Leitl plädiert als "Alt-68er" fürs "Zusammenstreiten"

Christoph Leitl feierte seinen 70. Geburtstag.
Der Wirtschaftskammerpräsident übergibt am 18. Mai seine Position an Harald Mahrer. Er zeigt sich von China beeindruckt.

Der scheidende Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl ist nach eigenen Angaben "ungeheuer beeindruckt" von der "ganz klaren Strategie Chinas". China habe klare Zielsetzungen, klare Maßnahmen und wolle an die Spitze. China wolle beweisen, dass sein System in der heutigen schnelllebigen Zeit besser ist als "unsere Demokratie". Dem müsse Europa eine "effiziente Demokratie" entgegensetzen.

Europa sei "drauf und dran, uns auseinanderzudividieren, statt zusammenzuhalten". China hingegen halte nach innen zusammen, allerdings "mit einem System, das nicht das unsere ist, das sage ich gleich dazu". Europa müsse verhindern, dass die Bürokratie die Demokratie erstickt und zugleich die Bürger einbinden und für die Einhaltung der Menschenrechte sorgen, das sei langfristig für alle vorteilhafter. Europa könne das, aber "wenn wir diese Alarmglocken, die derzeit läuten, nicht hören, dann könnten es für Europa Zusperrglöckerln werden".

Wechsel auf EU-Ebene

Das motiviere ihn, von der österreichischen Ebene auf die EU-Ebene zu wechseln. Leitl übergibt am 18. Mai die Position als Wirtschaftskammerpräsident an Harald Mahrer, seit Jahresanfang ist Leitl Chef der europäischen Kammerorganisation Eurochambres, wo er sich die nächsten Jahre verstärkt engagieren will. "Ein Unternehmer geht niemals in Pension" nahm er alle Fragen nach einem Ruhestand vorweg. Zu tagesaktuellen Fragen und einzelnen Maßnahmen wolle er sich künftig jedoch nicht mehr äußern. "Ich habe mich immer als mentaler Wegbegleiter dieses Landes und seiner Menschen gefühlt."

Dafür hat Leitl starke Positionen auf EU-Ebene. Bei dem Wahlen zum EU-Parlament Ende Mai 2019 "steht es Spitz auf Knopf, ob europafreundliche oder -feindliche Parteien gewinnen". Von Renationalisierungen hält Leitl nichts, "Nationalismus ist für mich eine zutiefst suspekte Sache", die habe in der Vergangenheit "so viele furchtbare Ergebnisse gezeitigt - das ist doch kein Zukunftsmodell". Das könne nur ein solidarisches Europa und kein renationalisiertes sein. Leitl würde auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und der deutschen Kanzlerin Angela Merkel empfehlen, künftig gemeinsam in die USA zu fahren und dort Europa zu vertreten, statt nacheinander einzeln mit nationalen Interessen.

Streitlust

Wichtigster Punkt seiner persönlichen Bilanz ist für Leitl der Soziale Friede, für den er sich immer eingesetzt habe. Man habe ihm Harmoniesucht vorgeworfen - das Gegenteil sei der Fall. "Als Alt-68er war ich an Streitlust gewohnt. Aber an Streitlust mit einem Ergebnis. Nicht um jemand anderen herunterzumachen, sondern um gemeinsam bessere Lösungen zu entwickeln." In diesem Sinn sage er auch gerne, er sei stolz auf die tüchtigen Mitarbeiter in den Unternehmen - er hätte sich aber gewünscht, dass die andere Seite auch stolz auf die tüchtigen Unternehmer ist. Die Senkung der Jugendarbeitslosigkeit, Jobbeschaffung für ältere Arbeitslose, der Erhalt von Jobs nach der Finanzkrise von 2008 sind Punkte, die Leitl in seiner Bilanz im Klub der Wirtschaftspublizisten hervorhob. Auch die hohe Zahl an Neugründungen, die nach fünf Jahren noch bestehen, sind für Leitl ein Grund zur Freude.

"Schmerzhaft" ist für Leitl die "Erbschaftssteuer durch die Hintertür" auf Wohnungen und auch, dass es keine Flexibilisierung der Arbeitszeit gegeben hat. Es sei "ein Blödsinn" zu glauben, man müsse die Menschen vor sich selber schützen, schließlich arbeiteten in vielen Berufen derzeit schon die Menschen zwölf und mehr Stunden.

"Guter Zeitpunkt"

In Summe sei es aber "ein guter Zeitpunkt für die Übergabe", die Wirtschaftskammer sei "in Hochform", bei allen Sozialpartnern stünden Veränderungen an und die Regierung stelle die Weichen für die Zukunft neu. "Große Freude" habe er mit seinem Nachfolger Harald Mahrer, der drei wichtige Kriterien erfülle: Er stelle einen echten Generationenwechsel dar, habe Zugang zur digitalen Welt und habe politische Erfahrung.

Zum Abschied hat Leitl auch für die anderen Sozialpartner-Chefs noch eine Überraschung: Sie werden von der Wirtschaftskammer ausgezeichnet werden. "Mein Freund Rudi Kaske" werde von Leitl nach dem Auslaufen der Funktionsperiode das Du-Wort angetragen bekommen, so Leitl.

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