Offenbarungseid bei Preisen: Inflation seit 2009 höher als in Euro-Zone

Martin Kocher
Seine erste Ratssitzung bei der EZB in Frankfurt sei am Donnerstag „konstruktiv und intensiv“ gewesen, sagt der neue Gouverneur der Nationalbank (OeNB), Ex-Wirtschaftsminister Martin Kocher (am Samstag 52). Herausgekommen ist ein Nicht-Ergebnis. Der Leitzins für den Euro-Raum wurde bei 2,0 Prozent belassen.
Angesichts der Bandbreite bei Wachstum und Inflation in Europa und den Unsicherheitsfaktoren in der Welt von Trump bis Putin war dieses Ergebnis erwartet worden. Für Österreich ist es nicht schlecht. Eine Zinssenkung hätte die Inflation weiter angeheizt.
Am Freitag präsentierte Kocher in Wien die neue Konjunkturprognose der OeNB, und auch bei diesem Termin waren nur wenige gute Nachrichten dabei. Wieder ging es vor allem um die hartnäckig hohe Inflation, die unter anderem auf die Konsumstimmung drückt, obwohl sie sehr wohl auch höhere Löhne zur Folge hat. Das ist gut für Arbeitende und ihre verfügbaren Einkommen. Die Lohnentwicklung nagt aber – neben anderen Kostenfaktoren wie teure Energie – massiv an der Wettbewerbsfähigkeit exportorientierter Unternehmen. Und belastet das Klima unter den Sozialpartnern vor dem Start der richtungsweisenden Herbstlohnrunde.
Wettbewerbsfähigkeit
Kocher sagte dazu, es gebe „keine Patentrezepte. Wenn es die gäbe, hätten wir sie schon gefunden.“ Im Kampf gegen die Teuerung müsse die Politik nun an allen Schrauben drehen, um den Abstand zur Eurozone zu verringern. „Das Differenzial kann nicht aufrecht erhalten werden. Es ist entscheidend, dass Österreich nicht auf Dauer an Wettbewerbsfähigkeit verliert aufgrund der hohen Inflationsrate.“
Von den Gebühren über Indexierungen (z. B. Mieten) bis hin zu mehr Wettbewerb oder einem Ende des Österreich-Aufschlags im Lebensmittelhandel reichen Kochers Vorschläge. Sie wurden auch schon in seiner Ministerzeit diskutiert.
Nun aber mit noch höherer Dringlichkeit, weil andere Länder davonziehen. Die Daten der Notenbank geben Anlass zur Sorge: Seit 2009, also seit 16 Jahren, liegt die Inflation in Österreich höher als im Euroraum. Seit 2019 stieg die Inflation um sieben, die Stundenlöhne sogar um 16 Prozentpunkte stärker als in der Eurozone.
Lange hat die Vorgängerregierung, der Kocher angehörte, wenig bis gar nichts gegen die Inflation getan. Sie ließ die sprunghaft steigenden Preise „durchrauschen“, wie Kritiker gebetsmühlenartig anmerkten. Dann wurden einige Maßnahmen gesetzt, z. B. die Strompreisbremse eingeführt. Aber mitsamt der anderen Kompensationsmaßnahmen liefen sie zu Jahresbeginn 2025 wieder aus – und zwar alle gleichzeitig.
Das bescherte Österreich bei der Teuerung einen neuerlich kräftigen Sprung nach oben. Dieser statistische Basiseffekt fällt zwar zu Jahresbeginn 2026 weg, dennoch ist der Spuk damit noch nicht vorbei. Denn das einmal erreichte Preisniveau bleibt; was geringer wird, sind maximal die Zuwachsraten bei den Preisen.
Mini-Erholung
In Zahlen: 3,5 Prozent Inflation erwartet die OeNB heuer, und auch für 2026 geht sie noch von einer Rate von 2,6 Prozent aus. In der Eurozone soll die Teuerung dann schon längst bei 1,7 Prozent angekommen sein. Die Kluft bleibt also.
Auch konjunkturell ist Österreich nicht über den Berg. Bis 2027 steigt das Wachstum von heuer 0,3 auf lediglich 1,1 Prozent – wenn alles gut geht und die Sparpakete das Konjunkturpflänzchen nicht abwürgen.
Ein gewisser Trost ist der Arbeitsmarkt. Trotz der langen Flaute liegt die Arbeitslosenrate bei „nur“ 7,4 Prozent, und auch die Beschäftigung wächst (fast vier Prozent seit 2019). Doch der Zuwachs rührt fast ausschließlich von Teilzeitjobs her. So ist die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden seit 2019 um zwei Prozent gesunken, aber im Euroraum um vier Prozent gestiegen.
Zusammengefasst lässt sich stark vereinfacht sagen: Österreich steht wesentlich schlechter da als noch vor wenigen Jahren. Die Industrie steckt in einer Rezession und verliert Marktanteile im Export. Der Wohnbauboom ist zu Ende, und anstatt endlich wie wild zu konsumieren, lassen zu viele Österreicher ihr Erspartes schlecht verzinst auf dem Sparbuch liegen. Zu groß ist die Unsicherheit, wie es weitergeht.
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