Start-up gegen Lieferlücken: vom Zahnimplantat bis Flugzeugteil
Oliver Lödl, Strategiechef bei Orderfox, hat schon viel erlebt. Was durch die Coronakrise passiert, ist auch für ihn neu: Leere Produktionshallen und ruhende Maschinen auf der einen Seite. Auf der anderen Seite Einkäufer, die nicht wissen, wo sie Bauteile herbekommen. Lödl erklärt, dass seine Plattform für diese Lücke ein Rezept hat – und zwar nicht nur in Krisenzeiten.
KURIER: Woran leidet derzeit die produzierende Wirtschaft?
Oliver Lödl: Einerseits sind viele Maschinen nicht in Betrieb oder laufen in gedrosselter Fahrt. Und andererseits gibt es Einkäufer, die nicht wissen, wo sie dringend benötigte Bauteile herbekommen. Hier ist ein Ungleichgewicht am Markt entstanden, das wir wieder ins Lot bringen können.
Wie machen Sie das?
Wir sind vor zwei Jahren mit Orderfox gestartet. Dieses Start-up hat Richard Morscher (B2B-Marketingagentur Montfort, Anm. d. Red.) gegründet, weil er erkannt hat, dass kleine Unternehmen nicht an große Aufträge herankommen und große Unternehmen nicht wissen, wie sie in kurzer Zeit ihre Aufträge vergeben können.
Wie funktioniert dies in der Praxis?
Orderfox verknüpft diese unterschiedlichen Interessen in nur wenigen Sekunden und bringt sie über ein automatisches Matching an einen digitalen Verhandlungstisch. Mittlerweile sind wir mit 22.000 Partnern die einzige Plattform, die weltweit agiert. Es gibt Mitbewerber, die aber nur gewisse Regionen abdecken. Unsere Kunden stammen aus den USA, aus dem Schwarzwald bis in die kleinste Werkstätte der Türkei. Über Orderfox werden schon eine Million Bauteile abgewickelt.
Sie sind sozusagen ein Teilchenbeschleuniger. Welchen Vorteil bringt Orderfox noch?
Derzeit bieten wir unseren Service kostenlos an. Das ist unsere Unterstützung für die Wirtschaft. Über dies hinaus dient Orderfox auch Unternehmen, die nur eingeschränkt agieren können. Denn viele, vor allem kleine, hochprofessionelle und spezialisierte Unternehmen kann man kaum finden, weil sie wenig in Marktpräsenz und Marketing investieren. Es war früher also eine mühsame Recherchearbeit, um die richtigen Partner zu finden. Unsere Plattform erleichtert diese Arbeit enorm.
Inwiefern?
Man sieht auf einen Blick, welche Bauteile gewisse Fertiger produzieren können, in welchen Toleranzklassen sie das schaffen, welche Maschinen sie verwenden und wo sie fertigen. Letzteres ist vor allem dann interessant, wenn ich gleich ums Eck jemanden habe und ich mir damit hohe Transportkosten erspare; und ökologisch ist es obendrein. Ich kann aber auch gezielt in gewisse Regionen gehen, also Local-Sourcing betreiben.
Wird Corona auch künftig seine Spuren bei der Produktion hinterlassen?
Wir sehen ja, was es bedeutet, wenn die Transport- und Produktionswege abgeschnitten werden. Und wir sehen auch, was die Produktion im eigenen Land oder in Europa für einen Stellenwert hat. Das Coronavirus wird sich auf die globale Situation auswirken. Ich gehe daher davon aus, dass viele Produktionsschritte wieder nach Europa zurückkehren werden. Man wird sich überlegen, ob man auch künftig alles in der Ferne vergibt oder ob es doch besser ist, zu einem minimal höheren Preis in nächster Umgebung zu vergeben.
Welche Sicherheiten kann Orderfox den Partnern bieten?
Gleich mehrere. Zum einen kann der CNC-Fertiger (Computerized Numerical Control, zu deutsch Computerisierte numerische Steuerung, Anm.) seine Ausfallszeiten minimieren und der Auftraggeber hat eine Liefergarantie. Wir haben Unternehmen als Partner, die stellen Produkte unterschiedlicher Art her: Über Orderfox werden von kleinen Dentalstiften, die Zahnimplantate tragen, bis hin zu riesigen Teilen für Boeing abgewickelt. Die Bereiche reichen von Flugzeugtechnik, Autobau, Medizintechnik, Bahntechnik, Sondermaschinenbau bis hin zu Gelddruckmaschinen. Das ist aber noch nicht alles: Denn für all diese besonderen Bereiche liegen Zertifizierungen vor. Unternehmen brauchen also gar nicht warten, dass die Produktion starten kann.
Begonnen hat der Manager bei der ABB Robotertechnik. Dort war er zuerst Projekt-, dann Technik- und schließlich Vertriebsleiter. Danach leitete er 14 Jahre die Schaeffler Austria GmbH als Geschäftsführer. Seit einem Jahr ist er Vertriebschef beim Start-up Orderfox.
Ca. 5.000 Fertiger in Österreich; 75 Prozent der Stammkunden von Orderfox haben keinen Vertrieb. Im deutschsprachigen Raum gibt es rund 55.000 Fertiger mit den gleichen Herausforderungen.
Warum sind die Dienste von Orderfox nicht nur zu Coronazeiten wichtig?
Orderfox ist immer gut. Aber gerade was die Coronakrise betrifft, haben wir es zum Beispiel mit einem besonderen Bedarf zu tun. Schutzmasken fehlen an allen Ecken und Enden. Um eine solche Maske herzustellen, sind zig Schritte nötig. Fällt ein Schritt aus, lähmt das die gesamte Produktion. Mit Orderfox kann man dieses Problem rasch umgehen. Die Coronakrise wird aber hoffentlich bald zu Ende sein und der Stillstand der Wirtschaft wird sich dahingehend ändern, dass die Maschinen wieder auf Hochtouren laufen werden. Und auch da wird man rasch Partner finden müssen.
Was ist Ihre Funktion bei Orderfox und welches Potenzial liegt noch bei Orderfox?
Als Strategiechef bin ich für den Aufbau des Vertriebs zuständig. Es ist immer noch so, dass sich in den Kernsegmenten der Industrie die Old Economy behauptet. In Europa gibt es 130.000 Lohnfertiger, die nach bewährten Schemen arbeiten. Das sind größtenteils kleinere Traditionsbetriebe, die im Familienkreis weitergegeben werden. Eine Person muss da zumeist alles auf einmal machen und können. Und da liegen noch Potenziale, die noch nicht ausgeschöpft worden sind.
Apropos ausschöpfen: Wie hoch ist die Auslastung von normalen Maschinen?
Wenn eine neue Maschine angeschafft wird, dann liegen immer auch Aufträge dahinter. Sonst hätte man sie nicht gekauft. Diese werden aber zumeist nur zu 70 bis 80 Prozent ausgelastet. Die fehlenden Prozente könnten über uns ablaufen.
Wer steckt hinter dem Start-up Orderfox?
Gegründet wurde Orderfox von Richard Morscher. Mit an Bord sind unter anderem auch Rechtsanwalt Wilhelm Klagian sowie der Wirtschaftsmanager und Unternehmer Ernst Tanner.
Das Interview führte David Hell.
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