Personalmangel gefährdet die Energiewende

Der akute Fachkräftemangel zählt zu den größten Herausforderungen bei der Umsetzung der ehrgeizigen Klimaziele. Der für die Errichtung von Photovoltaik-Anlagen, Wärmepumpen oder Windparks benötigte Arbeitskräftebedarf kann schon jetzt im Inland bei Weitem nicht gedeckt werden.
Handwerksbetriebe kommen mit dem Abarbeiten von Aufträgen kaum hinterher. Laut Prognosen des AMS fehlen in den nächsten Jahren 20.000 bis 25.000 Fachkräfte für den Ausbau der erneuerbaren Energie, allein im PV-Bereich sind es je nach Zählweise 7.000 bis 10.000. Aktuell gibt es beim AMS rund 13.000 Stellen mit klimarelevantem Bezug.
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Das AMS fasst unter dieser Bezeichnung sowohl „Green Jobs“ im engeren Sinn als auch Fachkräfte im Bereich des klimarelevanten Bauens und Sanierens zusammen. Green Jobs sind per Definition Arbeitsplätze in der Herstellung von Produkten, Technologien und Dienstleistungen, die Umweltschäden vermeiden und natürliche Ressourcen erhalten. Solche Stellen findet man in den verschiedensten Sparten, die Abgrenzung ist daher schwierig.
Besonders prekär ist derzeit die Lage in der Elektrotechnik. So ging die Zahl der Lehrlinge in den vergangenen zehn Jahren von 13.200 auf 10.800 zurück, erhob das Institut für höhere Studien (IHS). „Das Minus ist sowohl auf die demografische Entwicklung als auch auf die Höherqualifizierung und das damit verbundene schlechte Image der Lehre zurückzuführen“, erläutert Studienautor Christian Kimmich, Experte für Energie- und Umweltpolitik beim IHS.
Insgesamt 110 Berufe wurden vom Arbeitsministerium in die neue Mangelberufsliste 2024 aufgenommen. Darunter erstmals auch viele „Green Jobs“ im Mobilitätsbereich wie etwa Lokführer/in oder Buslenker/in.
Als Mangelberufe gelten solche, in denen in diesem Jahr weniger als 1,5 Arbeitsuchende pro beim AMS gemeldeter offener Stelle zur Verfügung standen. Für diese Berufe gibt es erleichterte Zulassungsvoraussetzungen für den Erhalt der Rot-Weiß-Rot-Karte und damit Zugang zum heimischen Arbeitsmarkt.
Die Wirtschaftskammer (WKO) will auch Lkw-Fahrer/innen in die Mangelberufsliste aufnehmen. Die bisherige Liste spiegle zu sehr die Sicht des grünen Klimaministeriums, kritisiert der Fachverband Güterbeförderung. Der öffentliche Verkehr funktioniere nur, wenn Treibstoff per Lkw angeliefert werde, und der Lkw-Fahrer sei schon längst ein Mangelberuf.
Für Gewerkschaft vida ist die Forderung der WKO „ein verzweifelter Versuch der Arbeitgeber, ihre eigenen Versäumnisse in Sachen Arbeitsbedingungen zu kaschieren“, kritisiert Markus Petritsch, Vorsitzender des Fachbereichs Straße in der vida. Schon jetzt könne im gesamten EU-Raum Personal rekrutiert werden. Die hohe Anzahl offener Lkw-Fahrer-Stellen zeige, dass andere Länder bessere Arbeitsbedingungen bieten würden.
Ausbildung und Zuzug
Die Regierung will dem Fachkräftemangel sowohl mit gezielter Fachkräfteausbildung beim AMS als auch mit einem vermehrten Zuzug aus Drittstaaten begegnen. Das AMS Wien hat etwa eine eigene Umweltstiftung für Klima-Jobs eingerichtet. In Kooperation mit Unternehmen wie die Wiener Linien werden hier Jobsuchende qualifiziert.
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Weil das nicht ausreicht, wurde die Mangelberufsliste für den erleichterten Zugang zum Arbeitsmarkt mittels Rot-Weiß-Rot-Karte um viele „Klimaschutzberufe“ im technischen und Mobilitätsbereich erweitert. Dazu zählen etwa Elektroniker/innen, Starkstromtechniker/innen, Dachdecker/innen oder Lokführer/innen. Bis 2027 sollen jährlich 15.000 Menschen aus Drittstaaten-Ländern eine Rot-Weiß-Rot-Karte erhalten, so das Ziel von Arbeitsminister Martin Kocher. Einige Tausend sollen für Green Jobs vergeben werden. Heuer rechnet Kocher mit 8.000 Rot-Weiß-Rot-Karten.

Christian Kimmich, IHS-Experte für Energie- und Umweltpolitik
Ökonom bremst Erwartungen
Weil auch andere EU-Länder um Fachkräfte buhlen, bremst Ökonom Kimmich die Erwartungen, die Personal-Lücke mit Migranten schließen zu können. Stattdessen müsste das Potenzial im Inland noch stärker gehoben werden, auch durch die Attraktivierung technischer Lehrberufe. Hier verweist Kimmich auf die hohe Anzahl von Lehrabbrüchen. „Viele Jugendliche wissen auch gar nicht, wie gut man mit diesen Berufen verdienen kann.“
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Höhere Produktivität
Damit sich der Erneuerbaren-Ausbau nicht um Jahre verzögert, müsste auch die Produktivität in dem Sektor gehoben werden, etwa durch mehr Fertigteil-Bauweise und „Plug & Play“. „Wir müssen die Energiewende so lenken, dass wir pro Fachkraft mehr PV oder Wärmepumpen montieren können, also weniger Personalbedarf haben“, erläutert Kimmich. Das Problem fehlender Materialien, das im Vorjahr mit zu Bauverzögerungen führte, sei weitgehend behoben. Bei PV-Modulen und Wärmepumpen gebe es sogar einen Überschuss.
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