Mahl-Zeit! Die innere Uhr bittet zu Tisch

Mahl-Zeit! Die innere Uhr bittet zu Tisch
Von Ulrike Krasa
Der Mensch besitzt ein ausgeklügeltes biologisches System, das unseren Tag-Nacht-Rhythmus steuert, die innere Uhr. Die sogenannte zirkadiane Rhythmik beeinflusst nicht nur unseren Schlaf, sondern auch die Körpertemperatur, die Ausschüttung und Konzentration von Hormonen, den Blutdruck und unseren Stoffwechsel. Es ist also nicht nur entscheidend, was wir essen, sondern auch wann. Wer den Großteil seiner Mahlzeiten entgegen seiner inneren Uhr zu sich nimmt, belastet Stoffwechsel und Organe unnötig. Bei der Entwicklung von Übergewicht und Diabetes scheinen die zirkadianen Abläufe eine bedeutende Rolle zu spielen. Univ.-Prof. Dr. Sandra Holasek, Leiterin der Forschungseinheit „Nutrition and Metabolism“ an der Medizinischen Universität Graz sieht „die Problematik in den ungünstigen Rahmenbedingungen, die unsere Lebenswelt verändert haben: Die Möglichkeit 24/7 zu hochkalorischer Ernährung zu greifen, ist fatal. Jeder muss selbst ein Gefühl dafür entwickeln und in sich hineinspüren, um nicht in diese irreguläre Mahlzeitenfolge hineinzutappen.“
Was ist Chrononutrition?
Die chronobiologische Ernährung besagt, dass der Zeitpunkt der Nahrungsaufnahme ebenso wichtig ist wie die Lebensmittelauswahl, da unser Körper im Takt seiner inneren Uhr arbeitet. Am Morgen ist er besonders aktiv, der Stoffwechsel läuft auf Hochtouren. Der Blutzucker wird effizient reguliert, Insulin wirkt besonders gut – ideale Voraussetzungen für ein nahrhaftes Frühstück. Am Abend fährt der Körper seine Aktivität herunter und bereitet sich für die regenerierende Ruhe der Nacht vor. Kalorien werden jetzt schlechter verwertet, Insulin wirkt weniger effektiv und überschüssige Energie wird leichter in Fett umgewandelt. Holasek: „In der Nacht funktioniert der Hunger-, Sättigungsmechanismus anders als untertags. Erfolgt hier eine kalorienreiche Nahrungsaufnahme, stresst das den Körper. Vom Stoffwechsel wird das als Signal für eine Notfallsituation gewertet, die nicht dem normalen Ablauf entspricht. Er tendiert dann zu verstärkter Energieaufnahme um sich für den kommenden „Notfall“ zu wappnen.“ Gemäß der Chrononutrition sollten wir daher viel essen, wenn der Körper bereit ist und weniger, wenn er sich zur Ruhe begibt: Ein nahrhaftes Frühstück und Mittagessen versorgt uns optimal mit Energie. Ein leichtes, frühes Abendessen unterstützt Schlafqualität, Stoffwechsel und automatische Reparaturmechanismen.
Tageslicht und Regelmäßigkeit
Unsere „Masteruhr“ sitzt im Gehirn, in einem Nervenzellkern des Hypothalamus, der das vegetative Nervensystem reguliert. Sie steuert Herzfrequenz, Atmung, Blutdruck sowie Darmperistaltik und orientiert sich am Licht, vor allem am Sonnenauf- und -untergang. Da diese „Masteruhr“ oberhalb der Kreuzung des Sehnervs liegt und Licht, aufgenommen über die Netzhaut, wahrnimmt, sind Hell und Dunkel die zentralen Auslöser. Entscheidend zum Beispiel für die Regulation des Hormons Melatonin, verantwortlich für unser Schlaf-Wach-Verhalten, Blutdruck und Körpertemperatur in der Nacht. „Künstliches Licht von PC oder Handy sind während der Nachtstunden daher besonders ungünstig“, so Holasek. „Cortisol sorgt für Wachheit und definiert das Aktivitätslevel, sinkt aber normalerweise in der Nacht ab. Leptin signalisiert Sättigung nach einer Mahlzeit, Insulin reguliert den Blutzucker. Produziert die Bauchspeicheldrüse mehr Insulin, führt das chronisch hohe Insulinlevel zu mehr Hunger und einer höheren Fettspeicherung.“ Einer der wichtigsten Taktgeber, die unsere innere Uhr beeinflussen und den biologischen Rhythmus stabilisiert, ist daher regelmäßiges Essen untertags. Unregelmäßiges, spätes oder nächtliches Essen kann zu einer Entkopplung der inneren Uhr, einer chronischen Desynchronisation, führen – mit negativen Folgen für Stoffwechsel, Schlaf und Gesundheit. Auch der Darm ist vom Tag-Nacht-Rhythmus geprägt. Ein gestörter Essensrhythmus beeinflusst das Mikrobiom und die Darmbarriere besonders negativ, vor allem mit einer entzündungsfördernden Ernährung wie z. B. Fast Food
Berufsbedingt & Social Jetlag
Schichtarbeiter, Flugbegleiter, Piloten, Spitalpersonal oder Vielreisende mit häufigem Jetlag sollten, so die Expertin Holasek, bereits untertags auf eine optimale Ernährungsqualität mit hohem pflanzlichen Anteil zur Förderung eines gesunden Darmmikrobioms achten. Dies sorge für eine positive Darmbesiedelung und habe großen präventiven Nutzen. Außerdem sollte auf kleine Portionsgrößen geachtet werden, um dem Körper nicht das Signal einer „normalen Mahlzeit“ zu geben.
Sogar der sogenannte „Social Jetlag“, also die komplette Verschiebung der Schlaf- und Essenszeiten am Wochenende, kann schon der Gesundheit schaden. Oftmalig verschobene Essenszeiten können unter anderem zu Übergewicht, Blutzuckerschwankungen, Schlafstörungen und Herzerkrankungen führen. Wissenschaftliche ErkenntnisseTierversuche liefern eindrucksvolle Hinweise: Mäuse, die nur während ihrer aktiven Phase gefüttert wurden, blieben schlank – obwohl sie genauso viele Kalorien erhielten wie Artgenossen, die rund um die Uhr Zugang zu Futter hatten. Dieses Prinzip lässt sich auch auf den Menschen übertragen. Studien zeigen außerdem, dass Frühstücksverzicht das Risiko für Übergewicht, Diabetes Typ 2 und Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöht. Als günstig erweist sich hingegen, „das intermittierende Fasten 16/8, das“ so Holasek „in der dunklen Nachtphase am effizientesten“ funktioniere, oder die Nahrungsaufnahme auf ein bestimmtes Zeitfenster
(z. B. 8 bis 18 Uhr) zu begrenzen. Dies stabilisiert den Blutzucker, Entzündungswerte werden gesenkt, Übergewicht kann reduziert werden – ganz ohne Kalorienzählen. Holasek betont weiters, dass es auch entscheidend sei, sich mindestens 20 Minuten für das Essen zu nehmen, um dem Körper die Zeit zu geben, das Signal der Sättigung überhaupt wahrzunehmen. Chrononutrition könne jedenfalls in der Prävention und Therapie von Übergewicht und Stoffwechselerkrankungen wesentlich unterstützen. Wer im Einklang mit dem Takt seines biologischen Uhrwerks isst, schläft nicht nur besser, lebt fitter und gesünder, sondern beugt auch chronischen Erkrankungen vor.
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