Ungereimtheiten vor Schließung der Commerzialbank
800 Millionen Euro Überschuldung, ein Bankchef mit hoher krimineller Energie, Multiorganversagen von Aufsicht, Wirtschaftsprüfer und Staatsanwaltschaft, eine Klage der Einlagensicherung an die Republik über fast eine halbe Milliarde Euro. Der Zusammenbruch der burgenländischen Commerzialbank ist jetzt auch ganz oben angekommen – SPÖ-Landeshauptmann Hans Peter Doskozil und der SPÖ-nahe Vorstand der Finanzmarktaufsicht (FMA), Helmut Ettl, zählen seit Kurzem zum Kreis der zahlreichen Beschuldigten.
Doskozil und Ettl werden von der Staatsanwaltschaft Eisenstadt wegen des Verdachts auf Falschaussage vor dem U-Ausschuss als Beschuldigte geführt und mussten ihre Handys abgeben, Ettl hat außerdem ein Verfahren der WKStA wegen des Verdachts auf Verletzung des Amtsgeheimnisses am Hals. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Insidertipp?
Im Hintergrund steht allerdings die viel wesentlichere Frage, ob vor der Schließung der Bank am Abend des 14. Juli 2020 Informationen weitergegeben wurden und ob jemand von einem Wissensvorsprung profitierte. Also, ob jemand einen Insidertipp bekam und noch rasch Geld abheben wollte oder konnte. Wie der KURIER berichtete, versuchte etwa die Landesgesellschaft RMB 1,2 Millionen (erfolglos) von ihrem Commerzialbank-Konto abzuziehen. Wobei der KURIER die Weitergabe von Infos weder Doskozil noch Ettl unterstellt.
Aus einem Bericht der FMA an das Finanzministerium exakt einen Monat nach Sperre der Bank und aus einer Aussage vor dem U-Ausschuss ergeben sich jedenfalls Ungereimtheiten.
Laut dem Bericht war es schon am Tag, bevor die Regionalbank implodierte, hektisch (siehe Faksimile). Der FMA war klar, dass Feuer am Dach war, man überlegte „Frühinterventionsmaßnahmen“, insbesondere die Abberufung der Geschäftsleitung.
Am 14. 7. 2020 gestand Bankchef Martin Pucher vor den Prüfern der OeNB grobe Malversationen.
Zwischen 13.30 und 14.00 Uhr Telefonkonferenz zwischen FMA und OeNB, um 16.00 wurde die Einlagensicherung informiert, um ca. 18.00 die Leiterin der WKStA.
Gegen 17.30 sei die FMA aus dem Landhaus informiert worden, dass Doskozil von der Selbstanzeige Puchers wisse und sich an die FMA wenden werde.
Erst nach 18.20 Anruf Doskozil bei Ettl, der Landeschef wurde über die beabsichtigte Schließung der Bank informiert.
Wohlgemerkt, so steht es im Bericht der FMA und so sagte Ettl vor dem U-Ausschuss aus. Doskozil dagegen sagt, siehe Bericht unten, er sei von Ettl angerufen worden.
Bemerkenswert ist die Aussage der hohen Landesbeamtin Marlies S. vor dem U-Ausschuss über Telefonate mit Doskozil und Ettl sowie ein SMS. Darüber findet sich im FMA-Bericht kein Wort.
Die Beamtin, eine Ex-Kollegin von Ettl bei der Nationalbank, sagte aus, Ettl habe sie um 14.00 kontaktiert. Er habe über gröbere Malversationen „in Zusammenhang mit einer Finanzinstitution mit Burgenland-Kontext“ berichtet, die medial österreichweit aufschlagen würden und er brauche die Handynummer von Doskozil. Er wolle den Landeshauptmann am Abend vorab informieren.
Um 14.17 schickte die Beamtin, erklärte sie, ein SMS an Doskozil. Heute Abend werde ein gröberes Problem mit einer Finanzinstitution mit Burgenland-Kontext bekannt, „man möchte dich vorab informieren“.
Doskozil reagiert unmittelbar nach dem SMS, wie man es von einem Landeshauptmann erwartet und wollte sofort wissen, was los sei. Die Beamtin erklärt Doskozil, wer Ettl überhaupt ist, dass es intensive Untersuchungen gebe und Ettl den Landeshauptmann vorab am Abend informieren wolle.
Wohlgemerkt, das ist die Aussage der Beamtin.
Vermutlich spielt es gar keine so große Rolle, wer wen an diesem Abend zuerst angerufen hat. Die Frage ist vielmehr, ob Doskozil und Ettl tatsächlich erst nach 18.20 erstmals miteinander kommunizierten. Hat ein Politiker vom Temperament Doskozils tatsächlich einen ganzen langen Nachmittag zugewartet, bis ihn Ettl zu informieren geruhte? Und die FMA informiert vorher sogar die Einlagensicherung? Sehr realistisch klingt das alles nicht.
Ermittlungen
Ibiza-Affäre, Casinos-, Prikraf-, Heumarkt- und Commerzialbank-Causa: Die Justiz ermittelt in mehreren Verfahren gegen Politiker, Spitzenbeamte und Firmenbosse. Zurückgetreten sind deswegen nur einige wenige, darunter Ex-FPÖ-Chef Strache. Der KURIER gibt einen Überblick über die vier prominentesten Fälle, die derzeit laufen. Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung.
Der Ex-FPÖ-Vizekanzler ist der erste, gegen den es im Ibiza-Verfahrenskomplex eine Anklage gibt – und zwar in der Causa um den Privatklinikenfonds (Prikraf). Ermittelt wird noch wegen der Veruntreuung von Parteigeldern.
Der ÖVP-Finanzminister wird in der Casinos-Causa als Beschuldigter geführt. Es geht um den Verdacht der Bestechlichkeit, des Amtsmissbrauchs und der Untreue. Im Februar gab es bei ihm eine Hausdurchsuchung.
Der ÖBAG-Chef ist seit 2019 in der Casinos-Causa wegen Beitragstäterschaft zu Bestechlichkeit beschuldigt. Die kürzlich publik gewordenen Chats haben laut seinem Anwalt noch zu keinem neuen Verfahren geführt.
Dem Justiz-Sektionschef wird Verletzung des Amtsgeheimnisses und Falschaussage im U-Ausschuss vorgeworfen, seine Handys wurden sichergestellt. Er ist derzeit nicht im Dienst – ob er suspendiert wird, ist noch offen.
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