Merkel will Autoindustrie bei CO2-Grenzwerten nicht überfordern

Kanzlerin macht sich für die Hersteller stark. Kreise: Kanzleramt zieht Diesel-Streit an sich.

Im Streit über Diesel-Nachrüstung und Auto-Abgaswerte macht die deutsche Kanzlerin Angela Merkel Druck und treibt eine Paket-Lösung voran. Sie stellte sich am Dienstag gegen zu scharfe CO2-Vorschriften der EU und damit auch gegen Umweltministerin Svenja Schulze (SPD). Der Vorschlag der EU-Kommission für eine CO2-Kürzung um 30 Prozent bis 2030 sei vernünftig.

"Alles, was darüber hinausgeht, birgt die Gefahr, dass wir die Automobilindustrie aus Europa vertreiben und sie dann woanders Autos produziert, die wir hier dann kaufen", sagte Merkel bei einem BDI-Kongress. Schulze verlangt wie das EU-Parlament Einsparungen von mindestens 40 Prozent. Regierungskreisen zufolge greift das Kanzleramt auf der anderen Seite auch im Dieselstreit durch: Für Freitag sei ein neues Spitzentreffen geplant, am Mittwoch sollten Staatssekretäre aller beteiligten Ministerien Beschlüsse vorbereiten.

In Industrie- und Regierungskreisen hieß es, das Kanzleramt wolle damit offenkundig eine Paketlösung für die deutsche Schlüsselindustrie und die Diesel-Fahrer erreichen. Während die Autokonzerne nun auf Rückendeckung im Ringen um die neuen CO2-Vorgaben auf EU-Ebene rechnen könnten, müssten sie in der Diesel-Debatte mehr Beiträge liefern. Nachdem am Sonntag die Vorschläge von Verkehrsminister Andreas Scheuer im Kanzleramt und bei der Autoindustrie keine Lösung der Diesel-Krise brachten, hat Kanzleramtsminister Helge Braun nun die Staatssekretäre einer Reihe Ressorts geladen. Am Freitag sollten dann auch Umweltministerin Schulze und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) zur Spitzenrunde im Kanzleramt stoßen, sagten Regierungsvertreter der Nachrichtenagentur Reuters.

Wegen der drohenden Fahrverbote unter anderem in Frankfurt wegen der Stickoxid(NOx)-Belastung hat Merkel von Verkehrsminister Scheuer ein Konzept verlangt. In Hessen sind im Oktober Wahlen. Der Plan sollte auch die Nachrüstung von Dieseln mit Katalysatoren einschließen. Scheuer lehnt dies bisher ab. Es sei technisch aufwendig, teuer und nur bei rund zwei Millionen Autos überhaupt möglich. Der CSU-Politiker setzt stattdessen vor allem auf Kaufprämien der Hersteller, um die Flotte zu modernisieren.

Bei einer Nachrüstung mit Katalysatoren hatte Scheuer Regierungs-und Industriekreisen zufolge auch eine Selbstbeteiligung der Halter von rund 20 Prozent erwogen. Am Dienstag machte er jedoch deutlich: "Bei möglichen Hardware-Nachrüstungen für deutsche Diesel ist mein Ziel, die Selbstbeteiligung der Halter auf Null zu setzen." Zudem strebe er an, dass der Wertverlust der Diesel im Zuge der Debatte von den Herstellern etwa über eine Umtauschprämie ausgeglichen werde. Dies soll es laut Industriekreisen aber nur in besonders belasteten Regionen geben.

Industrie- und Regierungskreisen zufolge hat die Regierung aber vor allem die rund 1,2 Millionen Transporter und Lieferfahrzeuge bei der Nachrüstung im Auge: Sie können technisch vergleichsweise leicht nachgerüstet werden und sind besonders oft und lange in den Städten unterwegs. Gefragt ist jedoch bei der Finanzierung des Umbaus - die pro Fahrzeug über 3.000 Euro kosten würde - die Industrie. "Die Hersteller haben das Problem mit zu hohem Stickoxid-Ausstoß verursacht", sagte auch Umweltministerin Schulze. "Ich trete daher für technische Nachrüstungen auf Kosten der Hersteller ein."

Während die Industrie hier in die Pflicht genommen wird, bekommt sie nun bei den neuen CO2-Grenzwerten der EU Rückendeckung. Die Einsparungen für die Neuwagenflotten von 30 Prozent gegenüber 2021 hatte Umweltministerin Schulze angesichts des Klimaproblems als zu lasch kritisiert. Sie unterstütze die Position des EU-Parlaments, das 45 Prozent verlangt. Der Verband der deutschen Automobilindustrie (VDA) warnt davor und nennt schon die 30 Prozent sehr ambitioniert. Verfehlen die Hersteller die Vorgaben, drohen ihnen milliardenschwere Strafzahlungen.

Merkel sagte bei der Jahrestagung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI): "Ich finde den Kommissionsvorschlag eine vernünftige Grundlage." Ehrgeizigere Ziele würden die Industrie gefährden. "Das will ich nicht." Anfang Oktober tagen die EU-Umweltminister dazu. Dafür braucht die Bundesregierung dort eine geschlossene Position. Auch das EU-Parlament will dann einen Beschluss fassen. Ein Kompromiss müsste danach in Gesprächen zwischen EU-Parlament, Kommission und vor allem den Staaten gefunden werden. Dafür muss Deutschland zunächst eine Allianz mit anderen Länder mit Autoindustrie bilden. Deutschland ist von den Vorgaben besonders betroffen, da es vor allem Autos mit hohem Verbrauch und daher hohen CO2-Werten produziert.

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