Jugendpsychiater Plener: "Gefahr der Nachahmung ist nicht kleinzureden"

Jugendpsychiater Paul Plener sprach in der ZIB2 über die Dynamiken, die den sogenannten "School Shootings" zugrunde liegen könnten. Auch kritisiert er das liberale Waffengesetz in Österreich.

Nach dem Amoklauf, der sich am Dienstagvormittag in einer Grazer Schule ereignet hat, steht neben dem Schock und der Trauer auch die große Frage nach dem Warum im Raum. 

Mit einer Pistole und einer Schrotflinte bewaffnet hat ein 21-jährige Ex-Schüler den schlimmsten Amoklauf in einer Schule der österreichischen Kriminalgeschichte begangen. Zehn Opfer sind tot – darunter acht Schüler und zwei Lehrkräfte. Ein weiteres Todesopfer ist der Amokläufer selbst, der in einer Toilette der Schule Suizid begangen hat. 

Ersten Ermittlungserkenntnissen zufolge soll sich der 21-Jährige, der vor der Tat nicht amtsbekannt war, in seiner früheren Schulzeit an der Bildungseinrichtung gemobbt gefühlt haben. Rache beziehungsweise Frust gelten als mögliche Motive. Warum die Tat allerdings erst Jahre nach der womöglich erlittenen Kränkung an der Schule erfolgt ist, dafür habe man aktuell noch keine schlüssige Erklärung.

Paul Plener, Präsident der Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, sprach dazu am Dienstagabend in der ZIB2. 

Jugendpsychiater Plener: "Männer holen sich seltener Hilfe"

Zunächst stellt der Experte klar, dass es eine normale Reaktion sei, nach den Geschehnissen in Graz in einem "Alarmzustand" zu sein. Das Verarbeiten sei "menschlich". Lehrpersonen rät er, dem Besprechen der Ereignisse Raum zu geben. "Lehrerinnen und Lehrer sollen den Kindern zeigen, dass sie offen sind, Gespräche darüber zu führen."

Auf die Frage von Moderator Armin Wolf, ob Amokläufer Gemeinsamkeiten aufweisen, erklärt der Psychiater, dass gerade "School Shootings" nicht in Rage und Affekt passieren, sondern es meist eine vorlaufende Planung geben würde. Auch Kränkungserlebnisse in der Vergangenheit würden eine große Rolle spielen. Man könne jedoch keinesfalls sagen, dass psychisch kranke Menschen automatisch dazu tendieren würden, so eine Tat zu begehen.

Warum die Täter aber meist männlich sind? "Weil Männer sich bei körperlichen oder psychischen Problemen seltener Hilfe holen. Das zeigt sich auch in der Suizidrate. Hilfe in Anspruch zu nehmen sei offenbar noch nicht im gesellschaftlichen "Männlichkeitsbild" verankert, so der Experte.

Kinderpsychiater Paul Plener, MedUni Wien.

Paul Plener leitet die Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Med-Uni Wien.

Amoklauf: "Dem Täter nicht viel Raum geben"

Gäbe es Hinweise oder Warnsignale vor Amokläufen, die auffallen könnten? Laut Studien sei die Mehrzahl der School Shootings in irgendeiner Weise vorab publik gemacht worden, etwa durch Online-Manifeste oder Fotos mit Waffen auf Social Media, was man als "Leaking" bezeichnet, so Plener.

Auf die Frage, warum der Täter bei einem geplanten Suizid auch andere Menschen mit in den Tod reißen wollte, erklärt Plener, dass solche Menschen etwas zu "hinterlassen" wünschen, in dem Wissen, dass es danach Berichterstattung über ihre Person geben wird. Insbesondere Medien nimmt der Experte hier in die Pflicht, dem Täter also nicht zu viel Raum zu geben, sein Leben nicht in den Vordergrund medialer Berichte zu stellen. 

Gefahr der Nachahmung?

Moderator Wolf bemerkt, dass in ganz Österreich ein/e Schulpsychologe/Schulpsychologin auf 5.600 Schülerinnen und Schüler gibt. "Brauchen wir mehr Schulpsychologen?" will er von seinem Studiogast wissen. "Das ist einfach zu beantworten: Ja. Das ist sicher etwas, über das man spätestens jetzt nachdenken sollte," so Plener. 

Wie groß sei die Gefahr der "Vorbildwirkung" nach einem Amoklauf, möchte Wolf noch von dem Kinder- und Jugendpsychiater wissen. "Die ist tatsächlich nicht kleinzureden," so die Antwort. Abermals ruft Plener dazu auf, vorsichtig damit zu sein, was über den Täter öffentlich kolportiert wird. "Man will wenig Identifikationspotenzial bieten. Je weniger Beschäftigung mit dem Täter und seinen möglichen Motiven passiert, umso besser wäre es. Ich denke, es ist Zurückhaltung geboten."

Abschließend zeigt sich auch der Psychiater überrascht darüber, wie viele Schusswaffen in Österreich registriert sind: 1,5 Millionen. Um ein Gewehr hierzulande kaufen zu können, muss man lediglich volljährig sein, für den Erwerb einer Pistole zumindest einen psychologischen Test ablegen. Aber: Dieser messe nur, ob jemand ein "besonders risikohaftes Verhalten" hat - der Test könne nicht ermitteln, ob jemand tatsächlich gefährlich sei. Aus seiner Sicht sei es sehr wünschenswert, beim liberalen Waffengesetz in Österreich zu eines strengeren Regelung zu kommen, so Plener.

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