Zu Besuch bei Handl Tyrol: Dem Geheimnis des Specks auf der Spur

Was zu fett ist, kommt weg
Es riecht nicht, es raucht nichts, bis auf die vorbei fahrenden Autos hört man auch nichts. Wer sich am Eingang zum Ötztal dem Haiminger Werk von Handl Tyrol nähert, würde nicht vermuten, dass sich hinter den Mauern des braunen Industriekomplexes, der wie eine riesige Lagerhalle wirkt, eine der modernsten Fleischfabriken Europas verbirgt.
Nur das bekannte, überdimensionale Firmenlogo versichert dem Besucher, dass es hier um Speck geht. Ausschließlich um Speck.
Spätestens wenn man das Werk betritt, hat man den charakteristischen Räuchergeruch in der Nase. Wie nach einem langen Grillabend wird der Geruch auch Stunden später noch nicht verschwunden sein. Es heißt Hände desinfizieren, Schutzkleidung anlegen und los geht die Spurensuche. Was macht den weit über Österreichs Grenzen hinaus bekannten Speck nun aus?
Kühle Hang-Schattenlage
Haiming im Tiroler Oberland auf 660 Metern ist ideal für die Speckproduktion, sagt Firmenchef Karl Christian Handl, während die ersten Besucher zu frösteln beginnen. Neben der nahen Inntal-Autobahn ist es die kühle Hang-Schattenlage, die 2018 für das neue Werk gesprochen hat. Handl kann die Außenluft für die Klimaanlagen nutzen, um im Werk die Temperaturen energiesparend knapp oberhalb des Gefrierpunktes zu halten. Das spart viel Geld und die Kühlkette kann penibel eingehalten werden. „Das war energetisch ein Quantensprung“, sagt Handl.

Firmenchef Karl C. Handl flankiert von leitenden Mitarbeitern
Nach der Anlieferung der Rohware, Schlögel und Karree von Schweinebauern aus der Steiermark, Ober- und Niederösterreich, werden mikrobiologische Proben genommen, um Keime im Fleisch auszuschließen. In Bälde soll künstliche Intelligenz zum Einsatz kommen, um risikogewichtet vorgehen zu können. Lieferanten, bei denen es schon einmal eine Beanstandung gegeben hat, werden öfter kontrolliert, verlässliche Partner seltener. Auch das spart Geld.
pH-Wert von 5,8 ist ideal
Kontrolliert wird auch der pH-Wert des Fleisches. Durch Abbauprodukte im Schlachtprozess ist das Fleisch wie erwünscht leicht sauer. Ein pH-Wert von 5,8 gilt als ideal, ein zu hoher pH-Wert (7 ist neutral, darüber wird es basisch) würde die Wasserabgabe beim Fleisch erschweren.
Einmal im Werk wird das Fleisch auf Förderbändern und von selbstfahrenden Roboterwägen durch die verschiedenen Stationen geführt. Lediglich 50 Mitarbeiter, die Mehrheit aus der Slowakei und Ungarn, sind im gesamten Werk im Zwei-Schichtbetrieb an fünf Tagen die Woche beschäftigt.
Bis auf wenige Handgriffe der Fleischer und eigens geschulten Speckmeister läuft hier fast alles voll automatisiert und über Barcodes jederzeit nachkontrollierbar ab.

Qualitätskontrolle per Auge und Hand
Gegründet wurde das Unternehmen von Karl C. Handl I. im Tiroler Pians im Jahr 1902. Heute, 123 Jahre später, leitet Urenkel Karl Christian Handl das Familienunternehmen in bereits vierter Generation. Aus dem kleinen Fleischhauerbetrieb im äußersten Westen Tirols wurde einer der erfolgreichsten Betriebe der Branche. Handl Tyrol beschäftigt heute an vier Standorten 766 Mitarbeitende und erzielt einen Jahresumsatz von mehr als 210 Millionen Euro. Den Speck von Handl Tyrol gibt es in 30 Ländern, die Exportquote liegt bei nahezu 70 Prozent.
Was sich in all den Jahren nicht geändert hat, ist das Traditionsbewusstsein des Unternehmens. Das beginnt bei der althergebrachten Schreibweise von Tyrol. Und hört in der Werbung auf, wo stets auf die Herkunft des „echten Nordtirolers“ verwiesen wird.
Handl Tyrol lebt den Spagat zwischen der traditionellen Handwerkskunst der Speckmacher und den Anforderungen eines modernen Industriebetriebes, der große Mengen in konstanter Qualität und hoher Produktsicherheit an die großen Supermarktketten wie Spar und Rewe liefert.
Dazu werden in Haiming täglich 40 Tonnen an Rohware angeliefert, minus Wasser und Schwarte verlassen täglich rund 20 Tonnen an fertigem Speck das Werk in Richtung Schnitt und Verpackung am Standort Schönwies. Das Qualitätsversprechen lautet: Für den österreichischen Markt wird ausschließlich Fleisch aus Österreich verwendet. Für Deutschland, den wichtigsten Exportmarkt, kommt das Fleisch aus Bayern.
Einer der wichtigsten Arbeitsschritte erfolgt gleich zu Beginn. Das geputzte Fleisch wird gesalzen und gewürzt, also gepökelt. Dabei kommt die sogenannte "Handl Hausmischung" zum Einsatz. Die genaue Rezeptur aus 1926 ist nach wie vor ein streng gehütetes Familiengeheimnis, die wichtigsten Zutaten aber sind: Knoblauch aus Europa (nicht wie sonst meist aus China), Wacholderbeeren, denen über ein spezielles Verfahren die Bitterstoffe entzogen wurden, Pfeffer aus Brasilien (statt Massenware aus Vietnam) und mildes Meersalz aus Sizilien.
Zum Einsatz kämen nur Naturgewürze in höchster Qualität, versichert der Firmenchef. "Das macht unseren Speck aus."

Spezielle Räume fürs Räuchern und Trocknen

Traditionell musste der Speck hängen
Der wohl größte Unterschied zur traditionellen Speckproduktion: Früher haben die Bauern das Fleisch zunächst mit Steinen beschwert, um Wasser rauszupressen und die Stücke in Form zu bringen. Danach wurde das Fleisch für Wochen in die Räucherkammer gehängt.
In Haiming hat Handl die "liegende Produktion" eingeführt. Das Fleisch liegt in größeren, flachen Plastikwannen, die übereinander gestapelt werden, um so das frühere Pressen mit den Steinen zu ersetzen. Und statt die Fleischstücke zu hängen, kommen die Wannen in sechs Meter hohe Hochregallager, in denen sie getrocknet und später geräuchert werden, bevor die eigentliche Reifezeit in speziellen Klimaanlagen folgt.

Salzen und würzen: Mit der "Handl Hausmischung"
Auf Sauberkeit wird größter Wert gelegt. Schutzkleidung und Handdesinfektion sind selbstverständlich, es gibt eigene Waschmaschinen für die Messer. "Alles was Allergien auslösen könnte, ist bei uns tabu", schildert Handl. Die Mitarbeiter tragen weiße Schuhe in der Produktion und eigens grüne Schuhe, wenn sie Mittags in die Kantine gehen. Handl: "Wenn es in der Kantine Nussstrudel gibt, darf das nicht in die Produktion kommen."

Der Pökel und Pressprozess in den Hochregallagern dauert drei Wochen. Danach folgt eine einwöchige Kalttrocknung über eine riesige Klimaanlage, die die 60.000 Kubimeter Luft bei konstanten zwei Grad Celsius hält. Alles, um dem Fleisch weiter Wasser zu entziehen. Japanische Technologie kommt hier zum Einsatz, sagt Handl, mehr verrät er nicht.
Danach kommt alles in die Räucherkammer. Auch sie hat keine Ähnlichkeit mehr mit ihrem historischen Vorbild auf der idyllischen Berghütte oder beim Bauern auf der Alm. Die technische Umsetzung basiert auf der Idee der Lachsräucherei aus Norwegen. Über den Hochregallagern wird in einer Zwischenschicht unterm Dach Buchenholz bei 300 Grad verglimmt und über Spezialgebläse als Rauch zurück über das Fleisch gebracht. Der Buchenholz-Rauch macht einen Teil des besonderen Aromas aus..
Den Abschluss bildet nach Trockung und Räuchern der eigentliche Reifeprozess. Er dauert beim Karreespeck 12 Wochen, beim Schinkenspeck 16 Wochen. In Summe ergibt das beim Schinkenspeck also eine Produktionszeit von 24 Wochen oder rund einem halben Jahr. Das erklärt auch den deutlich höheren Preis im Vergleich zum "normalen" Schinken, obwohl der Rohstoff, der Schlögel des Schweins, derselbe ist.
Endlich ist der Speck fertig, doch an etlichen Stellen ist Schimmel zu sehen. Wie in der Käseproduktion ist das freilich unschädlicher Edelschimmel. Früher wurde er per Hand weggekärchert, erzählt Handl aus seiner Jugend, heute gibt es dafür eine eigene Waschanlage. Welcher Kunde würde schon schimmeligen Speck kaufen?
In Wahrheit machen der Buchenholz-Rauch, die Gewürzmischung, aber auch der Schimmel den ganz besonderen Speck-Geschmack aus. Und jedes Werk ist stolz auf seine ganz spezielle „Hausflora“.
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