Österreich ist ein wohlhabendes Land, trotzdem sind lebenswichtige Medikamente immer häufiger nicht verfügbar, wenn Patienten sie benötigen. Was ist da los? Pharmig-Generalsekretär Alexander Herzog sucht nicht nach Schuldigen, sondern einen Schulterschluss mit allen Beteiligten. Auch den Ärzten.
KURIER: Die Engpass-Problematik ist seit Jahren bekannt. Der Pharmaverband versprach zu handeln. Was wird konkret getan?
Alexander Herzog: Zunächst: Wir haben als Branche ein ureigenstes Interesse daran, dass wir Medikamente vollständig und pünktlich im Markt haben. Das gelingt auch, lediglich 0,4 bis 0,6 Prozent des gesamten Medikamentenmarktes sind von Engpässen betroffen. Das ist freilich immer noch zu viel ...
Wo genau liegt das Problem?
Man muss unterscheiden: Es gibt Lieferengpässe, wenn ein Hersteller wegen Qualitäts- oder Produktionsproblemen nicht liefern kann. Hier liegt es an uns, das sofort transparent zu machen und die Engpässe in ein Register einzutragen. Das größere Problem ist der Parallelhandel. Die Arznei wird zwar nach Österreich geliefert, kommt aber nicht in der Apotheke an, weil sie ins Ausland verkauft wird, wo bessere Preise erzielt werden.
Wie kann das Problem Parallelhandel gestoppt werden? Mit Verboten wie in der Slowakei oder Belgien?
Nein, Exportverbote halten rechtlich nicht. In der EU gilt freier Warenverkehr. Wir haben eine Taskforce mit allen Beteiligten eingerichtet und arbeiten an Lösungen. Es ist wichtig, dass alle Player an einem Strang ziehen, denn es muss an vielen Schrauben gedreht werden. Es gibt auch schon Ideen dazu ...
Welche?
Wir wollen den Weg des Medikamentes genau verfolgen, also völlige Transparenz in der Lieferkette. Damit sehen wir, wo es Parallelexporte gibt. Wir wollen auch von der gesamten Lieferkette ein Bekenntnis, dass die Ware hier in Österreich bleibt. Am besten wäre es, dass Ärzte nicht lieferbare Medikamente erst gar nicht verschreiben.
Ärzte sollen vor Rezept-Ausstellung checken, ob das Medikament verfügbar ist?
Ja. Es ist dem Arzt aber nicht zumutbar, dass er selbst in ein Engpass-Register schauen muss, daher müsste das automatisch über eine Datenbank-Abfrage im Hintergrund funktionieren. Bei Rezept-Eingabe in den Computer sollte sofort die Verfügbarkeit geprüft werden. Leuchtet ein grünes Lämpchen auf, ist das Medikament verfügbar. Wenn nicht, muss eben eine andere Medikation gewählt werden. Der Arzt hat letztlich die Therapiehoheit.
Welche Arzneien sind am häufigsten von Engpässen betroffen?
Das geht querbeet, auch Generika sind betroffen. Es hängt ganz vom unterschiedlichen Preisniveau innerhalb der EU ab.
Manche Pharmafirmen liefern inzwischen wichtige Arzneien direkt an die Apotheken. Auch eine Lösung?
Das gibt es bei Hochpreismedikamenten. Wegen des hohen Aufwandes macht das kein Hersteller gerne, das ist eher eine Hilfskonstruktion, um die Lieferung sicherzustellen. Der Großhandel hat keine Freude damit.
Seit Februar muss die EU-Fälschungsrichtlinie umgesetzt werden und alle Medikamenten-Verpackungen müssen einen Serialisierungscode und einen Manipulationsschutz haben. In den Apotheken werden aber etliche Packungen noch ohne Code ausgegeben. Warum?
Weil noch viel Altbestand auf Lager ist. Von der Serialisierungspflicht sind nur neu in den Verkauf kommende Medikamente betroffen. Im Laufe der nächsten Jahre sollten dann sukzessive alle Packungen umgestellt sein.
Apotheken klagen über Anlaufprobleme. Wann werden diese behoben sein?
Bei jeder Einführung eines neuen IT-Projektes gibt es Anlaufprobleme, da blieben auch wir nicht verschont. Die Anzahl der Fehlermeldungen sinkt aber, obwohl die Anzahl der Verpackungen steigt. Wir sind aber in Österreich von der Umsetzung her anderen EU-Ländern um Lichtjahre voraus und daher Referenzprojekt in der EU. Dennoch wollen wir zur Stabilisierung die Testphase noch bis Februar 2020 ausweiten. Danach darf bei Fehlermeldung das Medikament nicht mehr verkauft werden.
Sind schon gefälschte Medikamente aufgeflogen?
Bis jetzt war kein einziger Fälschungsfall dabei. Und wir haben wirklich jeden einzelnen Fall untersucht.
Die Krankenkassen werden gerade fusioniert. Wie betroffen ist die Pharmabranche vom Umbau?
Wir sind strukturell und personell natürlich betroffen, haben etwa neue Ansprechpartner im Dachverband. Ich sehe da nur Profis am Werk und kann nur appellieren: Lasst sie einmal arbeiten ...
Sie kennen das System der Krankenkassen gut. Sind die geplanten Milliarden-Einsparungsziele realistisch?
Primär geht es darum, dass das jetzige System vereinfacht wird. Dass damit langfristig Einsparungsziele erreicht werden, liegt in der Natur der Sache. Das eigentliche Ziel ist, dass mehr Geld für die Patienten übrig bleibt.
Ihre Wünsche an die künftige Regierung?
Ich erwarte mir, dass die Taskforce Arzneimittelversorgung fortgeführt wird. Es ist wichtig, dass alle Player hier an einem Strang ziehen. Weiters wäre es schön, die klinische Forschung in die Höhe zu bringen und wieder mehr Pharma-Produktion nach Österreich zu bringen. Dafür sind natürlich die kommerziellen Rahmenbedingungen wichtig. Ich würde mir daher wünschen, dass der wirtschaftsfreundliche Kurs der letzten Regierung fortgesetzt wird.
Der Verband der Pharmazeutischen Industrie (Pharmig) vertritt die Interessen von 120 Pharmaunternehmen mit insgesamt 18.000 Mitarbeitern. Die Mitgliedsbetriebe decken rund 95 Prozent des Medikamentenmarktes ab.
Alexander Herzog (55) ist seit Juli 2018 Generalsekretär der Pharmig. Der gebürtige Grazer und studierte Betriebswirt war zuvor geschäftsführender Obmann der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (SVA).
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