Astrophysikerin in den USA: "Die Stimmung schwankt"

Lisa Kaltenegger ist Autorin von „Alien Earths: Auf der Suche nach neuen Planeten und außerirdischem Leben“
Der Videoanruf geht sechs Stunden in die Vergangenheit. Von Heiligenstadt, Wien, nach Ithaca, New York. Lisa Kaltenegger sitzt in ihrem Büro an der Cornell University, umgeben von Bücherstapeln, mit einem strahlenden Lächeln. Die international renommierte Astrophysikerin und Autorin aus Salzburg ist zum Zeitpunkt des Gesprächs gerade aus Helsinki zurückgekehrt, wo sie mit der bedeutsamen „Carl-Sagan-Medaille“ (Anm. ein US-Astronom) für ihre herausragenden wissenschaftlichen Leistungen ausgezeichnet wurde. Dem KURIER erzählt sie von ihren Errungenschaften, ihrer Karriere – und von der aktuellen Stimmung in den USA.
KURIER: Frau Kaltenegger, ein Asteroid wurde nach Ihnen benannt, Sie haben Planeten in habitablen Zonen gefunden, leiten des „Carl Sagan Institut“ in New York und wurden vor Kurzem mit der gleichnamigen Auszeichnung geehrt – gibt es überhaupt noch Meilensteine, die Sie anstreben?
Lisa Kaltenegger: Ja, natürlich! Ich suche nach Leben im All und würde mich riesig freuen, die ersten Spuren auf einem anderen Planeten zu entdecken. Mit meinem Forschungsteam am Carl-Sagan-Institut legen wir die Bausteine dafür. Wir haben zum ersten Mal überhaupt die Möglichkeit, Leben zu finden – aber es ist noch am Rande des technisch Möglichen. Das heißt, es ist wahnsinnig schwierig. Wenn wir Glück haben und einige Faktoren zusammenpassen, könnte es gelingen. Und wenn nicht, haben wir eine Basis für die Nächsten geschaffen.
Wovon hängt der Erfolg ab?
Es ist wichtig, mit Kolleginnen und Kollegen zu sprechen, die nicht genau die gleiche Ausbildung haben wie man selbst. Astronomen denken anders als Biologen oder Chemiker. Es geht darum, all dieses Wissen zusammenzuführen, damit einem nichts entgeht, einfach, weil man nicht weit genug gedacht hat. So entstehen ganz neue Ideen und Lösungen und man kommt schneller voran. Genau aus diesem Grund habe ich das Institut gegründet.
- Lisa Kaltenegger ist eine mehrfach ausgezeichnete Astrophysikerin und Astrobiologin, Gründerin und Direktorin des „Carl Sagan Institute“ an der Cornell University. Sie gilt als Pionierin und hat in den vergangenen zehn Jahren neue Wege entwickelt, um Leben im All zu finden – in Zusammenarbeit mit NASA und ESA, von Österreich über die Niederlande, Harvard und Deutschland bis Cornell.
- Awards: Zu ihren Auszeichnungen zählen der Heinz-Meier-Leibnitz-Preis für Physik in Deutschland, der Doppler-Preis für Innovation in der Wissenschaft in Österreich, der Barry-Jones Inauguration Award der Royal Astrobiology Society sowie der Open University in Großbritannien und die ...
- ... Carl-Sagan-Medaille. Die Abteilung für Planetenwissenschaften (Division for Planetary Sciences) der American Astronomical Society (AAS) verleiht die Carl-Sagan-Medaille an Forschende, die nicht nur „gute Wissenschafter sind, sondern die Wissenschaft auch gut vermitteln können“, erklärt Lisa Kaltenegger. Als erste Österreicherin wurde sie mit dieser Auszeichnung in Helsinki, Finnland geehrt.
Es braucht also Teamwork.
Man denkt oft an den Wissenschafter im Elfenbeinturm, der alles allein macht. Das ist nicht mehr möglich. Niemand kann alles lesen und alles wissen – auch wenn dieses Bild noch nicht überall angekommen ist. In der Wissenschaft muss man gut zusammenarbeiten, sich absprechen und kommunizieren. So macht es auch mehr Spaß.
Astronomie war nicht immer Ihr Plan – was hat Sie in die Wissenschaft geführt?
Ich komme aus Kuchl, einem kleinen Ort in Salzburg. Die NASA und das Weltall waren für mich immer schon spannend, aber weit weg. Ich hätte nie gedacht, dass ich dort mitarbeiten könnte. Ich kannte auch niemanden, der so eine Karriere vorgelebt hat. Aber eine Entdeckung von zwei Schweizern hat mich inspiriert: 1995 fanden sie den ersten Planeten bei einem anderen Stern. Damals habe ich gerade mein Studium begonnen und mich für ein kleines Stipendium beworben, durch das ich zu einer Planeten-Konferenz nach Korsika konnte. Dort war auch einer der beiden Schweizer. Es gab viele Fragen, aber wenige Antworten, weil man noch nicht viel wusste. Diese Diskussionen waren für mich unglaublich spannend. Und ich dachte mir: Vielleicht kann ich da doch mithelfen.
Und es ist gelungen. Sie arbeiten heute sogar mit der NASA zusammen.
Ich hätte mir das nie gedacht, aber jetzt sitze ich im alten Büro von Carl Sagan und habe nun auch die Medaille verliehen bekommen. Das ist etwas Besonderes.
Muss man dafür ein bestimmter Typ Mensch sein?
Die Chefs der NASA und ESA sind Leute wie Sie und ich. Wenn man forscht, merkt man, dass im Grunde jeder ganz ähnlich ist. Was es in der Wissenschaft aber unbedingt braucht, ist Neugierde. Sie hilft dabei, neue Ideen zu erkunden und Frustrationen wegzustecken. Und es hilft, sehr flexibel zu sein. Wer in der Astronomie ortsgebunden ist, hat es oft schwer. Außerdem kann man an mehreren Universitäten auch viel mehr Perspektiven und Ideen sammeln.
Mut spielt da sicher auch eine Rolle – ganz risikofrei ist dieser Weg ja nicht.
Absolut. Neugierde gilt auch in Bezug auf Menschen und die Welt. Was für mich persönlich schön war: Man merkt, dass überall total nette und offene Leute sind. Besonders in Amerika spürt man das. Dort leben viele, die ständig umziehen, das Neu-Sein gut kennen und einen deswegen gerne aufnehmen.
2004 sind Sie in die USA gezogen, um an Harvard zu forschen. Jetzt leben Sie in New York – wie ist das Arbeiten in Amerika?
Was sich auch in Europa langsam durchsetzt, hat man in den USA früher erkannt: Spitzenforschung in interdisziplinären Teams ist wahnsinnig wichtig. Deswegen wurde mir hier die Möglichkeit gegeben, dieses Institut zu gründen. In Europa war das damals noch nicht möglich. In den USA versucht man gerade, junge Leute möglichst früh einzubinden. Die Hierarchien sind hier sehr flach, Ideen verbreiten sich dadurch viel schneller. In strikten Hierarchien funktioniert das anders, da braucht wertvoller Input oft viel Zeit, um anzukommen.
- Über Donald Trumps Umgang mit Bildung und Forschung wird viel berichtet. Der Tenor: Fördergelder sollen massiv gekürzt werden. Besonders betroffen sind etwa die größten US-Forschungsförderer, National Institutes of Health (NIH) und National Science Foundation (NSF).
- Auch einzelne Universitäten werden ins Visier genommen. So wurden rund zwei Mrd. US-Dollar an Zuschüssen für Harvard eingefroren, nachdem sich die Eliteuni gegen Forderungen gewehrt hatte. Später erklärte ein Gericht diese Kürzungen als unrechtmäßig.
- Die Unsicherheit in wissenschaftlichen Kreisen ist deutlich spürbar. Forscher erwägen, das Land zu verlassen, bzw. werden abgeworben. In Österreich werden etwa zehn Millionen Euro für das Programm „APART-USA“ zur Verfügung gestellt, um US-Spitzenforscher zu gewinnen.
Amerikaner sind bekanntlich innovationsoffener – erleben Sie das auch so?
Neue Ideen können dort sofort einfacher und schnell aufgegriffen werden. Die sind natürlich nicht alle ausgezeichnet, aber man probiert mehr aus. Man sagt oft: „Versuchen Sie es einfach mal.“ Es gibt auch Gelder, mit denen man etwas ausprobieren kann, und wenn es nicht funktioniert, ist das nicht so schlimm. In Europa ist es generell schwieriger, Misserfolge einzustecken, weil es dafür weniger Gelder gibt. Dabei ist es in der Wissenschaft besser, Fehler so schnell wie möglich zu machen, damit man nicht zu lange in eine Sackgasse läuft. Sie schnell zu erkennen, ist genauso wichtig, wie Dinge zu finden, die funktionieren.
Wie sehen Sie die aktuellen Entwicklungen in den USA? Die Regierung will u. a. Gelder für Universitäten streichen. Welche Auswirkungen würde das haben?
Jetzt gerade gibt es in Amerika einen kompletten Umschwung, den niemand kommen gesehen hat – ich bin immerhin hergezogen, als Obama Präsident wurde. Es wird aktuell hinterfragt, was Universitäten sind und was sie ermöglichen können. Da reden wir von freier Meinungsäußerung und von Studierenden ohne amerikanische Staatsbürgerschaft. Demnächst wird besprochen, wie es mit dem Budget weitergeht. Der initial diskutierte Plan sieht aber sehr große Einschnitte in Bildung und Wissenschaft vor. Bei der NASA, der National Science Foundation und den Fördertöpfen, die freie Wissenschaft ermöglichen, würde etwa viel gestrichen werden. Die Frage ist natürlich, ob das nun auch so kommt. Und erst dann werden wir sehen, wie das die amerikanischen Universitäten verändern wird.
Wie sieht der Ernstfall aus?
Wenn diese Fördergelder wirklich verkleinert werden, so wie es aktuell im Raum steht, wird es schwieriger, Spitzenforschungsgelder zu bekommen. Und das betrifft nicht nur Themen, die nicht im Einklang mit der Regierung sind, sondern auch die Krebsforschung, Künstliche Intelligenz und weitere MINT-Felder. Wenn das Budget so durchgeht, wird es schlimm, weil auch der Freiraum an Universitäten beschnitten wird. Durch einen Mangel an Forschungsgeldern wird die Innovation abnehmen. Es sind bereits bei einigen Universitäten Mittel gekürzt worden, die nun zurückgefordert werden. Aber bis das durchgeht, dauert es. Wie man sich dazwischen finanziert oder ob man in dieser Zeit etwas ganz anderes machen muss – damit müssen sich Universitäten und Forschende arrangieren.
- Wie reagiert Europa, vor allem Österreich, auf die Entwicklungen in den USA? Neben dem „APART-USA“-Programm präsentierte das EU-Parlament heuer im Mai die Initiative „Choose Europe for Science“, die darauf abzielt, mehr Forschende in die EU zu holen. Vorgesehen sind u. a. 500 Mio. Euro für internationale Forschende. Betont wird auch der Schutz der akademischen Freiheit und die Schaffung offener Forschungsräume.
- „Europa ist unter Druck“, sagte EU-Vizepräsidentin Henna Virkkunen im Rahmen der Technologiekonferenz „Technology Talk Austria“ vor einigen Wochen. Man wolle (und müsse) die Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit steigern, um mithalten zu können. Die Situation in den USA wird hier als Chance wahrgenommen.
- Laut ÖAW-Präsident Heinz Faßmann sei es gelungen, exzellente Persönlichkeiten nach Österreich zu holen (der KURIER hat berichtet). Ein klarer Gewinn für die heimische Wissenschaft: „Trump sei Dank für diesen Brain Gain.“
Was bedeuten diese Kürzungen für die Studierenden?
Das ist auf jeden Fall eine weitere Frage, die sich stellt. US-amerikanische Universitäten sind schließlich auch groß geworden, weil sie es geschafft haben, aus den verschiedensten Ländern Top-Leute zu gewinnen. Wenn das schwieriger wird, wird sich diese Landschaft weiter verändern. Europäer sind davon allerdings bis jetzt weniger betroffen.
Wie ist die Stimmung unter den Forschenden?
Das schwankt. Was sich aber in letzter Zeit gezeigt hat, ist, dass sich alles komplett verändern kann. Es ändert sich alles wahnsinnig schnell. Optimismus ist zwar das Beste, was man haben kann, aber ein gewisser Realismus setzt sich trotzdem durch. Dass Amerika sich so schnell ändern konnte, ist überraschend. Normalerweise verändern sich Institutionen, Universitäten, Wissenschaft und Forschung kaum mit einer neuen Regierung. Ob es dieses Mal anders ist, wird sich zeigen – und welche Konsequenzen das haben wird. Im Augenblick ist es kaum absehbar. Auch, ob Top-Leute aus anderen Ländern künftig weiterhin in Amerika forschen wollen. Einige werden sich vielleicht woanders umsehen. Wissenschaft ist international, also gibt es auch Alternativen.
Was würden Sie jungen Wissenschaftern raten?
Was ich persönlich gerne früher gewusst hätte: Selektives Gehör ist hilfreich. Oft sagen einem Leute: „Das geht nicht, das wird nicht funktionieren, diese Forschung ist zu weit in der Zukunft.“ Man sollte sich zwei, drei Menschen suchen, deren Meinung wirklich wichtig ist – und allen anderen so wenig wie möglich zuhören. Der zweite Punkt: Show Up (Anm. Tauch auf). Viele wollen zu Beginn lieber im Hintergrund bleiben. Dabei hilft es mitzumachen und Fragen zu stellen. So wird man Teil der Diskussion, neuer Ideen und schafft ein Netzwerk. Das ist gerade jetzt, wo sich so viel so schnell ändert, entscheidend.
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