Die bewusste Zeit mit sich selbst eröffnet Raum für Selbstreflexion, Kreativität und innere Ruhe – und wird zu einer Quelle der Erneuerung und inneren Stärke. Bewusst gewähltes Alleinsein kann heilsam und wohltuend sein – anders als unfreiwillige Einsamkeit. „Alleinsein hat nichts damit zu tun, ob ich einsam bin. Vielmehr ist es ein vorübergehender Zustand, den ich selbst auswählen oder beenden kann. Das ist bei Einsamkeit nicht der Fall“, erklärt Psychologe Marcus Mund von der Universität Klagenfurt. Der Einsamkeitsforscher befasst sich in seinen Untersuchungen mit den Auswirkungen von freiwilligem aber auch unfreiwilligem Alleinsein.
Ist die Zeit mit sich selbst bestimmt, bietet sie durchaus zahlreiche Vorteile, insbesondere in bestimmten Lebensphasen, sagt Mund. Nach intensiven Arbeitstagen, wenn man beruflich stark gefordert ist oder ständig mit anderen Menschen zu tun hat, sehne man sich oft nach einer Auszeit. Gerade in einem Umfeld, das hohe Leistung und ständige Erreichbarkeit fordert, kann das bewusste Alleinsein eine notwendige Erholung sein, wie Studien zeigen.
Batterien aufladen
Das gilt auch für Eltern, die ihren Alltag rund um die Bedürfnisse ihrer Kinder gestalten – sie erleben das Alleinsein oft als eine seltene, aber umso wertvollere Auszeit. Diese oft auch nur kurzen Momente bieten ihnen die Möglichkeit, die Batterien wieder aufzuladen und sich selbst wieder als eigenständige Person wahrzunehmen. Auch kreative Menschen nutzen Phasen des Alleinseins, um neue Ideen zu entwickeln und Inspiration zu finden. Abseits von äußeren Reizen und Ablenkungen lässt das Alleinsein Raum für innere Reflexion und kreative Schaffensprozesse. Studien belegen, dass diese Art des Rückzugs die Kreativität und Problemlösungsfähigkeiten fördern kann. Besonders in künstlerischen oder geistigen Berufen gilt das Alleinsein als eine Quelle neuer Energie.
Persönlichkeit spielt eine Rolle
Ob es einem leichtfällt, ohne andere zu sein, oder schwer, hänge auch von der Persönlichkeit ab. Introvertierte Menschen sind laut Mund gerne öfter alleine als extrovertierte. Sie brauchen den Trubel rund um sich herum nicht oder zumindest weniger. „Während den Lockdowns in der Pandemie haben introvertierte Personen nicht so gelitten wie extrovertierte, die geselliger sind und gerne Menschen um sich haben“, sagt Mund. Im Gegenteil: Introvertierte bräuchten das Alleinsein manchmal richtiggehend, um sich von „sozialer Überlastung“ zu erholen.
Auch über die Lebensspanne hinweg ändert sich die Wahrnehmung von freiwilligem Alleinsein. „Für Kinder und Jugendliche ist alleine zu sein gleichbedeutend mit einsam zu sein. Bei Unter-30-jährigen spielt allgemein die Quantität der sozialen Kontakte eine große Rolle für das Wohlbefinden. Ab etwa 30 Jahren ändert sich das Bedürfnis nach Nähe“, weiß Mund. Die Qualität der sozialen Kontakte wird wichtiger. Und: Je älter man wird, desto positiver werde selbst gewähltes Alleinsein wahrgenommen.
Es sei eine alterstypische Entwicklung, dass wir im mittleren und höheren Erwachsenenalter öfter alleine sind und es dann mehr zu schätzen wissen – immer unter der Voraussetzung, dass das Alleinsein jederzeit beendet werden könnte. „Vorübergehende Einsamkeit ist etwas, das wir alle im Lauf des Lebens erleben, etwa nach Trennungen oder nach Umzügen. Bei den meisten geht diese Art der Einsamkeit aber wieder vorbei.“
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