch zu mehr Langeweile führen könnte. Entscheidend ist nicht, wie viel man tut, sondern wie sehr das Tun innerlich als stimmig erlebt wird. Und wir alle haben in unseren Jobs wahrscheinlich Situationen, wo wir auch Dinge tun müssen, die nicht „Nichtstun“ bedeuten, die aber trotzdem langweilig sind.

Prof. Wanja Wolff forscht zum Thema "Langeweile"
Und trotzdem liest man: „Langweilt Euch mehr, weil es angeblich guttut oder kreativ macht.“
Ich habe mit Kolleginnen und Kollegen darüber gesprochen und mich gefragt, worauf diese Annahme basiert – dass aus Langeweile automatisch Kreativität entsteht oder sich Positives entwickelt. Das wirkt wie eine romantisierte Vorstellung. Die Forschung bestätigt das so nicht. Die Studienlage zu Langeweile und Kreativität ist da eher uneinheitlich.
Gibt es Menschen, die eher Langeweile empfinden, eine Art Typologie?
Das ist ein wichtiger Punkt, den man ebenfalls differenzieren sollte. In der Forschung wird oft die so genannte „Bordedom-Proneness Scale“ verwendet. Eine Skala, die misst, wie stark jemand dazu neigt, sich im Alltag zu langweilen. Menschen, die dort hohe Werte erreichen, sagen sinngemäß:„Ich langweile mich oft, mein Alltag fühlt sich leer oder uninteressant an.“ Und das ist tatsächlich mit negativen Faktoren verbunden – wie etwa geringerer Lebenszufriedenheit, Antriebslosigkeit oder sogar problematischem Verhalten. Denn es deutet darauf hin, dass es diesen Personen schwerfällt, aus inneren oder äußeren Gründen, ihr Leben so zu gestalten, dass sie es als anregend oder sinnvoll empfinden. Es bedeutet aber nicht automatisch, dass diese Menschen besonders sensibel für Langeweile sind.
Langeweile ist aber auch ein Art Signal, das man für sich nützen kann?
Richtig. Nämlich dass wir etwas anderes tun sollen. Ein Aufruf, sich etwas Besseres oder Alternativen zu suchen. Darauf sensibel zu reagieren, ist erst einmal nicht schlecht. Weil Langeweile Informationen liefert, die einem Menschen sagen, er könne vielleicht etwas anders machen. Da stellt sich auch die Frage, wie gut man mit Langeweile umgehen kann. Manche Menschen langweilen sich häufig – das kann verschiedene Gründe haben: eine hohe Sensibilität für monotone Situationen, persönliche Schwierigkeiten, das eigene Leben aktiv zu gestalten, oder äußere Lebensumstände, die wenig Abwechslung oder Anregung bieten. Es gibt also auch soziale Rahmenbedingungen, unter denen es besonders schwerfällt, der Langeweile zu entkommen.
Wie ist das bei Kindern, die rufen ja oft und sehr schnell: „Mama, Papa – mir ist fad!“
Das Thema Langeweile ist ein noch recht junges Forschungsthema, besonders bei Kindern wissen wir bisher wenig. Aber aus dem Alltag lässt sich dennoch einiges ableiten: Kinder können sich aus dem Nichts heraus langweilen – alles ist super, und plötzlich ist da Langeweile. Das zeigt erneut ihren Signalcharakter. Sie kann ebenso schnell verschwinden, etwa, wenn ein Reh am Fenster vorbeiläuft. Anders als Emotionen wie Ärger oder Freude ist Langeweile oft abrupt da und ebenso abrupt weg. Besonders in der Schule, wo Kinder wenig Kontrolle über ihre Situation haben, wird Langeweile zum Problem – sie ist daher auch ein entscheidender Faktor für das Lernen.
Was ist nun der positive Aspekt von Langeweile – den gibt es ja auch?
Sie ist mehr als nur ein lästiges Gefühl – sie ist ein inneres Warnsignal, das uns sagt: So wie es gerade ist, stimmt etwas nicht für mich. Und ja, daraus kann durchaus Großes entstehen – neue Ideen, kreative Lösungen, mutige Entscheidungen. Aber Langeweile kann auch in die andere Richtung kippen. Wer sich dauerhaft leer fühlt und keinen Zugang zu sinnvollen Alternativen findet, handelt manchmal impulsiv oder sogar gefährlich. Nicht selten liest man von Menschen, die aus purer Langeweile dumme oder destruktive Dinge tun. Deshalb ist, wie bereits erwähnt, die oft zitierte Empfehlung, sich mehr zu langweilen, nur die halbe Wahrheit. Wichtiger wäre es, zu verstehen, was Langeweile uns sagen will – und wie wir konstruktiv darauf reagieren können. In dieser Hinsicht ähnelt sie dem Schmerz. Auch den empfinden wir nicht gern, aber wir brauchen ihn. Er zeigt, dass etwas körperlich nicht stimmt. Und Langeweile zeigt, dass etwas seelisch oder geistig nicht stimmig ist. Deshalb sollten wir sie weder ignorieren noch romantisieren – sondern ernst nehmen, als wertvolles Signal auf dem Weg zu einem erfüllten Leben. Sie hilft, uns neu zu justieren.
Und wie geht man in diesem Sinne idealerweise damit um, wenn sie gerade da ist?
Ideal wäre, bewusst und aktiv darauf zu reagieren – statt in automatische, womöglich unproduktive Muster zu verfallen. Einfach passiv zu bleiben, wäre so, als würde man freiwillig die Hand auf die Herdplatte legen – unangenehm und wenig sinnvoll. Stichwort: Schmerz. Langeweile ist, auch wie Hunger, ein unangenehmer, aber wichtiger Indikator: Sie zeigt, dass etwas fehlt – und kann dadurch einen Motivationsschub auslösen. Entscheidend ist also, innezuhalten, das Gefühl wahrzunehmen und sich zu fragen: Was brauche ich gerade? Was fehlt mir? So kann Langeweile zu Veränderung und Entwicklung führen. Deshalb lohnt es sich, manchmal darauf zu hören. Genauso kann es Sinn machen, langweilige Phasen auszuhalten, wenn man ein langfristiges Ziel verfolgt. Etwa im Studium, wo nicht jeder Schritt spannend ist, das große Ziel aber zählt. Es geht um kluges Abwägen – nicht um blinden Aktionismus oder stures Ignorieren. Und allein das Bewusstsein, dass Langeweile etwas bedeuten könnte, ist schon ein wichtiger Schritt.
Die Reaktion darauf macht den Unterschied?
Ja. Man kann sich ärgern und frustriert sein – oder die Situation annehmen, Gedanken schweifen lassen, entspannen. In solchen Momenten verschwindet die Langeweile oft von selbst. Sie hält selten lange an, sondern kippt schnell – in Frustration, Müdigkeit, Tagträumen. Das macht sie schwer greifbar, auch in der Forschung.
Ablenkung wäre allerdings immer verfügbar – man muss nur zum Handy greifen.
Studien zeigen: Scrolling oder ständiges App-Switchen reguliert Langeweile oft nicht, sondern kann sie sogar verstärken.
Warum spielt Langeweile in der Sportpsychologie eine Rolle?
Ein Blick ins Netz zeigt: Es gibt unzählige Tipps gegen Langeweile beim Training. Viele empfinden Sportarten wie Joggen oder Fitnesstraining als monoton, was ein Hindernis sein kann, überhaupt aktiv zu werden. Auch im Leistungssport mischt sie mit – etwa bei repetitiven Übungen wie Freiwürfen oder Lauftraining im Fußball. Studien zeigen: Wer Sport als langweilig empfindet, macht weniger. Gleichzeitig kann er ein Ausweg aus der Langeweile sein – je nachdem, wie motivierend er im Vergleich zur aktuellen Situation wirkt.
Sollte man versuchen, Langeweile als etwas Neutrales zu betrachten?
Jein. Es ist kompliziert. Man sollte sich nicht wünschen, niemals Langeweile zu empfinden – das wäre problematisch. Weil sie zeigt, dass wir in einer Situation feststecken, die uns nicht erfüllt oder weiterbringt. Wirklich problematisch wird es erst dann, wenn man nicht richtig auf sie reagiert. Oder, wenn man sie überhaupt nicht mehr spürt – denn dann fehlt einem das innere Feedback, das einem zeigt, dass etwas nicht (mehr) passt. Langeweile ist also nicht gut oder schlecht. Aber sie ist wichtig.
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