Was Österreichs älteste Trafikantin von E-Zigaretten und Lutschsäckchen hält

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Die 91-jährige Vera Rosam führt seit 40 Jahren eine Trafik in Wien. Was sie von neuen Tabakprodukten hält und ob Rauchen heute uncool ist.

„Kennen Sie Torberg? Die Tante Jolesch? Das ist meine Bibel“, sagt Vera Rosam als der KURIER die 91-Jährige in ihrer Wiener Trafik besucht. Rosam ist studierte Geophysikerin mit Doktortitel, shoppt ihre Kleidung online bei Peter Hahn, liest viel, schwelgt gerne in Gedanken und muss, wenn ihr dabei etwas Lustiges in den Sinn kommt, aus tiefstem Herzen lachen. 

Als junge Frau arbeitete die gebürtige Böhmin aus Prag in Südafrika als englisch-tschechische Dolmetscherin und später in Wien auf der Hohen Warte. Vor 40 Jahren öffnete sie in einer ehemaligen Papierhandlung eine Trafik in Wien. In dieser steht die älteste Trafikantin Österreichs bis heute, zwei bis drei Tage die Woche. Wie sich ihr Geschäft gewandelt hat, was sie von E-Zigaretten hält und warum ein Einbrecher bei ihr einen Lachanfall ausgelöst hat, erzählt sie im Gespräch.

KURIER: Ihre Trafik war ja nicht immer eine Trafik, sondern ursprünglich die Papierhandlung Ihres Mannes. 

Vera Rosam: Die Papierhandlung hat Anfang 1970 aufgesperrt. Lange Zeit hat mein Mann darin gearbeitet. Als er gestorben ist, bin ich geblieben mit den zwei Kindern. Ich konnte nicht ordentlich Deutsch, es war sehr schwierig für mich. Aber weil ich ein Doktorat habe, habe ich sofort den Gewerbeschein gekriegt. Nur was soll ich Ihnen sagen … eine Papierhandlung …

Ist nicht so gut gelaufen?

Ich war verzweifelt. Zwei Kinder, ein Haus in Hetzendorf. Ich konnte das nicht halten. Vis-à-vis (von der Papierhandlung, Anm.) war so eine kleine Trafik. Aber das Haus wurde abgerissen, die Trafik ist zugrunde gegangen.

Also haben Sie das Papiergeschäft in eine Trafik umgewandelt.

Von Beppo Mauhart (damals im Vorstand der staatlichen Austria Tabak, Anm.) habe ich die Tabaktrafik dann gekriegt. Die Anfänge waren sehr schwer, ich bin allein da gestanden von morgens bis abends. Aber dann habe ich eine Verkäuferin gefunden, ein liebes Mädchen aus Böhmen, mit ihr wurde es besser. Jetzt habe ich zwei Verkäufer aus Bosnien. Und so schaffen wir das zu dritt. Weil stehen kann ich schwer.

Welche Ereignisse sind Ihnen in den vierzig Jahren als Trafikantin besonders in Erinnerung geblieben?

Dreimal wurde die Trafik ausgeraubt, einmal ist es schief gegangen, das muss ich Ihnen erzählen. Unter mir ist ein Keller, das ist ein altes Haus. Jemand hat im Keller gegraben, ist durchgebrochen und hier im Hinterzimmer rausgekommen. Damals war genau über dem Loch, das er gegraben hat, eine Stellage. Die ist umgefallen und er war so erschrocken, dass er alles stehen gelassen hat und geflohen ist. So viel Mühe für nichts (lacht)! In der Früh hat mich der Verkäufer angerufen und gesagt: „Es ist eine fürchterliche Unordnung in der Trafik, aber nichts fehlt!“

Ist das Geschäft von Anfang an gut gelaufen? Oder wie war die Umstellung von Papier zu Tabak?

Finanziell war es damals noch sehr günstig, eine Trafik zu bekommen. Ich war fleißig, die Leute sind gern gekommen, auch die Kinder haben beide geholfen. Nur einmal hat meine Tochter gesagt: „Mama, ich komm nicht mehr.“ Weil die Leute auch mit persönlichen Schwierigkeiten kommen und darüber sprechen. Eine Frau hat meiner Tochter damals erzählt, dass ihr Mann in der Nacht im Bett verstorben ist. Das war zu traurig für meine Tochter.

Man erfährt als Trafikantin viel über die Kundschaft.

Manchmal zu viel! Aber ich bin sehr glücklich, habe die Leute gern. Bis auf meine 90 Jahre bin ich zufrieden.

Sind Sie genau 90?

91 seit Mai. Aber auch deshalb gehe ich sehr gern in die Trafik, weil die Leute kommen und sagen: „Sie schauen super aus!“ Und wissen Sie, das baut mich auf. Aber einmal ist ein Herr gekommen, ist in der Tür stehen geblieben und hat gesagt: „Was? Sie sind noch immer da?“

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Die Papierhandlung sperrte Vera Rosam in den 1970er-Jahren auf und wandelte sie später in eine Trafik um. Seit vierzig Jahren ist sie nun Trafikantin und steht bis heute zwei bis drei Tage im Geschäft.

Wie oft sind Sie heute im Geschäft?

Wenigstens zwei- dreimal in der Woche muss ich kommen, sonst bin ich unruhig. Das ist mir die Mühe wert.

Rauchen die Leute noch so viel wie früher?

Gerade hat mir meine Verkäuferin gesagt, dass der Zigarettenautomat in der Früh leer war, völlig leer. Also die Leute rauchen nach wie vor. Ich mache über eine Million Umsatz und das sind hauptsächlich Zigaretten.

Was sagen Sie zu den ganzen neuen Produkten? Tabakerhitzer, E-Zigaretten …

Ich verstehe das nicht. Wissen Sie, wenn jemand eine gute Zigarre oder eine gute Zigarette raucht, riecht das angenehm. So gehört sich das. 

Sie sind also kein Freund davon. 

Ich kann es nicht beeinflussen, aber sehr viele Leute sind umgestiegen. Ich bin altmodisch, das wird sich wahrscheinlich nicht ändern. Mein Angebot ist so breit, dass es unmöglich ist, alles zu haben. Aber ich mache mir keine Sorgen. Auch wie ich die Papierhandlung hatte, gab es immer Leute, denen das Papier zu dunkel, zu hell, zu groß oder zu klein war. Dann habe ich gesagt: Sie können auch auf Klopapier schreiben. Auch heute, wenn etwas zu süß, zu dies, zu das ist, gebe ich einfach eine freche Antwort. In meinem Alter kann ich mir das erlauben.

Zeitungen führen Sie noch, da ist Ihr Sortiment groß.

Ich mache pro Woche über 500 Euro Umsatz mit den Zeitungen, das ist relativ gut. Ich hatte die Billetts immer sehr gerne, aber die Leute schreiben heute nicht mehr. Sie tippen in den Computer, sagen schöne Grüße, alles Gute, zack und fertig. Der Umsatz in den Billetts ist sehr zurückgegangen.

Wie hat sich denn die Kundschaft verändert in den vierzig Jahren?

Die ist gleich geblieben, aber ich habe sehr viele Stammkunden, sehr viele alte Leute. Hier an der Ecke war das Geschäft Herold Spielwaren. Weg ist es jetzt.

Aber Ihr Geschäft steht immer noch.

Alles hat sich geändert. Nur meine Trafik nicht, die steht. Ich muss sagen, ich liebe die Trafik, ich bin gern da.

Haben Sie selbst je geraucht?

Ich habe geraucht. Leider hatte ich eine Lungenembolie, aber nicht wegen der Zigaretten. Trotzdem habe ich aufgehört. Ich würde gerne rauchen – so ein Kaffee und eine Zigarette, wenn es eine gute ist, dazu gute Freunde, das ist schön. 

Bei den Jungen ist Rauchen uncool geworden, oder was beobachten Sie?

Da oben ist ein Studentencollege und die kommen alle. Allerdings sind sie sehr sparsam, sie kaufen den Tabak und die Papiere und wickeln sie selber. Ich merke nicht, dass weniger geraucht wird.

Wann würden Sie sagen, ist das Geschäft am besten gelaufen? Oder sogar heute?

Ich denke, vor zehn Jahren war die Spitze. Ich habe zwar heute mehr Umsatz, aber auch nur weil alles teurer ist. Aber es bleibt mir genug. Es wäre traurig, wenn die Trafik einmal zugrunde geht. Ich würde das als persönliche Beleidigung sehen.

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