Notarity-Gründer: „Da sind wir gegen Mauern gelaufen“

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Wiener Start-up erspart mit seiner Software den Weg zum Notar und wurde von der Standesvertretung verklagt. Wie es dem Unternehmen jetzt geht.

Stellen Sie sich vor, Sie haben einen Notar-Termin und müssen gar nicht hingehen, sondern können alles online abwickeln. Die Plattform Notarity ermöglich genau das: Terminfindung, Feststellung der Identität – etwa über ID Austria – Besprechung via Video-Chat mit gemeinsamer Dokumenten-Betrachtung. Zum Schluss wird alles mittels digitaler Signatur unterzeichnet, fertig.

Das „Online-Notariat“ trat mitten in der Pandemie an, um eine bis dahin saturierte, gut abgeschottete Branche digital aufzumischen. „Alles, was sich automatisieren lässt, sollte auch automatisiert werden“, so das Credo von Notarity-Chef und Mitgründer Jakobus Schuster. Der Vorteil: keine Reisekosten, geringer Zeitaufwand.

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Notarity-Chef und Mitgründer Jakobus Schuster

So entstand die Idee

Die Idee zur Online-Plattform hatte der studierte Jurist Schuster, als er in einer Anwaltskanzlei arbeitete und immer wieder Vollmachten von Parteien einholen musste, auch sogenannte Apostillen, die die Echtheit von öffentlichen Urkunden für den internationalen Gebrauch bestätigen. Die Ausstellung einer Apostille kann je nach Land einige Wochen, ja sogar Monate in Anspruch nehmen. Das muss schneller gehen, dachte sich Schuster und tüftelte an Online-Lösungen.

Dann kam die Pandemie, plötzlich konnten Dokumente auch online beglaubigt werden und Schusters Tüftelei stieß auf fruchtbaren Boden. Aus einer Nebentätigkeit entstand eine Software-Lösung, die Anfang 2022 gemeinsam mit Partnern in der Gründung von Notarity mündete. Die Reaktion der Notare war sehr positiv, weil es die notarielle Arbeit erleichtert. Aber: „Mit der Kammer war es von Anfang an schwierig, da sind wir gegen Mauern gelaufen“, schildert Schuster. Weil die Kammer auch selbst ein Programm erstellte, wollte man offenbar keine Konkurrenz.

Klage von der Kammer

Investoren und Business Angels wurden rasch gefunden, „damals war Geld quasi gratis zu haben“, schwieriger war die Kundengewinnung. Als erste Notariate die Software nutzten, klagte die Notariatskammer Notarity, weil sie das Geschäftsmodell für nicht rechtskonform hielt. Nur Notare dürfen in Österreich notarielle Dienstleistungen anbieten und verrechnen, die Abgrenzung zur Vermittlung und technischen Abwicklung von Online-Beglaubigungen war nicht eindeutig. „Kleinigkeiten, die wir gleich geändert haben“, sagt der Notarity-Gründer. Der Rechtsstreit ging bereits durch zwei Instanzen und dürfte wohl beim Obersten Gerichtshof landen. „Wir sehen das recht entspannt, wenn sich am OLG-Urteil nichts mehr ändert, können wir damit sehr gut leben“, so der Jurist.

Schuster findet es generell bedenklich, wie Standesvertretungen gegen Start-ups vorgehen, nur um ihren Status Quo zu bewahren. „Wir sind ja kein Einzelfall, gerade Berufsgruppen, denen es gut geht, würde man mehr Veränderungswillen zugestehen.“

Notarity zählt derzeit knapp 50.000 Nutzer, erzielt nach eigenen Angaben einen „mittleren sechsstelligen Monatsumsatz“ und schreibt schwarze Zahlen. 70 Prozent des Umsatzes werden außerhalb von Österreich erzielt, vor allem in Spanien. Unternehmen, die viele Beglaubigungen haben, können Notarity als Abo nutzen. Es werden 20 Mitarbeiter in Wien und der Ukraine beschäftigt.

Probleme mit Standesvertretungen gibt es auch in anderen Ländern, kooperativ sei man nirgendwo, vor allem wenn eigene Konkurrenzlösungen angeboten werden.

Ziel: Weltmarktführer

Wie geht es weiter? Ziel von Notarity ist es, Weltmarktführer im Bereich Online-Beglaubigungen zu werden. Große Mitbewerber gebe es nur in den USA, die jedoch nicht nach Europa expandieren, weil hier das Rechtssystem ein anderes ist. Frisches Kapital wird derzeit nicht benötigt. „Es läuft ganz gut ohne weiterer Finanzierung.“ In Vorbereitung ist ein weiteres Produkt zur Automatisierung von Arbeitsabläufen im Notariat – als Entlastung für Kanzleien, die immer schwerer Personal finden.

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