Einsamkeit: „Zu Weihnachten kann diese Empfindung besonders belastend sein“

Ein Mann in grüner Kleidung sitzt nachdenklich am Fenster, neben ihm steht ein geschmückter Weihnachtsbaum.
Zu Weihnachten wiegt Einsamkeit schwerer als sonst. Ein Psychologe und eine Psychotherapeutin haben mit dem KURIER über Möglichkeiten gesprochen, wieder Nähe zu finden.

Wenn draußen zu Weihnachten eine besondere Stille einkehrt und drinnen Familien und Freunde zusammenfinden, beginnt für manche Menschen die schwierigste Zeit des Jahres. 

"Einsamkeit begleitet betroffene Menschen natürlich das ganze Jahr über", erklärt der Psychologe und Einsamkeitsforscher Marcus Mund von der Universität Klagenfurt. "Doch zu Weihnachten kann diese Empfindung besonders belastend sein, da überall der Fokus auf Gemeinschaft, Nähe und Zusammengehörigkeit liegt." 

An gewöhnlichen Tagen im Jahr sei es oft einfacher, Einsamkeitsgefühle auszugleichen. "Doch rund um den Heiligen Abend verengen sich diese Möglichkeiten erheblich."

Einsamkeit ist schmerzhaft

Grundsätzlich ist es wichtig, Einsamkeit und soziale Isolation vom Alleinsein zu unterscheiden. "Einsamkeit bedeutet oft, dass Menschen bestehende Beziehungen als leer und unbefriedigend empfinden. Obwohl Bindungen vorhanden sind, stillen sie nicht das Bedürfnis nach Nähe", erklärt der Psychologe. 

Anders bei der sozialen Isolation: "Hier gibt es nur wenige oder gar keine greifbaren Beziehungen, und die Möglichkeiten für zwischenmenschlichen Austausch sind stark eingeschränkt."

Davon zu unterscheiden sei laut Mund das Alleinsein. "Alleinsein kann auch bewusst gewählt und als wohltuend empfunden werden." So könne man beispielsweise bewusst beschließen, Weihnachten allein zu verbringen, dem Trubel zu entgehen und sich in innerer Einkehr zu üben, den Jahreswechsel aber mit Freunden zu feiern. 

Einsamkeit oder Isolation lassen sich nicht ohne Weiteres beenden. "Wir wissen aus der Forschung, dass Einsamkeit nicht nur generell mit negativen Gefühlslagen einhergeht, sondern Betroffene sie richtiggehend als schmerzhaft empfinden." 

Einsamkeit wirkt auch körperlich. So ist etwa das Stresssystem bei anhaltend einsamen Menschen chronisch aktiv, was langfristig Alterungsprozesse beschleunigen und Erkrankungen begünstigen kann.

"Jeder braucht das Gefühl von Verbundenheit"

Einsamkeit ist häufig mit Schamgefühlen verbunden. Zu Weihnachten treten diese verstärkt auf, weiß Barbara Haid, Präsidentin des Österreichischen Bundesverbandes für Psychotherapie. "Weihnachten konfrontiert Menschen intensiv mit dem Gefühl, keinen Anschluss zu finden. Dazuzugehören ist ein zutiefst menschliches Bedürfnis. Wir sind soziale Wesen, jeder braucht das Gefühl von Verbundenheit."

Betroffene empfinden Einsamkeit richtiggehend als schmerzhaft.

von Marcus Mund

Einsamkeitsforscher

Schüchternheit und depressive Verstimmung als Kontakthürden 

Den Weg aus der Einsamkeit zu finden kann eine große Herausforderung darstellen. "Es ist oft schwer, sich einzugestehen, dass das eigene Bedürfnis nach Verbindung nicht erfüllt wird, da dies mit Gefühlen des persönlichen Versagens einhergehen kann", erläutert Marcus Mund. 

Da Einsamkeit häufig mit Schüchternheit und depressiven Verstimmungen verbunden ist, wird die aktive Suche nach Kontakt für viele Betroffene zu einer Hürde.

Haid ermutigt dennoch dazu, sich zu öffnen: "Einsamkeit ist kein persönliches Versagen. Oft ist es entscheidend, den Mut zu finden, darüber zu reden. Dann entsteht die Möglichkeit, mit Menschen in Kontakt zu treten, die sich ähnlich fühlen."

Wenn ein Zusammensein mit der Familie nicht möglich ist, empfiehlt Haid, Alternativen zu suchen: "Es bietet sich an, sich mit Freunden oder auch Kollegen zusammenzutun." 

Darüber hinaus könne man sich beispielsweise ehrenamtlich bei karitativen Organisationen oder Initiativen engagieren und so mit anderen in Kontakt kommen. "Auch in der Nachbarschaft lassen sich oft Verbindungen knüpfen. Für gläubige Menschen ist es oft einfacher, da Glaubensgemeinschaften spezielle Angebote und Veranstaltungen rund um die Feiertage bereitstellen."

Sich selbst etwas Gutes tun

Zumindest die punktuelle Einsamkeit zu Weihnachten lässt sich durch gezielte Selbstfürsorge abmildern. Haid: "Man kann sich bewusst sagen: 'Ich mache es mir zu Weihnachten allein schön und sorge gut für mich.' Das wäre der Ansatz der Selbstfürsorge, der sich ganz individuell über das, was Freude und Genuss beschert, realisieren lässt."

All jenen, die Weihnachten in Gesellschaft verbringen, empfiehlt Mund, an den Feiertagen das erweiterte Umfeld im Blick zu haben – und gegebenenfalls in Kontakt zu treten. "Aus Studien wissen wir inzwischen, dass wir die Einsamkeit von Menschen, die uns etwas bedeuten, gut einschätzen können", erläutert Mund.

Intensive Einsamkeitsgefühle zu Weihnachten dürfen auch Anlass für Veränderung sein: "Einsamkeit ist immer individuell – in ihren Ursachen, aber auch in den Maßnahmen, die dagegen helfen", betont Mund. 

Er rät Betroffenen, "in einem ersten Schritt zu versuchen, die Wurzel des sozialen Schmerzes zu erkennen, um langfristige Lösungen dafür zu finden".

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