EU prüft Ethanol-Verbot: Ist die Hygiene in Spitälern in Gefahr?
Die EU erwägt Einstufung von Ethanol als gefährlichen Stoff.
Ein sich auflösender Oberkörper in einem roten Warnviereck: Dieses Piktogramm zeigt auf Verpackungen aller Art an, dass sich darin ein Gefahrstoff befindet. Das Symbol weist sogenannte CMR-Stoffe aus – wobei das C für carcinogen, also krebserregend, M für mutagen, erbgutverändernd, und R für reprotoxisch, sprich fortpflanzungsgefährdend und damit schädlich für Schwangere und Stillende, steht.
Künftig könnte sich das Bildzeichen auch auf Handdesinfektionsmitteln finden. Denn die EU zieht in Betracht, Ethanol – ein Alkohol und wegen seiner breiten antimikrobiellen Wirksamkeit Hauptbestandteil gängiger Handdesinfektionsprodukte – als CMR-Stoff einzustufen. Hintergrund ist ein Papier einer Arbeitsgruppe der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA), in dem Ethanol entsprechende gesundheitsschädigende Eigenschaften attestiert werden. Ethanol stehe im Verdacht, das Krebsrisiko zu erhöhen und Schwangerschaftskomplikationen zu verursachen, heißt es.
"Katastrophe" für Gesundheitswesen
Für das österreichische Gesundheitswesen wäre das "eine Katastrophe", sagt Miranda Suchomel, Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Hygiene, Mikrobiologie und Präventivmedizin (ÖGHMP). "Ethanol oder Ethylalkohol ist der wichtigste Desinfektionswirkstoff weltweit, weil er als einziger voll viruzid, also gegen alle Virenarten, wirkt und auch auf der Haut angewendet werden kann", erklärt die Hygienikerin.
Andere Alkoholarten, etwa Isopropanol, "weisen gegenüber Viren ein weitaus geringeres Wirkspektrum auf oder wirken nicht gegen bestimmte beim Menschen krankheitserregende Viren, wie z. B. das Adenovirus", präzisiert Suchomel. Andere ähnlich wirksame Substanzen, Wasserstoffperoxid oder Natriumhypochlorit zum Beispiel, stünden zwar zur Verfügung, seien aber nur für den Gebrauch auf Oberflächen geeignet. "Daher entsteht in der Händedesinfektion eine große Lücke. Dabei sind Hände als einer der Hauptübertragungswege von Krankheitserregern bekannt."
Verbraucherinnen und Verbrauchern ist Ethanol auch als Lösungsmittel, Kraftstoff und aus alkoholischen Getränken bekannt. Wird Ethanol als CMR-Stoff klassifiziert, würde das Hygienestandards, aber auch die Versorgungssicherheit in Spitälern, Apotheken und Pflegeeinrichtungen gefährden, betont Suchomel. "Ein Ethanol-Verzicht in sensiblen Bereichen schwächt den Infektionsschutz genau dort, wo er am dringendsten gebraucht wird", warnt sie.
Reklassifizierung kommt Verbot gleich
Die Verordnung würde mit der Pflicht einhergehen, Desinfektionsprodukte mit Ethanol durch andere zu ersetzen. "Aber wir haben keine gleichwertigen Produkte zur Verfügung, weswegen jede Klinik genau argumentieren und dokumentieren müsste, warum der Gebrauch weiterhin nötig ist – ein immenser Aufwand, juristische Auseinandersetzungen zur Substitutionspflicht sind vorprogrammiert", skizziert Suchomel.
Hinzu komme die psychologische Komponente: "Wenn auf einem Stoff ein Symbol klebt, dass ihn als krebserregend ausweist, ist man natürlich gehemmt, dazu zu greifen. Auch Hersteller werden die Produktion wohl zunehmend einstellen, weil sie mit steigenden Kosten und neuen Auflagen verbunden ist."
Die Neureglung hätte auch Auswirkungen auf Privatpersonen: "In der Drogerie oder Apotheke kann man dann keine Handdesinfektion mit Ethanol mehr kaufen", sagt Suchomel, die im Alltag aber vom übermäßigen Gebrauch abrät.
Studien zur oralen Aufnahme
Warum stuft das ECHA-Expertengremium Ethanol als derart schädlich ein? "Das Papier basiert auf Studien, die Effekte der oralen Aufnahme von Ethanol untersucht haben", sagt Suchomel. "Ethanol ist also nachweislich krebserregend und anderweitig schädlich, wenn wir es trinken, nicht aber, wenn es auf die Haut aufgetragen wird und dort verdunstet." Die tatsächliche Verwendung von Ethanol werde im aktuellen Verfahren nicht berücksichtigt. "Studien zeigen, dass Ethanol, das über die Haut oder auch die Atmung in den Körper gelangt, unproblematisch ist."
Zusammen mit Fachkollegen versucht Suchomel seit Längerem auf die Folgen einer Reklassifizierung von Ethanol aufmerksam zu machen. Bislang ohne Erfolg: "Vonseiten der behördlichen Verantwortlichen gibt es kaum Diskussionsbereitschaft. Die österreichische Politik scheint die Auswirkungen dieser Einstufung nicht zu verstehen. Für die Tragweite des Entschlusses fehlt das Bewusstsein."
Entscheidung Ende November
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stuft Ethanol aktuell als sicher für die Handhygiene ein. Der zuständige Ausschuss der ECHA wird laut Reuters Ende November zusammentreten. Derzeit prüfe man noch die Sachlage zu Ethanol. Die Regulierungsbehörde erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur, dass sie eine Substitution empfehlen werde, sollte ihr Expertenausschuss zu dem Schluss kommen, dass Ethanol krebserregend sein oder die Fortpflanzungsfähigkeit beeinträchtigen könnte.
Sollte das Gremium befinden, dass Ethanol wegen seiner Gesundheitsrisiken in Hygieneprodukten ersetzt werden soll, muss sich die EU-Kommission mit weiteren Schritten befassen.
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