Schuh-Business: Zwischen Billigtretern und Maßmodellen

Schuh-Business: Zwischen Billigtretern und Maßmodellen
Der Markt ist umkämpft. Nicht nur Billigketten drängen nach Österreich, auch das traditionelle Handwerk findet seine Kunden.

220 Euro geben die Österreicher pro Jahr im Schnitt für ihr Schuhwerk aus. Möglichkeiten, dieses Geld loszuwerden, gibt es viele. Der Markt ist heiß umkämpft. Bereits ein Viertel der Umsätze fließt  zu den großen Online-Händlern wie oder Amazon, den Rest der 1,6 Milliarden Euro teilen sich einige wenige  Player, deren Logos   die großen Einkaufsstraßen zieren.

Aber auch  kleine österreichische Handwerksbetriebe, die Schuhe liebevoll in Handarbeit herstellen,  gehen nicht leer aus. Im Gegenteil, traditionelle Maßschuh- oder spezialisierte orthopädische Schuhmacher kreieren  Meisterwerke, die sich  allerdings nur leistet, wer mehr als 220 Euro ausgeben will. Frauen tun dies  häufiger als Männer – die Galanterie ist für die Schuhmacher ein profitables Business.

Anbieter der leistbaren Vielfalt

Schuh-Business: Zwischen Billigtretern und Maßmodellen

Wer will, kann sich ein paar Stiefel um ein paar hundert Euro kaufen. Tun aber die wenigsten, meint Gerald Zimmermann, Chef der Schuhhandelskette CCC in Österreich. „Nimmt man das durchschnittliche Einkommen eines Österreichers und zieht davon 30 bis 40 Prozent fürs Wohnen ab, sieht man, dass sich die Wenigsten Schuhe um 300 Euro leisten können.“ Seine Schuhhandelskette setzt auf Modelle im unteren und mittleren Preissegment und drängt derzeit mit so vielen neuen Geschäften in die Shoppingcenter und Einkaufsstraßen, wie keine zweite Kette.

Aber wer steckt hinter den drei Buchstaben? Eine börsenotierter, polnischer Konzern, der aktuell rund 40 Millionen Schuhe im Jahr in den europäischen Markt presst. Ein Teil davon kommt aus hauseigenen Fabriken in Polen, in denen die Arbeitskosten im Vergleich zu anderen Ländern noch überschaubar sind. Ein Teil wird zugekauft – Lederware in Indien und Bangladesch, Synthetik vor allem in China, sagt Zimmermann. Er sieht in Österreich Platz für „Plus/Minus 70 Standorte“, fünf Jahre nach dem Markteintritt hat er kürzlich den 49. Markt eröffnet. Dass Mode- und Schuhhändler zuletzt ihr Filialnetz zusammengestrichen haben, hat den Polen in die Hände gespielt.

„Die Österreicher geben im Jahr durchschnittlich 220 Euro für Schuhe aus“, rechnet Wolfgang Richter vom Standortberater RegioPlan vor. Die Branche setzt jährlich 1,6 Milliarden Euro um – Bekleidungshändler und Onlinehändler wie Zalando und Amazon nicht mitgerechnet. Diese holen sich immer mehr vom Umsatzkuchen – zuletzt war es bereits ein Viertel.

„Der neue Marktführer im Schuheinzelhandel heißt Deichmann“, sagt Standortberater Wolfgang Richter. Im Vorjahr hat das deutsche Familienunternehmen laut eigenen Angaben mehr als zehn Millionen Schuhe in Österreich verkauft, das sind um rund 300.000 Paar mehr als noch 2016. „Der österreichische Schuheinzelhandel stagniert schon seit einigen Jahren und es kommt eher zu Verschiebungen zwischen den Marktteilnehmern“, sagt Deichmann-Österreich-Chef Georg Müller. „Unser Augenmerk liegt aktuell auf qualitativem Wachstum bzw. Optimierung von Standorten. Wir haben inzwischen über 170 Filialen in Österreich und einen erfolgreichen Online Shop. Das ist eine gute Zahl angesichts der Größe des Landes. Sicher ist das Wachstumspotenzial nicht unendlich.“Deswegen habe er 2015 mit dem MyShoes-Konzept gestartet.

Auch Salamander-Chef Klaus Magele sah das Ende der Fahnenstange für seine Kette erreicht. Um weiter wachsen zu können, hat er vor einigen Jahren Delka übernommen. Zu den bestehenden 35 Salamander und den 36 Delka-Standorten sollen bis zu 40 neue Delka-Filialen kommen. „Vor allem in den Bezirksstädten sehe ich Potenzial, weil dort der Fachhandel ausstirbt“, so Magele. Seine Läden halten laut eigenen Angaben derzeit sechs Prozent Marktanteil. Zu den großen der Branche gehören laut RegioPlan die Einkaufskooperationen Garant (rund 300 Geschäfte), Ringschuh sowie die Grazer Leder & Schuh-Gruppe (Humanic, Shoe4you). Letztere hat einen Sanierungskurs hinter sich und sperrt demnächst die letzte Stiefelkönig-Filiale zu.

Meister der Herrenschuhe und Galanterie

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Dieses kleine, nostalgisch anmutende Atelier in der Wiener Wipplingerstraße fällt beim Vorbeischlendern nicht über die Maßen auf. Kaum tritt man ein, lässt eine Duftwolke aus gegerbtem Leder und Klebstoffen erahnen, was hier das Maß aller Dinge ist: hochwertiges Handwerk. Andreas Kudweis, 49, fertigt hinten in der langen, schmalen Werkstatt mit viel manuellem Geschick und in dritter Generation Maßschuhe. „Ich war schon als Kind viel im Geschäft, mir hat das Handwerk gefallen und ich bin da einfach reingewachsen“, sagt Kudweis.

Zu Zeiten seines Vaters stattete der Familienbetrieb noch Theater- und Filmproduktionen sowie Musicals und Opernsänger mit Schuhen aus edlem Leder aus, wie zahlreiche Schwarz-Weiß-Fotos von früheren Stars belegen. „Ich mache Damen- und Herrenschuhe, sogar etwas mehr Damenschuhe, weil die Damen mehr ordern als Herren“, räumt Kudweis ein. Herrenschuhe sind für  eine Lebensdauer von 20 bis 30 Jahren ausgelegt,  Damenschuhe sind meist dünner und leichter und  auch  nicht für die Ewigkeit. „Eine Dame will nicht denselben  Schuh 20 Jahre tragen“, weiß der Meister der Galanterie, wie das Handwerk für feine Damenschuhe im Fachjargon heißt. Vor Jahren unterrichtete er an der Modeschule  Hetzendorf  die „Lederklasse“  in Modell- und Kollektionsentwurf und Fertigungstechniken –  eine Kooperation mit der Kunst-Uni Linz.

Ob klassischer Full-Brogue, rustikaler Norweger oder eleganter Damen-Pumps, zuerst sucht er mit der Kundschaft Form und Modell aus. Die Kreativität kennt kaum Grenzen – nur den guten Geschmack. Neben diversen Pumps hat er auch extravagante Damen-Stiefeletten im Programm. Bei Herrenschuhen ist nach wie vor  Schwarz gängig.  „Pro Paar beträgt die Arbeitszeit 25 bis 30 Stunden“, sagt Kudweis. Derzeit sei Hochsaison, die Wartezeit auf fertige Schuhe daher drei bis vier Monate. Hochwertiges Handwerk ist eine Kunst und die hat ihren Preis. Für die Herstellung der Leisten, also der Fußformstücke, anhand derer die Schuhe angefertigt wurden,  verlangt er 200 Euro. Damenschuhe gibt es  im Schuhatelier Kudweis ab 900 Euro, solche für Herren ab 1300 Euro. Die hölzernen Leisten, werden im Keller gelagert – für weitere Aufträge. Die raumhohen Regale mit Leisten  wirken ein bisschen wie eine Sammlung des Naturhistorischen Museums. Im Vorraum türmt sich ein Berg bunter Lederrollen auf.

Kudweis bevorzugt feines Kalbsleder. „Ich baue auch oft alte Schuhe nach. Der Kunde kommt mit einem Schuh, an dem er hängt, der aber  zerfällt“, erzählt er. Die Klientel hat sich   verändert. Die seines Vaters war 60 Jahre und älter. „Der klassische Maßschuhträger ist  schon fast ausgestorben. Meine Kunden sind viel jünger und aus der Mittelschicht“, sagt der Schuhmacher. „Die Füße  werden auch komplizierter.“ Er meint damit „anatomische Eigenheiten“. So  hat er eine  junge Kundin mit  einem schlanken Fuß, aber Größe 47. „Die bekommt keine Konfektionsware“, sagt er. „Oft haben  Damen auch schmale Fersen, was bei Pumps dann schwierig ist.“

Held der Fußmaroden

Schuh-Business: Zwischen Billigtretern und Maßmodellen

Geht nicht, gibt es nicht. Mirko Šnajdr hat bei orthopädischen Schuhen ein einfaches Geschäftsmodell. Der Kunde bekommt, was er will.  „Ich mache alles“, lautet sein Prinzip. Schließlich müssen orthopädische Schuhe nicht so aussehen wie klobige Treter. Kunden mit Problemen im Sprunggelenk müssen allerdings hohe Schuhe tragen. Das gefällt nicht allen Damen.

Aber es gibt  ja auch eine große Auswahl an Modellen. Etwa 500 Lederarten sind im Geschäft in der Spengergasse im Wiener Bezirk  Margareten lagernd. Auch Schuhe aus Krokodilleder sind  möglich. Allerdings muss der Kunde dafür 3500 Euro aufzahlen.

Doch so viel Luxus ist eher selten angesagt. Einen Großteil der Kosten  für die Anfertigung von orthopädischen Schuhen  zahlen  die Krankenkassen. Bei der Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK) etwa beträgt der Selbstbehalt 72, 67 Euro. Voraussetzung ist eine fachärztliche Verordnung und die Bewilligung durch die Krankenkasse. Im Vorjahr hat die WGKK in 10.282 Fällen die Kosten in Höhe von fast 4,7 Millionen Euro übernommen.

Die aktuellen Sparpläne bei den Krankenkassen hält Innungsmeister Šnajdr  für „Unsinn“. Orthopädische Schuhe sind „die billigste medizinische Versorgung“.   Schließlich gehe es ja darum, die Menschen im Arbeitsprozess zu halten.  „Da ist die Nachhaltigkeit sicher gegeben“.  Das Alter seiner Kunden beginnt bei 20 Jahren und darunter. Der älteste Kunde ist über 100 Jahre alt. Allein in Wien sind derzeit etwa 30 orthopädische Schuhmacher aktiv.

Ohne finanzielle Unterstützung durch die Krankenkassen wäre der Markt für orthopädische Schuhe deutlich kleiner. Schließlich  kosten  orthopädischen Schuhe  zwischen 1500 und  1800 Euro. Das ist für einen Großteil der Bevölkerung ohne Zuschuss nicht finanzierbar. Daher entscheiden die Krankenkassen über die Zukunft der Branche.

Der Grund für den Preis ist der Arbeitsaufwand. Die Einlagen in den Schuhen sind sowohl dem Fuß als auch dem Schuh angepasst. Oft wird  holzgenagelt. Das Leder wird mit kleinen Holznägeln an der Ledersohle befestigt. Eine Arbeit für Menschen mit ausgeprägten feinmotorischen Fähigkeiten.  
Wer  in diesem Job neu anfängt, muss mit hohen Kosten rechnen.  Allein die Ausgaben  für die Maschinen zur Herstellung von orthopädischen Schuhen betragen etwa 150.000 Euro. Dazu kommt eine lange, intensive  Ausbildungszeit bis zur Meisterprüfung, die über eine Woche dauert. Bei Šnajdr war ein Grund für die Berufswahl auch familiäre Tradition.

Der Vater und der Großvater waren   bereits Schuhmacher. „Wir sind seit 118 Jahren im selben Bezirk“,  verweist er auf die Geschichte seiner Familie , die auch über die Grenzen des heutigen Österreichs hinausreicht. Der Name Šnajdr (ausgesprochen wie  Schneidr) ist die tschechische Version  des  deutschen Namens Schneider.

Trotz mehrerer Mitarbeiter  müssen die Kunden des orthopädischen Schuhmachers etwas Geduld mitbringen.  Die Wartezeit auf das neue, angepasste  Schuhwerk beträgt meistens zwei bis drei Monate. Bei anderen orthopädischen Schuhmachern sind in Einzelfällen auch deutlich längere Wartezeiten möglich.  Handarbeit braucht nun mal Zeit. 

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