Pilotregion Österreich: Der Lift schreit, bevor er streikt

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Weltmarktführer Otis testet in Österreich seine neueste Wartungstechnologie für Aufzüge und Rolltreppen.

Aufzüge und Rolltreppen sind so selbstverständlich Bestandteil des Alltags, dass man sie kaum wahrnimmt. Außer, wenn sie – „außer Betrieb sind. Ja, ich weiß“, vollendet Bora Gülan den Satz lachend.

Der gebürtige Türke ist bei Weltmarktführer Otis für die Region Nord- und Mitteleuropa verantwortlich. Zu Österreich hat er einen besonderen Bezug. „Ich habe in Wien 1990 ein Sommerpraktikum absolviert“, erzählt der Manager, der bereits seit 1993 für Otis arbeitet.

Bei seiner Rückkehr nach Wien hatte Gülan gute Nachrichten im Gepäck: Österreich ist jenes Land, in dem Otis seine neueste Technologie als erstes einsetzt. „Hier ist unsere Pilotregion für ganz Europa, den Mittleren Osten und Afrika“, so Gülan. Daneben laufen nur noch in der Otis-Heimat USA und Hongkong vergleichbare Projekte.

Pilotregion Österreich: Der Lift schreit, bevor er streikt

Bora Gülan, Otis-Chef für Nord- und Zentraleuropa

Ungeplante Stillstände könnten künftig ganz der Vergangenheit angehören: Die Datenvernetzung mit Internet der Dinge und Cloud-Computing macht’s möglich.

Dass Störfälle automatisch gemeldet werden, ist nicht neu. „Fernmonitoring betreiben wir seit mehr als 20 Jahren“, sagt Otis-Österreich-Chef Roman Teichert. Jetzt werde die Wartung aber auf die nächste Ebene gehoben: Der Servicetechniker wird alarmiert, bevor ein Störfall eingetreten ist.

Wie das möglich ist? Weil Lifte und Fahrtreppen ständig Daten über ihren Zustand an die Cloud, die „Datenwolke“, melden. Insgesamt 7000 Einheiten seien aktiv, bei denen Daten aus zwei Jahren analysiert wurden.

Dank dieses Erfahrungsschatzes konnten Muster identifiziert werden, die Störfällen vorausgehen. „Dann wird abgeklärt, ob sich das per Fernwartung lösen lässt oder wir einen Servicetechniker vorbeischicken“, erklärt Teichert. Das System lernt von selbst, wird also präziser, je mehr Daten vorliegen.

Weil in Österreich so viele Typen und Generationen im Einsatz ist, könnte die Nachrüstungen freilich 10 bis 15 Jahre dauern, schätzt Teichert.

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Rückkehr des "Liftboy"

Abseits der Wartung stecke noch mehr Innovation im Aufzug, sagt Bora Gülan. In der Anfangszeit gab es den Liftboy, der jeden kannte, der einstieg. Das sei in den 1930ern wegrationalisiert worden, kehre aber über die Technologie zurück. So könnte eine Kabine parat stehen, weil der Aufzug anhand des Smartphones erkennt, wer ankommt.

Integrierte Videosysteme bemerken, in welchem Stock eine Menschenansammlung wartet oder wo jeden Tag zur selben Zeit ein Event stattfindet. Das senke den Platzbedarf in den Gebäuden, steigere die Effizienz und Zuverlässigkeit. Einige Aufzugssysteme seien zudem so energieeffizient, dass sie „weniger Strom aus dem Netz ziehen als ein Haartrockner“, sagt Gülan.

Zwei Drittel in China

Die größte Zahl installierter Aufzüge findet sich übrigens in Europa. Weil diese in die Jahre kommen – im Durchschnitt sind sie fast 30 Jahre alt –, ist das Service-Geschäft in Kontinentaleuropa am größten. Dank des globalen Urbanisierungstrends sind auch Neubauten ein Wachstumsfaktor: Zwei Drittel aller neuen Aufzüge werden in China gebaut, auch wenn dort das Geschäft gerade etwas abschwächt.

Amerika und Europa wachsen stabil, Südeuropa liege etwas hinter der Spitze von 2008 zurück. Problematisch sind aktuell der Mittlere Osten, die Türkei und Großbritannien wegen des Brexit. Das lasse sich aber weltweit „gut ausbalancieren“, so Gülan.

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Der Freissler-Paternoster im Wiener Haus der Industrie ist seit 1909 in Betrieb - und wird von Otis gewartet

Weltmarktführer

Otis ist Teil des US-Konzerns UTC  (United Technologies Corporation), der in Luftfahrt und Gebäudetechnik aktiv ist. Der 1853  gegründete Aufzughersteller selbst ist in mehr als 200 Ländern aktiv –insgesamt hat Otis 2,6 Millionen Aufzüge und Rolltreppen installiert, für zwei Millionen gibt es laufende Wartungsverträge. Der Umsatz 2016 betrug 12 Mrd. Dollar. Unter 68.000 Mitarbeitern sind 34.000 Servicetechniker.

Otis in Österreich

In Österreich ist Otis seit 1969 am einstigen K.-u.-K.-Aufzugbauer Freissler, der heuer 150-Jahr-Jubiläum feiert, beteiligt. 1991 wurde er ganz geschluckt. In Österreich beschäftigt Otis 500 Mitarbeiter. „Wir sind sehr zufrieden mit dem Markt, das Servicegeschäft und Neuausrüstungen wachsen stabil“, sagt Europa-Chef Bora Gülan. Mit Liften für den Heimgebrauch wird  gerade ein neues Segment für Privatkunden erschlossen.

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