Über die Riechzellen gelangen Gerüche direkt ins Gehirn
Kaum ein anderes Fest ist derart auf der sinnlichen Ebene angesiedelt, vor allem auf jener von Gerüchen. Das hat einen plausiblen Grund: „Je spezifischer ein Duft in einer bestimmten Situation ist, desto eher wird er auch mit diesem Moment abgespeichert und je intenisiver die Emotion in dieser Situation umso stärker wird damit verknüpft“, erklärt Hatt. „Weihnachten ist statistisch bei den meisten Menschen positiv besetzt.“
Dass die Verknüpfung von Gerüchen und Gefühlen derart stark ist, beruht auf der Anatomie der Nase und des Riechprozesses: Jede der rund 20 Millionen Riechzellen gibt über ins Gehirn reichende Nervenfasern ihre Informationen an den Riechkolben ab. „Dort wird dann ein Duftmuster angelegt und von dort ins Gedächtnis- sowie ins Emotionszentrum geleitet, miteinander verknüpft.“ Gleichzeitig passiert aber noch etwas Wichtiges: „Die Emotion des Moments wird gemeinsam mit dem Duftmuster abgespeichert.“
Ältester Sinn, aber ein junger Forschungszweig
Viele Details über die Funktionen des Riechens waren vor rund 20 Jahren noch unbekannt. „Riechen war tatsächlich der vergessene Sinn des Menschen“, erinnert sich Hanns Hatt. Dabei ist das Riechzentrum der älteste Sinn des Menschen – und hat den direktesten Zugang zum Gehirn. Der studierte Zellphysiologe kam über biologische Forschungen mit Nachtfaltern und Schmetterlingen während seines Studiums zur Riechforschung. Sein „Glück“, wie er es rückblickend betrachtet, war das Neuland des menschlichen Riechens. Er entdeckte unter anderem die ersten Riechrezeptoren beim Menschen und zählt heute zu den international renommiertesten Geruchsforschern.
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Allerdings ist das Forschungsfeld der Geruchsforscher nicht allein auf die Nase beschränkt, wie neuere Erkenntnisse zeigen. „Wir fanden etwa heraus, dass Duftrezeptoren nicht nur in der Nase, sondern auch in anderem Gewebe des Körpers vorkommen“, erläutert der Experte. Duftstoffe können über den Magen-Darm-Trakt, die Haut (z. B. Einreiben, Anm.) oder Inhalation in den Körper gelangen. „Nach 15 Minuten sind sie im Blut nachweisbar.“
Riechrezeptoren gibt es auch im Darm
Hier schließt sich erneut der Kreis mit Weihnachten und wirft ein völlig neues Licht auf die mit dem Fest verbundenen Düfte. Gewürze wie Nelken, Anis, Zimt für Kekse oder Beifuß für die gebratene Gans werden über die Geruchsrezeptoren des Darms aufgenommen. „Sie beruhigen etwa den Darm, fördern die Verdauung.“ Es sei also kein Zufall, dass bestimmte Gewürze verwendet werden. „Sie haben sich durchgesetzt, weil ihre Wirkung gerade beim süssen und oft fettigen Weihnachtsessen wichtig war.“ Das Fest zeige aber auch: „Früher haben die Menschen Erfahrungsmedizin betrieben. Heute kann man das beweisen.“
Nicht nur die emotionale Verbindung hat Auswirkungen auf die Wahrnehmung von Gerüchen – auch der Seltenheitsfaktor spielt eine Rolle. Orangen, Feigen oder Nüsse sind längst das ganze Jahr über erhältlich, „als typisches Weihnachtsobst haben sie an Wert verloren“, sagt Hatt. Auch dahinter steht ein mittlerweile erforschter Mechanismus. „Werden Gerüche zu Ganzjahresdüften, verlieren sie ihren Reiz, die spezifischen Erinnerungenund damit auch die Emotionen gehen verloren.“ Dagegen hilft laut dem Duftforscher ein Riechtraining der anderen Art. „Ich empfehle, bestimmte Düfte für bestimmte Situationen zu reservieren.“ So gesehen ist die Einmaligkeit von Weihnachten im Jahreslauf ein Glück.
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