Medikamente: Warum die Pflicht zur Bevorratung ihre Tücken hat

Medikamentenmangel in Apotheken
Um Engpässe zu vermeiden, müssen ab sofort wichtige Arzneien erstmals eingelagert werden. Das mache nur EU-weit Sinn, sagt der Chef des Generikaverbandes.

Die Erkältungssaison hat bereits voll eingesetzt. Die Gefahr, dass spezielle Antibiotika, Kinderhustensäfte oder Grippemittel nicht lieferbar sind, ist heuer aber geringer als in den vergangenen Jahren. „Aktuell sehen wir keine Probleme bei der Verfügbarkeit, die Versorgungslage hat sich deutlich verbessert. Ein Winter wie 2022 sollte sich nicht wiederholen“, sagt Wolfgang Andiel, Präsident des Österreichischen Generikaverbandes (ÖGV), im Gespräch mit dem KURIER.

Damals seien viele Infektionen – Corona, Influenza und RSV – sowie Lieferkettenprobleme zusammengekommen. Die Politik reagierte auf die Problematik und verpflichtete die Hersteller zur Bevorratung. Seit heuer müssen lebensnotwendige Medikamente erstmals für mindestens vier Monate eingelagert werden.

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Wolfgang Andiel, Generikaverbands-Präsident

582 Produkte betroffen

Betroffen sind 582 Produkte, vor allem Antibiotika, Schmerz- und Fiebersenker sowie Herz-Kreislauf-Präparate. Mehr als 80 Prozent davon sind Generika, also wirkstoffgleiche Produkte von patentabgelaufenen Präparaten. Wegen der Abstellung auf den Wirkstoff seien auch einige Salben hineingerutscht, wo eine monatelange Bevorratung gar nicht nötig sei, erzählt Andiel. Etwas überraschend nicht auf der Bevorratungsliste stehen Psychopharmaka, wo es jedoch ebenfalls immer wieder zu Lieferengpässen mit vielen betroffenen Patienten kommt. Anders als in einigen anderen EU-Ländern, wo staatliche Stellen die Bevorratung übernehmen, lagern die Medikamente in Österreich bei Pharmagroßhändlern.

Horten von Tabletten problematisch

Die Pharma-Hersteller sehen das Einlagern von Medikamenten in einzelnen Ländern kritisch, zumal erst recht Versorgungsengpässe drohen, wenn große Länder wie Frankreich oder Deutschland massiv Tabletten horten. Derzeit haben 13 EU-Länder eine Bevorratungspflicht, in Deutschland müssen die Pharma-Hersteller sogar für sechs Monate Reserven anlegen. „Das sind ziemlich große Volumina, die da vorproduziert werden müssen“, erläutert Andiel.

Treten Bedarfsspitzen, etwa große Infektionswellen auf, könne dann erst recht nicht geliefert werden, weil die Produktionen ausgelastet sind. Die Länder seien nicht dazu verpflichtet, sich bei Medikamenten-Engpässen gegenseitig auszuhelfen. Hier bräuchte es eine EU-weite Lösung mit Solidaritätsmechanismus, doch dafür müssten erst Verpackungsgrößen oder Beipackzettel harmonisiert werden. Von einem EU-Binnenmarkt wie in der Telefonie ist man bei Medikamenten noch weit entfernt.

Ursache für die Engpässe sei der permanente Preisdruck im Gesundheitssystem, was zur Folge hat, dass bei vielen versorgungskritischen Generika inzwischen mehr als 80 Prozent der Wirkstoffe von einem einzigen Anbieter mit Billigproduktion in Asien kommen. „Gibt es dort ein Problem, hat das einen riesigen Effekt.“

Mehr Produktion in Europa, etwa bei Sandoz in Tirol, sichere die Versorgung nur dann, wenn nicht ausschließlich der Preis zähle. „Wir wollen mehr in Europa produzieren und wissen, dass das mehr kostet, aber die Gesundheitssysteme wollen nicht mehr Geld für Medikamente ausgeben“, sieht Andiel ein Dilemma. Der Sozialversicherung sei es egal, woher das Arzneimittel stammt, es zähle der Preis – und dieser gehe bei patentabgelaufenen Präparaten immer nur nach unten.

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Bestbieter-Prinzip

Um aus dieser Preisspirale rauszukommen, müsste auf EU-Ebene beschlossen werden, sogenannte „Resilienzkriterien“ wie lokale Produktionen oder gesicherte Lieferketten bei Ausschreibungen von Spitälern oder Krankenkassen zu berücksichtigen. Dann käme nicht der Billigstbieter zum Zug, sondern der Bestbieter. Erste Ansätze dazu finden sich im neuen Pharma-Act der EU-Kommission.

Der Einsatz von Generika im heimischen Gesundheitssystem sei grundsätzlich noch ausbaufähig, meint Andiel. Bei den verschreibungspflichtigen, nicht mehr patentgeschützten Arzneimitteln beträgt der Generika-Anteil hierzulande 60 Prozent, europaweit sind es 70 Prozent, in manchen EU-Länder über 80 Prozent. „Da geht schon noch etwas.“

Würden nur um ein Prozentpunkt mehr Generika verschrieben, könnte dies Kosteneinsparungen von 19 Millionen Euro für die Krankenkassen bringen, rechnet Andiel vor. Statt einer verpflichtenden Wirkstoffverschreibung, die zu weniger Angebot führt, fordert der Generikaverband Planungssicherheit durch die Beibehaltung der bisherigen Preisband-Regelung. Diese führt alle zwei Jahre zu Preissenkungen bei patentabgelaufenen Medikamenten.

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