Experte fordert Diskussion ethischer Fragen "vor nächster Pandemie"

FILE PHOTO: 'How did we catch it?': spread of COVID baffles locked-down Shanghai residents
Beim European Health Forum Gastein kam auch die Direktorin der Seuchenschutzbehörde zu Wort: Corona-Maßnahmen seien keine Frage von "richtig oder falsch".

Die Einführung von Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie war keine Frage von "richtig oder falsch". Es gehe darum, "die Balance zwischen der Freiheit des Einzelnen und dem Schutz der Bevölkerung" zu finden, sagte die Direktorin der EU-Seuchenschutzbehörde ECDC, Andrea Ammon, am Mittwochnachmittag beim European Health Forum Gastein (EHFG). Nun sollte die Zeit allerdings genutzt werden, um ethische Fragen solcher Einschränkungen zu diskutieren, forderte ein WHO-Experte.

Lockdowns immer weniger funktioniert

"Wir haben gedacht, solche Maßnahmen würden der Vergangenheit angehören", erläuterte Ammon zu den Lockdowns im März 2020 in europäischen Staaten. Es hätte damals zur Eindämmung der Pandemie "nichts anderes gegeben" und die Bevölkerung hätte die Einschränkungen gut angenommen. Als weitere Lockdowns folgten, "hat das aber immer weniger funktioniert", sagte die deutsche Medizinerin.

"Wir taten dies für die Sicherheit der Menschen, um sie vor Covid zu schützen", betonte Ammon. Im Verlauf der Pandemie wollten Teile der Bevölkerung jedoch nicht einfach "Orders hinnehmen, sondern eingebunden sein". Die ECDC-Direktorin sprach von einer ethischen Dimension, "die wir so nicht erwartet haben" und die Kommunikation mit der Bevölkerung erfordere.

Vorbereitung "für nächste Pandemie"

Die Politik hätte teilweise extrem schwierige Entscheidungen zu treffen gehabt, sagte Andreas Reis, Co-Leiter der Abteilung für Gesundheitsethik und Staatsführung in der Weltgesundheitsorganisation WHO. Es brauche "vor der nächsten Pandemie" Vorbereitung bezüglich ethischer Fragen. Die meisten Länder haben nationale Ethikkomitees und viele davon hätten in den vergangenen zweieinhalb Jahren rund um die Uhr gearbeitet, in einigen Staaten sei jedoch zu wenig getan oder die Ethikkomitees und weitere Experten nicht genügend eingebunden worden.

Schwedische Sicht

Schweden sei mit seinen weniger weitreichenden Corona-Maßnahmen als in anderen Ländern "als lax bezeichnet" worden, berichtete die Generaldirektorin der schwedischen Public-Health-Agentur, Karin Tegmark Wisell. Es habe jedoch auch in ihrem Land die Einschränkung von Kontakten, Abstandsregeln und die Beschränkung von Teilnehmerzahlen bei öffentlichen Veranstaltungen gegeben. Die Maßnahmen sollten jedoch auf früherer Public-Health-Arbeit und vorbereiteten Plänen für Pandemien in Schweden basieren und wissenschaftlich fundiert sein.

Einschränkungen, die Kinder betrafen, wurden besonders mit Bedacht beschlossen, erläuterte Wisell. Außerdem sei rechtlich vorgegeben gewesen, dass vor der Einführung von Maßnahmen mit Interessensvertretern der jeweils betroffenen Bevölkerungsgruppen gesprochen werden muss. Schweden hatte zwar eine hohe Sterblichkeit zu Beginn der Pandemie, aber in den Jahren 2020 und 2021 insgesamt eine relativ niedrige Übersterblichkeit verglichen mit anderen Staaten, betonte die Mikrobiologin.

Analysen hätten außerdem gezeigt, dass die schwedische Bevölkerung ihre Bewegungen in unterschiedlichen Phasen der Pandemie ähnlich eingeschränkt hätte wie die Menschen in anderen nordeuropäischen Staaten.

Das EHFG 2022 geht am Donnerstag zu Ende und versammelte rund 1.400 Teilnehmerinnen und Teilnehmern von Regierungen, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Industrie online und an Ort und Stelle in Bad Hofgastein. Zum 25-Jahr-Jubiläum der Veranstaltung standen Diskussionen zur Umsetzung einer "Europäischen Gesundheitsunion" sowie die Dauerkrise aus Pandemie, Klimawandel und Krieg und deren gesundheitliche Auswirkungen im Fokus der vier Kongresstage.

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