Diabetes: Häufiger als angenommen, aber niemand tut etwas dagegen

Diabetesmessung am Finger
Trotz steigender Fallzahlen, nachgewiesener Risiken und moderner Behandlungsmöglichkeiten mangelt es an Präventionsmaßnahmen sowie Unterstützung und Zugang zu innovativen Therapien für Betroffene.

In Österreich leben derzeit schätzungsweise rund zehn Prozent, etwa 800.000 Menschen, der Bevölkerung mit einem manifesten Diabetes mellitus. Das erklärte Peter Fasching, Präsident der Österreichischen Diabetes Gesellschaft (ÖDG), bei einem Pressegespräch anlässlich des Weltdiabetestags am 14. November. 

Etwa 70 Prozent der Betroffenen seien bereits diagnostiziert, rund 30 Prozent dürften jedoch daran leiden, ohne es zu wissen. Rund 35.000 bis 40.000 Österreicherinnen und Österreicher leiden an Typ-1-Diabetes, was etwa fünf Prozent aller Fälle entspricht. 

"Daten, die aus Vorsorgenuntersuchungen erhoben wurden, machen weiters deutlich, dass Diabetes bzw. seine Vorstufen häufiger auftreten, als vielen bewusst ist", so Fasching. Das belegt etwa eine aktuelle Screeningstudie aus Oberösterreich. Bei mehr als 3.000 hospitalisierten Patientinnen und Patienten ergab die Messung des Blutzuckerspielgels (HbA1c), dass über die Hälfte eine Störung des Zuckerstoffwechsels aufwies – also entweder bereits an Diabetes litt oder sich im Vorstadium, dem Prädiabetes, befand. 

Besonders deutlich wurde das in den höheren Altersgruppen: Bei den über 60-Jährigen war mehr als jede bzw. jeder Zweite betroffen, und unter den 70- bis 79-Jährigen lag der Anteil sogar bei über 60 Prozent. Gefordert sei daher umso mehr ein Ausbau der Früherkennung, wie etwa die routinemäßige Blutzuckerbestimmung im Rahmen der Gesundenuntersuchung sowie bei Krankenhausaufnahmen.

Mehr Struktur gefordert

Österreich bleibt im internationalen Vergleich zurück – sei es am Arbeitsplatz, bei familiärer Unterstützung, beim Betreuungs-Support für Kinder mit Typ-1-Diabetes in pädagogischen Einrichtungen oder bei der Versorgung mit modernen Technologien wie automatisierten Insulinabgabesystemen (AID).

So sind rund sieben von zehn Diabetikern im erwerbsfähigen Alter, drei Viertel berichten von psychischen Belastungen, vier von fünf von sogenannter "diabetischer Erschöpfung". In Österreich zeigen sich Unsicherheiten, Fehlzeiten und mangelnde Unterstützung im Berufsalltag. Gersina Rega-Kaun, erste Sekretärin der ÖDG appelliert deshalb an Arbeitgeber, Personalverantwortliche, Betriebsärzte sowie politische Entscheidungsträger Arbeitsbedingungen zu schaffen, die das Diabetes-Management erleichtern, sowie psychosoziale Betreuung und Gesundheitsförderung zu fördern. Derzeit werden schließlich im Rahmen einer Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsministerium Patientenpfade und multiprofessionelle Versorgungsstrukturen für Typ-2-Diabetes entwickelt, um eine koordinierte und qualitätsgesicherte Betreuung zu gewährleisten.

Besonders deutlich wird, dass das Thema Kinder- und Jugendbetreuung noch nicht ausreichend angekommen ist – ein Rückschritt droht. In der Steiermark steht die Finanzierung des Projekts MOKI DiAB KIDS auf der Kippe, das Familien mit Typ-1-Diabetes-Kindern unterstützt. Speziell geschulte Fachkräfte begleiten die Kinder im Alltag, schulen Pädagoginnen und Pädagogen und entlasten Eltern. Sollte die Förderung eingestellt werden, wäre das für viele Familien ein herber Rückschlag, warnt die ÖDG. "Wenn dieses Netzwerk wegbricht, trägt letztlich das Land die Verantwortung für Unsicherheit, Überforderung und vermeidbare gesundheitliche Risiken", so Kinderärztin Maria Fritsch von der Medizinischen Universität Graz. 

Der drohende Projektstopp gefährdet nicht nur die Versorgung in der Steiermark, sondern auch die geplante österreichweite Ausweitung des Programms.

Uneingeschränkt leben

Während moderne Medikamente und technische Systeme Menschen mit Diabetes heute ein nahezu uneingeschränktes Leben ermöglichen, fehlen vielerorts die politischen und finanziellen Rahmenbedingungen, um diese Möglichkeiten flächendeckend nutzbar zu machen.

Auch bei der technologischen Versorgung hinkt Österreich anderen Ländern deutlich hinterher, so die Fachleute. Während automatisierte Insulinabgabesysteme (AID) und kontinuierliche Glukosemessungen (CGM) international längst zum Standard gehören, sind Zulassung, Vergütung und Verfügbarkeit hierzulande noch immer bürokratisch blockiert. "Wir brauchen endlich verlässliche, innovationsfreundliche Rahmenbedingungen und klare Erstattungspfade", fordert ÖDG-Vorstandsmitglied Julia Mader. Der eingeschränkte Zugang zu moderner Technologie schränkt nicht nur die Wahlfreiheit von Patientinnen und Patienten ein, sondern verzögert auch die Integration evidenzbasierter Systeme in die Regelversorgung – mit gesundheitlichen und ökonomischen Folgen.

Fasching formuliert es klar: "Wenn wir die Strukturen verbessern, fördern wir nicht nur die Lebensqualität der Betroffenen, sondern entlasten auch das Gesundheitssystem und senken langfristig die volkswirtschaftlichen Kosten."

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