Sandoz-Österreich-Chef: "Geopolitische Unabhängigkeit ist wichtig"

Der Schweizer Pharmakonzern Sandoz betreibt in Kundl/Tirol Europas letzte Antibiotika-Produktion. Der neue Österreich-Chef Marco Pucci erläutert im KURIER-Interview, wie geopolitisch wichtig der Aufbau einer europäischen Pharma-Produktion wäre, was es dazu braucht und warum Bevorratung keine Lösung ist.
KURIER: Die Krankenkassen müssen sparen, ein großer Brocken sind da die Ausgaben für Medikamente. Können Sie als Generikahersteller helfen?
Marco Pucci: Wir sind ganz klar ein Teil der Lösung. Aufgrund des Ablaufs von Patenten auf Originalpräparate gibt es in den nächsten zehn Jahren ein Marktvolumen von weltweit 300 Milliarden Euro. Das sind enorme Kosten für die Gesundheitsbudgets, die eingespart werden können.
Haben Sie auch Zahlen für Österreich?
Ja, in Österreich konnten in den vergangenen 15 Jahren allein mit Biosimilars (Nachfolgepräparate von biologisch hergestellten Original-Präparaten, Anm.) knapp zwei Milliarden Euro eingespart werden. In den nächsten vier bis fünf Jahren erwarten wir weitere Einsparungen von 600 Millionen Euro.
Wie viele Biosimilars-Produkte könnten da von Sandoz kommen?
Wir haben derzeit 28 Biosimilars in der Pipeline und aktuell befinden sich nur acht am Markt. Sie sehen, das Potenzial ist groß. Wir wollen alle diese Produkte auch in Österreich auf den Markt bringen. Dafür braucht es aber entsprechende Rahmenbedingungen.
Was fordern Sie konkret?
Es braucht einen einfachen und schnellen Zugang zu diesen Produkten, das ist ganz wichtig. Und es braucht eine kluge Preisgestaltung, damit nicht dasselbe passiert wie bei den Generika. Da werden derzeit jeden Monat etwa 20 Generika aus dem Markt genommen, weil die Wirtschaftlichkeit nicht mehr gegeben ist. Und drittens brauchen wir auch mehr Anreize für Ärzte, Biosimilars zu verschreiben.

Marco Pucci, Sandoz Österreich
Die Lieferengpässe bei bestimmten Medikamenten, vor allem bei Generika, werden trotz erster Gegenmaßnahmen nicht kleiner. Woran liegt das?
Das hängt damit zusammen, dass es bei 80 Prozent der Medikamente am Markt, die mehr als 60 Prozent Marktanteil haben, nur noch einen Anbieter gibt. Wieso? Weil der Preisdruck dazu geführt hat, dass nur noch eine hohe Skalierbarkeit eine Profitabilität ermöglicht. Gibt es dann ein Problem, etwa einen Qualitätsmangel bei diesem Hersteller, kann kein anderer einspringen, weil es keinen mehr gibt. Das ist ein echtes Problem.
Österreich ist von Engpässen aber ganz besonders betroffen. Warum?
Österreich ist ein relativ kleiner Markt und die Volumina sind daher nicht so groß. Heute sind die Preise in Österreich deutlich unter dem EU-Durchschnitt. Und wir können nicht einmal eine Indexierung vornehmen. Ich gebe ihnen ein Beispiel zum Preisverfall: Wenn eine Packung eines bestimmten Medikamentes vor 30 Jahren 10 Euro gekostet hat, kostet diese gleiche Packung heute 6,18 Euro, praktisch 40 Prozent weniger, obwohl sich die Kosten in dieser Zeit massiv erhöht haben.
Der Pharmakonzern Sandoz mit Sitz in Basel ist mit 1.300 Produkten weltweit führend bei Generika (wirkstoffgleiche Nachahmungen patentfreier Medikamente) und Biosimilars (Nachfolgepräparate von biologisch hergestellten Präparaten). Das 2023 von Novartis abgespaltene Unternehmen beschäftigt 20.000 Mitarbeiter, davon 2.700 in Österreich, v. a. am Standort Kundl, wo Sandoz 1963 die Penicillin-Fabrik übernahm.
Marco Pucci
Der studierte Betriebswirt Marco Pucci ist seit 1. März Country President von Sandoz in Österreich, leitet die Marketing- und Vertriebsaktivitäten im Land und vertritt die gesamte Organisation der Sandoz GmbH mit den Standorten in Wien, Kufstein und Kundl. Der studierte Betriebswirt hat seine Wurzeln in Italien und der Schweiz.
Was macht Sandoz, um die Versorgungssicherheit in Europa zu erhöhen?
Wir machen unsere Hausaufgaben und investieren in die Produktion in Europa, um eine gewisse Unabhängigkeit von Asien zu bekommen. Wir wollen in Europa für Europa produzieren, also ein europäischer Champion werden. Dafür haben wir 200 Millionen Euro in den Ausbau unseres Antibiotika-Werkes in Kundl investiert und erst kürzlich eine Milliarde in eine Produktion in Slowenien. Wir haben auch vor ein größeres Investment in Frankreich zu tätigen.
Aber die Produktion in Europa hat ihren Preis …
Das ist klar. Wenn man in Europa produziert, sind die Kosten höher als in Indien und China. Die Unabhängigkeit ist aber auch geopolitisch wichtig. Wenn China sagt, wir liefern nicht mehr, können kleine Eingriffe in Spitälern gar nicht mehr stattfinden. Es ist extrem wichtig, dass wir diese Abhängigkeit abbauen, aber das geht nicht in ein bis zwei Jahren. In Kundl sind wir schon fast 80 Jahre aktiv und der Standort ist durch die aktuelle geopolitische Situation noch wichtiger geworden. Wir brauchen aber die richtigen Rahmenbedingungen.

Antibiotika-Produktion in Kundl/Tirol
Hilft die Verpflichtung zur Bevorratung von wichtigen Medikamenten gegen Engpässe?
Wir versorgen von Kundl aus mehr als 100 Länder mit Antibiotika. Stellen Sie sich vor, jedes Land würde eine Bevorratung machen, dann gibt es erst recht einen Engpass und es wäre sehr kostenintensiv.
Apropos Kundl. Ist das Werk derzeit ausgelastet?
Wir haben eine maximale Kapazität von 240 Millionen Packungen pro Jahr, da können wir ganz Europa abdecken. Die Nachfrage ist ein bisschen zurückgegangen, aber wir versuchen, hier so effizient wie möglich zu produzieren.
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