Neue Währung: Warum alle Unternehmen jetzt um Online-Bewertungen bitten

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Ob im Restaurant oder beim Arzt: Überall werden Kunden um Online-Bewertungen gebeten. Firmen tun das aus gutem Grund, doch was, wenn die Kritik vernichtend ist?

Dem Großteil der überstellten Pakete folgt heute eine eMail. Der Betreff: „Ihre Meinung ist uns wichtig.“ Die Aufforderung: „Jetzt Bewertung abgeben.“ Online ist man das exzessive Sammeln von Daten längst gewohnt, im zwischenmenschlichen Kontakt ist es neu. 

Nicht selten wird nach einem Restaurantbesuch plötzlich der QR-Code vorgelegt – auf einer Visitenkarte oder einem kleinen Holzwürfel. Einscannen und öffentlich das kulinarische Erlebnis bewerten, lautet die freundliche Aufforderung des Servicepersonals. Auch beim Trafikanten ums Eck, im Fitnessstudio oder beim Immobilienmakler – zusammengefasst, bei jedem erdenklichen professionellen Kontakt – wird mittlerweile um eine positive Rezension gebeten. Persönlich oder mittels Plastik-Aufsteller, die es um gesalzene Preise (bis zu achtzig Euro) zu kaufen gibt.

Bewertungen: Die neue Währung

Bewertungen sind für Unternehmen zu einer neuen Währung geworden. Sie können über Erfolg, Umsatz und Ansehen entscheiden. „Es ist gewissermaßen eine neue Maßeinheit“, bestätigt der Wiener Rechtsanwalt Johannes Öhlböck, der seit Jahren Mandanten gegen negative Online-Rezensionen vertritt und nach eigenen Angaben schon öfter gegen Google gewonnen hat als verloren. „Das Thema ist riesig“, führt er aus, weil sich Unternehmen der Bewertung nicht entziehen können. „Es gibt mehrfach Entscheidungen, dass es keinen Anspruch gibt, nicht bewertet zu werden“, verweist Öhlböck auf die Gerichte. 

Betriebe wären deshalb gut beraten, Bewertungen nicht nur dem Zufall zu überlassen, ist er überzeugt. Denn negative Kommentare kommen sowieso – die positiven muss man sich erarbeiten.

Die Macht der Bewertung

Earl Valencia führt das philippinische Restaurant "Lolo & Lola" in der Wiener Burggasse. Seine Google-Bewertung liegt bei 4,7 Sternen von fünf bei insgesamt 550 Rezensionen. Er ist zufrieden, will sich aber nicht darauf ausruhen. Also weist er seine Mitarbeiter an, zufriedene Gäste am Ende ihres Besuchs um eine gute Bewertung zu bitten – quasi als i-Tüpfelchen zum Trinkgeld. 

„Das bringt schon viel“, erkennt Valencia – auch in der Beziehungsarbeit mit dem Kunden. Denn dieser hätte zunehmend mehr Verständnis dafür, wie wichtig Bewertungen für Unternehmen sind. „Das ist wie Mundpropaganda, aber online“, erklärt der Gastronom. „Heute schauen sich viele die Bewertungen an, bevor sie überhaupt ein Restaurant besuchen oder Produkte kaufen.“

Earl Valencia
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Wer einen Betrieb unterstützen will, hinterlässt eine (positive) Bewertung. Kostet nichts außer Zeit, sagt der Gastronom, der deshalb selbst begonnen hat, Hotels und Lokale zu bewerten. Aber nur, wenn er komplett zufrieden war. „Ich gehe den anderen Weg, teile statt schlechte nur gute Erfahrungen und poste Fotos, um die Leute noch mehr zu überzeugen.“

Der Einfluss von Online-Rezensionen ist groß, merkt Alexander Oswald, Präsident der Österreichischen Marketing Gesellschaft, an. „Sie sind annähernd am selben Vertrauenslevel wie Empfehlungen von guten Freunden.“ Außerdem wären Bewertungen allgegenwärtig – ob auf Amazon, Netflix, Job- oder Arztportalen. „Sie sind Teil des Normalbetriebs geworden“, sagt er. Aktuell wäre man in der „quantitativen Phase“ angelangt – je mehr Bewertungen, desto besser. „Das sind Wellen und wird auch wieder vorbeigehen“, so Oswald. „Wir werden wieder in eine Phase kommen, wo wir die Qualität der Bewertungen mehr herausstreichen. Wo es darum geht, wer sind die Menschen, die bewerten?“ Nicht zuletzt, weil Fakes überhandnehmen. Die Plattform Trustpilot etwa hat binnen eines Jahres 4,5 Millionen gefälschte Bewertungen erkannt und gelöscht, teilt sie transparent in ihrem Trust Report 2025 mit.

Aber egal, ob gefälscht oder echt: Auf Bewertungen reagieren sollten Unternehmen immer, sagt der Experte. Insbesondere auf die negativen. Earl Valencia ist das bewusst. Einmal im Monat antwortet er ausnahmslos auf alle Bewertungen. Manche Rückmeldungen schmerzen, er habe aber gelernt, damit umzugehen. „Letzte Woche hatten wir eine Bewertung mit drei Sternen. Die Gäste waren zufrieden, haben aber gesagt, dass sie für den Preis die Portionen zu klein finden. Dafür gleich zwei Sterne Abzug ist hart, aber kommt vor.“ Was ebenfalls vorkommen kann: Vernichtende Kritiken, die man lieber nicht öffentlich im Netz stehen haben möchte. Denn das kann geschäftsschädigend sein, erklärt Rechtsanwalt Johannes Öhlböck.

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„Überall dort, wo es ins Persönliche hineingeht, können negative Bewertungen sehr intensiv sein.“ Johannes Öhlböck,
Rechtsanwalt

Löschen ist schwierig

„Auch Unternehmen, die Hunderttausende Bewertungen haben, gehen manchmal wegen einer einzigen vor Gericht“, verrät der Anwalt. Insbesondere Zahnärzte wären häufig betroffen. Sie verbuchen mitunter die härtesten Kritiken, verrät Öhlböck. Vielleicht, weil jeder Zahnarztbesuch als etwas „Invasives“ empfunden wird, vermutet er.

Zum Problem wird eine negative Bewertung, wenn sich „extra viel Mühe“ gemacht und Schlagwörter verwendet wurden, die in Suchmaschinen gut funktionieren. Da kann es passieren, dass die Bewertung als wichtiger eingestuft wird. „Sie macht aus einem 4,7-Schnitt zwar keine 4,1, aber sie wird immer ganz oben angezeigt“, sagt Öhlböck. Auch einem Mandanten sei das passiert. „Die Bewertung war so prominent, dass jeder Kunde ihn darauf angesprochen hat.“ Manche werden ihm aber nie die Chance gegeben haben, sich zu erklären, vermutet der Anwalt.

Wann man klagen muss

Direkt einen Rechtsstreit auszurufen, kann Öhlböck nicht empfehlen. Die Prozesse sind langwierig, die Kosten hoch. Vieles ließe sich persönlich klären, sofern man eine Möglichkeit findet, den Rezensenten zu kontaktieren. „Wenn man aber nicht weiß, wer es ist, bleibt nur der Weg zu Google“, sagt Öhlböck – bzw. zu dem Portal, auf dem die Bewertung hinterlassen wurde.

Der Anwalt kontaktiert mittels eingeschriebenem Brief, reagiert wird meistens rasch, jedoch gelingt es in den wenigsten Fällen, direkt bei Herantreten an Google eine Löschung zu erreichen. Plattformen hätten schließlich ein vitales Interesse daran, so viele Bewertungen wie möglich zu erhalten. Und sie wollen sich keinesfalls den Ruf aneignen, bei einer Klageandrohung sofort klein beizugeben. „Das heißt, sie verteidigen sich professionell und Gerichte müssen immer wieder entscheiden, ob etwas gelöscht wird oder nicht.“

Das Zünglein an der Waage wäre nie der gesamte Beitrag, sondern einzelne Wörter – ob es sich um Meinungsäußerungen handelt oder Tatsachen. Gegen Meinungen („es hat grauenhaft geschmeckt“) ließe sich kaum vorgehen, Tatsachen aber („ich hatte zwei Fliegen im Dessert“) müssen stimmen und sich beweisen lassen.

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