Reform des Stabilitätspakts: Euro-Land ist finanziell abgebrannt
Der Eurostabilitätspakt hat wahrlich schon bessere Zeiten erlebt. Aber auch jene Phasen, wie im Zuge der Finanzkrise, in der schon vor mehr als zehn Jahren nahezu alle Staaten gegen die Defizit- und Schuldenregeln verstießen – und Sanktionen ausblieben.
Jetzt ist es wieder soweit. In der Pandemie wurden alle Regeln über Bord geworfen beziehungsweise ausgesetzt, die Euroländer können sich derzeit nahezu unlimitiert verschulden. Daher bestehen EU-Kommission und einzelne Länder auf eine Reform des Paktes. Die neuen Spielregeln sollen ab 2023 greifen. Erwartungsgemäß herrscht weitgehend Uneinigkeit darüber, wie sie lauten könnten.
Aktuell haben sieben der 19 Euro-Länder durch die horrenden Corona-Kosten Staatsschulden jenseits der jährlichen Wirtschaftsleistung – sprich mehr als 100 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt (BIP). 60 Prozent wären eigentlich erlaubt – ja genau, eigentlich.
Neue Ausnahmen?
Österreich steht mit seinen mehr als 80 Prozent zwar keineswegs als Klassenbester da, gehört aber in Person von Finanzminister Gernot Blümel zu jenen „frugalen“ Ländern, die bei jeder Gelegenheit auf die strenge Einhaltung des Paktes pochen. Wie jetzt wieder, beim Treffen der Finanzminister in Brüssel.
Auf der Seite Blümels finden sich vor allem frühere Hartwährungsländer wie Deutschland. Zuletzt äußerte sich die scheidende Kanzlerin Angela Merkel betont skeptisch über eine Aufweichung des Paktes.
Zusätzliche Flexibilität, also neue Ausnahmen, fordern Länder wie Frankreich, um Investitionen in den Klimaschutz herausrechnen zu dürfen. Weil Paris darunter auch den Ausbau der Atomkraft versteht, sind heftige Debatten vorprogrammiert. Andere Länder wollen wiederum Corona-Hilfsprogramme herausrechnen. Das ist viel eher mehrheitsfähig, weil solche Ausnahmen für Krisenzeiten schon immer Teil des Stabilitätspaktes waren.
Aber vom Prinzip her und für die Zukunft gedacht: Machen harte Kriterien, an die sich niemand hält, überhaupt Sinn? Sollte z. B. das Schuldenlimit von 60 Prozent nicht längst der Realität angepasst und auf 100 Prozent angehoben werden, wie das die Experten des Euro-Rettungsschirms vorschlagen?
Realistische Ziele
Ex-WIFO-Chef Christoph Badelt, der nun den Fiskalrat leitet, plädiert für größere Flexibilität. Er sagt im Gespräch mit dem KURIER: „Ein Schuldenziel macht natürlich Sinn. Aber wir brauchen ein kluges Set an Anpassungsregeln, das die Länder fordert, aber auch nicht überfordert. Unrealistische Ziele wie Schulden von beispielsweise nur 60 Prozent für Italien machen nicht wirklich Sinn.“
Finanzminister Blümel pocht weiter auf die strenge Einhaltung des Stabilitätspaktes und warb dafür am Wochenende auch in einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine. Sein Argument lautet: Es herrscht Hochkonjunktur, aber nicht wenige Euroländer würden weiter munter Schulden machen. Blümel: „In Wachstumsphasen permanent Schulden zu machen ist Bequemlichkeit.“
Man solle doch auf Österreich schauen, wirbt der ÖVP-Politiker: Der Schuldenabbau sei hierzulande eingeleitet, in Österreich werde bis 2025 wieder ein Staatsschulden-Niveau von nur noch knapp über 70 Prozent erwartet. Bis dahin sei auch die Rückkehr zu einem strukturellen Nulldefizit geplant.
„Sobald es wirtschaftlich wieder möglich ist, müssen wir zu einer verantwortungsvollen Budgetpolitik zurückkehren und unsere Schulden wieder abbauen. In Österreich haben wir den ersten Schritt in diese Richtung gesetzt indem wir mit unserem Budget unsere Schuldenquote Richtung 70 Prozents des BIPs senken“, meint Blümel.
Die Frage ist freilich, wie es mitten in der vierten Corona-Welle mit den heimischen Staatsfinanzen tatsächlich weitergeht. Welche Hilfen also beispielsweise der Tourismus neuerlich brauchen wird, wenn aufgrund der Rekord-Neuinfektionen und drohenden Reisewarnungen etwa aus Deutschland die Winter-Buchungen massiv einbrechen. Etliche Branchenvertreter aus Hotellerie und Gastronomie haben diesbezügliche Forderungen deponiert.
Auf entsprechende Nachfragen des KURIER versucht Blümel zu beruhigen: „Wir haben ein paar Hilfsmaßnahmen, die noch laufen – etwa den Verlustersatz, die Garantien, die Corona-Kurzarbeit oder auch die Mehrwertsteuersenkung in der Gastronomie. Hier haben wir also Vorsorge getroffen und auf Basis der aktuellen Wirtschaftsprognosen gibt es keinen Grund anzunehmen, dass die bestehenden Möglichkeiten nicht ausreichen.“
Flexible Reaktion
Zuletzt wären die Wirtschaftsprognosen sogar nach oben revidiert worden, argumentiert der Finanzminister. Und versichert: „Es gibt derzeit keinen Grund anzunehmen, dass es massiv schlechter wird. Das ist die Ausgangslage, auf Basis dessen wir das Budget erstellt haben. Natürlich kann sich das auch wieder ändern. Wir haben aber im vergangenen Jahr gezeigt, dass wir mit unseren Instrumenten flexibel und schnell auf neue Rahmenbedingungen reagieren können.“
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