Pharma-Unternehmer: "Das ist eine Katastrophe für die Patienten, die leiden"

Unternehmer Clemens Fischer
Das Münchner Pharma-Unternehmen "Futrue" hat Clemens Fischer groß gemacht, sein neuestes Arzneimittel basiert auf Cannabinoid, zeigte in Studien kein Abhängigkeitspotenzial, dafür große Wirkung. Fischer will es als Alternative zu Opioiden auf den Markt bringen.
KURIER: An chronischen Schmerzen leiden in Österreich 1,8 Millionen Menschen, weltweit sind es 1,5 Milliarden. Das sind mehr als bei Diabetes, Herzerkrankungen und Krebs zusammen. Woher kommt das?
Fischer: Der wohl größte Faktor ist das zunehmende Alter der Menschen und die damit einhergehenden Erkrankungen. Es tritt etwa vermehrt Arthrose in den Gelenken oder Diabetes auf, also ein erhöhter Blutzucker. Dieser greift die Nerven an, so können Brennen, Kribbeln und Taubheitsgefühle entstehen, sogenannte Nervenschmerzen. Auch Viren können die Nerven schädigen und starke Schmerzen auslösen wie etwa beim Herpes Zoster, das Immunsystem ist nicht mehr so stark wie früher.
Warum ist die Behandlung so herausfordernd?
Bei akutem Schmerz zeigt der Körper an, dass ein Gewebe nicht mehr in Ordnung ist. Chronische Schmerzen hingegen sind ein Fehlmechanismus des Nervensystems, der sich oft selbst verstärkt. Während akuter Schmerz eine sinnvolle Schutzfunktion hat, ist chronischer Schmerz oft nutzlos, weil er keine reale Bedrohung mehr signalisiert, aber das Leben der Betroffenen massiv einschränkt.
Opioide lindern Schmerzen, aber nur jeder Dritte berichtet von langfristiger Wirkung. Ihr neues Medikament verspricht das – welche Studienreihen liegen zugrunde?
1700 Patienten haben bisher an unseren Studien teilgenommen. Unsere Zulassungsstudie untersuchte die Wirkung unseres Arzneimittels bei chronischen Rückenschmerzpatienten über ein Jahr hinweg. Wir sind überzeugt, dass unser Medikament einen Durchbruch darstellen kann, da es in unseren Studien nicht nur die Schmerzen signifikant und langfristig reduzierte, sondern auch die häufigen Begleitsymptome Schlaflosigkeit und Bewegungseinschränkungen deutlich verbesserte.
Kann es eine Gefahr sein, wenn man Schmerzzentren komplett ausschaltet? So könnte man akuten Schmerz auch nicht mehr spüren.
Interessante Frage, so habe ich das noch nicht betrachtet. Man stellt den Schmerz aber nicht ganz aus, sondern verändert die Wahrnehmung. Der Patient weiß also noch, dass er Schmerzen hat, nur sie bedeuten ihm nicht mehr so viel. Ein Vergleich zur Psychotherapie: Dort wird gelernt, auf einen Reiz nicht mehr so stark zu reagieren.
Sie kritisieren stets, dass die Entwicklung von Medikamenten zu lang dauert. Warum ist das so?
Die Anforderungen an neue Medikamente haben sich gigantisch aufgebläht. Ich behaupte, dass zahlreiche bürokratische Anforderungen Null Komma Null Effekt auf die Sicherheit der Patienten haben.
Bei Covid ging es aber flott.
Ja, und jetzt sind wir zurück auf Los. Die Covid-Krise hat aber gezeigt, wie schnell und sicher ein Arzneimittel hergestellt werden kann, wenn alle an einem Strang ziehen.
Es gibt aber viele Felder, wo dies nötig wäre – im Bereich Adipositas, Krebs, Herzkreislauferkrankungen, um nur einige Beispiele zu nennen.
Es liegt aber nicht an den Ressourcen der Forschung. Es gibt ohne Ende Firmen, die an diesen Feldern arbeiten. Geld für diese Firmen ist auch im Überfluss vorhanden.
Woran liegt es dann?
Unter anderem an den Regularien und den Bürokratien, die sich ins Unermessliche geschraubt haben. Ich verstehe, dass niemand einen Fehler machen will, aber das ist eine Katastrophe für die Patienten, die leiden. Wenn man diesen Aufwand reduzieren könnte, wäre viel geschafft. Bei manchen Wirkstoffen weiß man etwa, dass diese sicher sind bzw. kennt ihr Sicherheitsprofil, trotzdem muss bei jeder Neuentwicklung auch das häufig erneut belegt werden. Es macht so oft keinen Sinn.
War das früher anders?
Ja, vor 30 Jahren hat die Arzneimittelentwicklung nicht einmal halb so lange gedauert wie heute.
Welchen Marktanteil und welchen Umsatz erwarten Sie sich von Ihrem Arzneimittel?
Allein der Schmerzmittelmarkt der USA liegt bei 50 Milliarden Dollar, davon die Opioide 12 bis 15 Milliarden. Wir glauben, dass wir Opioide weltweit ersetzen können. Wenn wir einen Marktanteil von mindestens 20 Prozent haben, was uns in manchen Bereichen wie Reizdarm mit einem anderen Medizinprodukt schon gelungen ist – dort stehen wir bei 40 Prozent –, ergibt das ein Potenzial von 15 Milliarden Dollar jährlich. Zum Vergleich: Die Migräneblocker machten im zweiten Jahr nach der Einführung ca. 12 Milliarden Dollar Umsatz.
Welche Schritte folgen nun?
Das Arzneimittel ist verschreibungspflichtig, wir versuchen die Mediziner mit Studien von der Wirkung zu überzeugen. Wir hoffen auf die Zulassung im Juli, einige Monate danach könnte die Markteinführung losgehen. Wir starten mit Österreich und Deutschland, gehen dann in acht weitere europäische Länder, parallel wollen wir in den USA starten.
Wie groß ist die Produktionsmenge?
Derzeit stehen wir bei fünf Millionen Flaschen pro Jahr, und planen gerade eine zweite Plantage samt hochmoderner Produktionsanlage. Die erste steht in Dänemark, da wir z.B. in Österreich keine eigene Plantage betreiben dürfen. Den Bedarf können wir noch nicht einschätzen, mit der Menge können wir aber im ersten Schritt pro Jahr eine Million Menschen versorgt werden.

Vertanical VER-01 könnte demnächst zugelassen werden
Sie gelten als rastloser Unternehmer, an welchen Produkten arbeiten Sie als nächstes?
Am Ausbau der Indikationen – etwa konkret bei Arthroseschmerzen oder Nervenschmerzen. Wir entwickeln aber auch gerade ein Mikrobiom, das das Darmmikrobiom eins zu eins nachbaut und versuchen hier schon Ende des Jahres erste klinische Studien bei Krebserkrankungen zu machen. Außerdem ist der Placebo-Effekt bei Schmerzen ein großes Thema, wir können genau orten, wo im Gehirn der bei Schmerzpatienten auftritt und wir überlegen und arbeiten bereits daran, über Chips im Gehirn eine Art Placeboeffekt nachzuahmen und damit Schmerzen deutlich zu reduzieren oder auszuschalten – ganz ohne Pillen.
Wenn man Ihnen so zuhört, könnte man glauben, alles sei so einfach.
So einfach ist es nicht. Und es gibt ganz viele Rückschläge. Meine Kinder sagen immer, Papa, deinen Job wollen wir nicht haben, denn Menschen kommen immer nur mit Problemen zu dir. Der Alltag sieht so aus, dass das meiste nicht klappt. Das muss man ganz ehrlich so sagen. Das ist ein bisschen so, wie in der Politik.
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