Große Fortschritte bei schonenderen Strategien gegen Brustkrebs

Unrecognizable female gynocologist looking at a mammogram at the hospital
5.000 Spezialistinnen und Spezialisten aus 100 Ländern werden diese Woche in Wien neue Ansätze diskutieren. Ein zentrales Anliegen: Die Behandlungen so verträglich wie nur möglich zu gestalten.

Wien wird in dieser Woche zur „Welthauptstadt der Brustkrebsforschung“, wie es der Chirurg und Brustkrebsspezialist Michael Gnant formuliert: Rund 5.000 nationale und internationale Expertinnen und Experten werden zur alle zwei Jahre stattfindenden „St. Gallen International Breast Cancer Conference“ erwartet. Im Mittelpunkt stehen dabei aktuelle Entwicklungen zur Therapie von Brustkrebs im Frühstadium. Ein großes Thema dabei: Bei welchen Patientinnen und Patienten ist es möglich, den Einsatz belastender Therapien zu verkürzen oder sogar ganz darauf zu verzichten?

KURIER: Welche Entwicklungen gibt es bei der Therapie von frühem Brustkrebs?

Michael Gnant: Es geht immer stärker hin zu einer individuell angepassten Therapie. 80 Prozent der Brustkrebspatientinnen in Österreich können heute geheilt werden. Um die restlichen 20 Prozent auch heilen zu können, benötigen wir neue Therapien – oder einen vielleicht auch intensiveren Einsatz bestehender Verfahren. Gleichzeitig gibt es eine starke Entwicklung in die Richtung, belastende Therapien zu reduzieren, also weniger zu tun, wo es medizinisch vertretbar ist.

Ein konkretes Beispiel dafür?

Früher war es Standard, nach der operativen Entfernung eines Brusttumors die Lymphknoten unter der Achsel zu entfernen. Dann zeigte sich, dass es ausreicht, nur einzelne Wächterlymphknoten zu entfernen. Der nächste Schritt ist jetzt: Müssen überhaupt immer Lymphknoten entfernt werden? Neue Daten zeigen: Bei bis zu 30 Prozent der Patientinnen, jene mit sehr kleinen Tumoren, kann darauf möglicherweise verzichtet und so die Lebensqualität deutlich erhöht werden.

Große Fortschritte bei schonenderen Strategien gegen Brustkrebs

Brustkrebsspezialist Univ.-Prof. Dr. Michael Gnant

Ein zweites Beispiel ist die Bestrahlung nach einer Tumorentfernung. Jahrzehntelang erstreckte sich diese über sechs Wochen, jeweils mehrere Tage pro Woche. Das ist natürlich eine große Belastung. Österreich ist Vorreiter bei einem auf zwei bis zweieinhalb Wochen verkürzten Bestrahlungszyklus. Bei Patientinnen mit geringem Rückfallrisiko scheinen aber bereits fünf Tage – von Montag bis Freitag – zu genügen. Dadurch werden die Nebenwirkungen geringer, gleichzeitig aber auch die onkologischen Ambulanzen entlastet.

Bei der Konferenz in Wien wird ein Gremium von rund 80 internationalen Top-Expertinnen und Experten für solche neue Entwicklungen konkrete Behandlungsempfehlungen formulieren. Diese Leitlinien werden in einem Fachmagazin veröffentlicht. In vielen Ländern Asiens etwa sind diese Empfehlungen die Grundlage dafür, ob das öffentliche Gesundheitssystem die Kosten für eine Behandlung übernimmt oder nicht.

Wieso findet eine „St. Gallen Konferenz“ in Wien statt?

Ein renommierter Schweizer Onkologe hat vor rund 40 Jahren dieses Konferenzformat mit 500 bis 600 Teilnehmenden gegründet. Irgendwann wurde die Messehalle in St. Gallen zu klein und ein anderer Veranstaltungsort wurde gesucht. Dass die Wahl auf Wien fiel, liegt auch daran, dass Wien und Österreich in der Brustkrebsforschung international führend sind. Wir haben eine Struktur für die Organisation nationaler und internationaler Studien geschaffen, die ziemlich einzigartig ist.

Diese Studiengruppe für Brust- und Darmkrebs (ABCSG) hat in den vergangenen 40 Jahren 80 Studien an österreichischen und auch ausländischen Brustkrebszentren durchgeführt. Rund 30.000 Patientinnen nahmen daran teil. Für sie bedeutet dieses Netzwerk: Sie erhalten quer über Österreich im Wesentlichen die gleiche Behandlungsqualität und die neuesten Therapien– egal, ob sie an einer Uni-Klinik oder einem zertifizierten regionalen Brustkrebszentrum behandelt werden. Etliche unserer Ergebnisse führten zu Änderungen der Therapie.

Welche zum Beispiel?

Für Schlagzeilen sorgte 2018 die Erkenntnis, dass ein Osteoporosemedikament bei Frauen nach dem Wechsel mit hormonabhängigem Brustkrebs das Risiko für ein Wiederauftreten eines Tumors deutlich senkt. Oder dass die Antihormontherapie auf maximal sieben Jahre beschränkt werden kann – davor wurde sie bis zu zehn Jahre lang nach der Tumorentfernung durchgeführt.

Und worum geht es in aktuellen Studien?

Heuer ist der Start von fünf Studien geplant. Ein Thema ist, bei welchen Patientinnen und Patienten Chemotherapie bereits zur Gänze durch andere, verträglichere Behandlungsformen wie die Immuntherapie ersetzt werden kann. Von meinen Patientinnen ist das bereits jede dritte. Bei anderen wiederum kann wahrscheinlich die Zahl der Chemotherapiezyklen zumindest reduziert werden.

Können Krebszellen schon im Blut aufgespürt werden?

Bluttests, mit denen im Plasma zirkulierendes Erbgut von Tumorzellen im Blut nachgewiesen werden kann, gibt es bereits. Derzeit werden solche Tests bereits bei Patientinnen im fortgeschrittenen Stadium eingesetzt. Damit kann das genetische Profil von Metastasen ermittelt werden – eine belastende Gewebeprobe ist nicht mehr notwendig. Vom Ergebnis hängt dann die Wahl der weiteren Therapie ab. Auch kann frühzeitig das Wiederauftreten eines Tumors erkannt werden. Ziel ist jetzt, diese Methode bereits in früheren Erkrankungsstadien einzusetzen.

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