Krisenfeuerwehr: Sozialpartnerschaft wieder im Aufwind
Es musste ganz schnell gehen. Die Wirtschaft des Landes massiv bedroht, Hunderttausende Jobs Gefahr. Den Sozialpartnern und der Regierung war der Ernst der Lage bewusst. In nur drei Stunden stellten Wirtschaftskammer, Arbeiterkammer und Gewerkschaft ein Kurzarbeitsprogramm auf die Beine, das vielen Unternehmen helfen wird, zu überleben.
Dass Österreich schon die Finanzkrise ohne katastrophale wirtschaftliche Folgen durchtauchte, war damals hauptsächlich der staatlich geförderten Kurzarbeit zu verdanken.
Am Verhandlungstisch saßen am Samstag vor einer Woche die obersten Chefs: Wolfgang Katzian für den ÖGB, AK-Präsidentin Renate Anderl und Wirtschaftskammer-Boss Harald Mahrer, mit ihren engsten Stäben. Auch dabei Christoph Neumayer, Generalsekretär der Industrie, die zwar kein Sozialpartner ist, aber bei dieser Feuerwehraktion mit ins Boot geholt wurde.
Unmittelbar nach der Blitz-Einigung eilten Katzian und Mahrer gemeinsam zu ÖVP-Finanzminister Gernot Blümel und Vizekanzler Werner Kogler (Grüne). Es galt, keine Zeit zu verlieren, übers Wochenende musste das Paket vorbereitet werden.
Die Sozialpartner haben ihre Brauchbarkeit als Krisenfeuerwehr bewiesen.
Immer noch oder gerade erst wieder, je nach Betrachtungsweise. Seit Jahren verlor die Sozialpartnerschaft an Bedeutung. Die Zeiten, in denen die Vertreter von Arbeitgebern und Arbeitnehmern mit ihrer Pflichtmitgliedschaft als Garant für den sozialen Frieden und den Wohlstand in Österreich galten, sind längst politische Nostalgie.
Stattdessen kam die Institution immer stärker als Besitzstandswahrer und Nebenregierung in die Kritik. Die Situation war zuletzt völlig verfahren. Keine Relevanz mehr bei der Regierung und untereinander nur noch erbittertes Hauen und Stechen.
Jetzt aber ist alles anders.
Der ÖVP-nahe Flughafen-Vorstand Günther Ofner etwa spricht vom „Beweis für die Funktionsfähigkeit, aber auch für die Notwendigkeit der Sozialpartnerschaft“. Entscheidend seien die Schnelligkeit und der Schulterschluss mit der Regierung, „eine gute Voraussetzung dafür, dass Österreich auch diese Krise gut übersteht“. Der lahmgelegte Wiener Flughafen will von der Kurzarbeit Gebrauch machen.
„Wenn’s ernst wird, siegt die Vernunft gegenüber parteipolitischen und ideologischen Differenzen“, konstatiert Wolfgang Hesoun, Österreich-Chef von Siemens, einen „der wenigen positiven Aspekte dieser Krise“. Mit Hilfe der Kurzarbeit werde es den heimischen Unternehmen gelingen, „nach der Krise rasch wieder in den Normalbetrieb zu kommen“. Die Regierung „macht wirklich einen guten Job“, betont Hesoun, der als SPÖ-nahe gilt.
„Kein Löschblatt“ passe zwischen Unternehmen und Mitarbeiter, Ältere und Jüngere - und zwischen Sozialpartner und Regierung“, sagt WKÖ-Chef Mahrer. Ihm ist die Erleichterung über die Kurzarbeitslösung anzumerken.
Die Beteiligten müssten die Dinge neu denken, „und die alten Grabenkämpfe hinter sich lassen“. Mahrer ortet eine Chance für Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Regierung, „neu aufeinander zuzugehen“. Auch nach der Krise. Ihm schwebt eine Sozialpartnerschaft „neuen Stils im digitalen Zeitalter“ vor, „aus dieser Sozialpartnerschaft könne eine „Zukunftspartnerschaft“ werden.
Mahrer tut sich freilich leichter als Gewerkschaft und AK. Er gehört dem türkisen Lager an und saß bei den Koalitionsverhandlungen mit am Tisch, während die Arbeitnehmervertreter keine Rolle spielten und zuvor von Türkis-Blau in ihrem Einfluss stark beschnitten wurden. Stichwort Reform der Sozialversicherung und 12-Stunden-Tag.
Direkter Draht zum Kanzler
Heute allerdings hat ÖGB-Chef Katzian einen direkten Draht zu ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz, der sich in der Vergangenheit auch nicht gerade als Sympathisant der Sozialpartnerschaft geoutet hatte. Er habe den Eindruck, „im Moment steht nicht die Partei im Vordergrund“, sagt Katzian. Die derzeit gute Gesprächsbasis mit der Regierung habe „natürlich mit der Krise zu tun“, ist der oberste Gewerkschafter Realist. Er hoffe sehr, dass die Gewerkschaft „auch nach der Krise wieder eingebunden wird“.
Mitglieder
Wirtschaftskammer (knapp 664.000 Pflichtmitglieder), Arbeiterkammer (3,2 Mio. Mitglieder), Landwirtschaftskammer (200.000 ) und ÖGB mit 1,2 Mio. freiwilligen Mitgliedern.
Nebenregierung
Die Sozialpartnerschaft entstand nach dem Zweiten Weltkrieg, steuerte nicht nur Löhne, auch Preise und Märkte sowie die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung. Sie hatte lange Zeit enormen politischen Einfluss, man warf ihr aber auch zunehmende Erstarrung vor, dazu kamen Funktionärsskandale. FPÖ (seit Haider) und Neos fordern eine Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft.
„Ich habe so eine Stimmung, wie in den Verhandlungen der vergangenen Tage überhaupt noch nie wahrgenommen“, schildert AK-Präsidentin Anderl. In den Sozialpartner-Runden als auch mit der Bundesregierung. Alle würden an einem Strang ziehen „sind zu Kompromissen im Sinn des großen Ganzen bereit“. Unter Türkis-Blau „war die Sozialpartnerschaft bekanntlich abgemeldet. Ich glaube und hoffe, dass hier etwas entsteht, auf dem wir wieder aufbauen können“.
Bei soviel gutem Willen könnte Ex-Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) doch falsch gelegen sein, als er befand: „Die Sozialpartnerschaft ist tot. Sie weiß es nur noch nicht“.
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