Verdienen Sie genug? Was das Gehalt über den Selbstwert aussagt

Gehälter sind in den vergangenen Jahren inflationsbedingt stark gestiegen. Dennoch haben 42 Prozent der Österreicher das Gefühl, sich um ihr verdientes Geld immer weniger leisten zu können, zeigte kürzlich eine Erhebung. Das nagt nicht nur am verfügbaren Budget, sondern möglicherweise auch am Selbstwert. Denn die Höhe des Einkommens hat viel damit zu tun, wie zufrieden wir im Job, aber auch mit uns selbst sind.
Wissenschaftlich belegt: Der Selbstwert steigt mit dem Gehalt
Studien, die diese Aussage belegen, gibt es mehrere. Menschen mit höherem Einkommen wären selbstbewusster, stolzer und weniger ängstlich, erkennt etwa 2021 die American Psychological Association, die mehr als 1,6 Millionen Menschen in 162 Ländern befragte. Bemerkenswert ist auch jene der Universität Zürich, die in den Niederlanden den Selbstwert von 4.100 Erwachsenen über Jahre erforschte und im Jahr 2023 nachweisen konnte: Erhöhte sich das Einkommen, erhöhte sich auch das Selbstwertgefühl. Unabhängig von Geschlecht, Alter oder Bildungshintergrund.
Die Forscher betonten jedoch, dass das nicht automatisch schlechte Nachrichten für Geringverdienende seien. Schließlich wird der Selbstwert von mehreren Faktoren beeinflusst.
Und auch Martina Ernst, Wiener HR-Expertin mit Fokus auf faire Vergütung, sagt zum KURIER, dass der Selbstwert stark davon abhängig sei, wie gut man Prioritäten im Leben umsetzen könne. „Wer den Schwerpunkt auf Hobbys, Familie und gesellschaftspolitische Themen legt, sieht das Gehalt höchstwahrscheinlich nur als nötige Einnahmequelle. Wer sich allerdings beruflich verwirklichen will, betrachtet eine gehaltliche Steigerung oft als Bestätigung der Leistung.“ Gehaltsprofi Conrad Pramböck, der jahrzehntelang Gehälter und die Menschen dahinter analysiert, stimmt zu. Und definiert vier Persönlichkeitstypen und ihren Zugang zu Geld.
Welcher Typ sind Sie?
- Der leistungsorientierte Typ: Der leistungsorientierte Typ sieht das Gehalt als direktes Feedback auf Leistung und Anstrengung. Also strebt er nach Bonussystemen und leistungsabhängigen Gehaltserhöhungen. Klassischer Job: Vertrieb.
- Der sicherheitsorientierte Typ: Er sucht nach stabilem Einkommen und will, dass das Gehalt verlässlich und regelmäßig angepasst wird.
- Der freiheitsliebende Typ: Benefits wie flexible Arbeitszeiten übertrumpfen das Gehalt. Dieser Typ reduziert dafür auch Stunden.
- Der sinnorientierte Typ: Die eigene Tätigkeit muss für den sinnorientierten Typ eine Bedeutung erfüllen. Ein angemessenes Gehalt ist wichtig, aber wichtiger ist die soziale Anerkennung. Typischer Job: Arbeiten in einer NGO.
Wovon jedoch keiner der Persönlichkeitstypen gefeit ist, ist der soziale Vergleich. „Die tatsächliche Höhe des Gehalts spielt für die meisten eine untergeordnete Rolle“, sagt Pramböck. „Der Vergleich löst etwas aus.“
Ob man mit dem Gehalt zufrieden ist, wäre zu 80 Prozent davon abhängig, ob man besser als andere verdient, schätzt der Profi. Nicht davon, ob man sich leisten kann, was man sich leisten können will. Das ist eine problematische Angelegenheit.
Schließlich vergleicht man sich nicht nur mit Kollegen in ähnlichen Positionen oder Branchen. Sondern auch mit Freunden, Familie, deren beruflicher Hintergrund ein ganz anderer sein könnte. Wirklich transparent weiß man über das Gehalt des Gegenübers auch selten Bescheid, versucht anhand von Indikatoren (Auto, Wohngegend, Lebensstil) abzuschätzen, wo man selbst steht.
Um herauszufinden, ob das eigene Gehalt der Position und dem Marktwert entspricht, empfehlen Martina Ernst und Conrad Pramböck zunächst online auf klassischen Gehaltsplattformen wie glassdoor.com oder stepstone.at zu recherchieren. Auch ChatGPT erweist sich als solider Auskunftsgeber (der KURIER hat den Chatbot gemeinsam mit Conrad Pramböck auf eine Handvoll Jobs geprüft). Doch je höher die Position, desto schwieriger wird es, seriöse Informationen zu beziehen.
Befindet man sich also bereits in einer höheren Karrierestufe, legen die Experten ein Gespräch mit Mentorinnen und Mentoren ans Herz sowie das Umhören in Netzwerken oder das Einholen von Unterstützung von Personalberatern. Wer im Zuge der Recherche erkennt, zu wenig zu verdienen, sollte in Verhandlung treten. Wer sich nicht traut, zu fragen, bekommt genau das, mahnt Martina Ernst. Nämlich nichts. (Wie Verhandlungen gelingen, lesen Sie hier.)
Ab Juni 2026 muss außerdem die EU-Entgelttransparenzrichtlinie in nationales Recht gegossen sein. "Spätestens dann fällt die Verschwiegenheitspflicht zum Thema Gehalt und Unternehmen sind verpflichtet, Mitarbeitende über die persönliche Gehaltsentwicklung sowie das Durchschnittsgehalt gleicher bzw. gleichwertiger Funktionen im Unternehmen zu informieren", erklärt Martina Ernst. (Wie 100-prozentige Gehaltstransparenz in Unternehmen aussehen kann, lesen Sie hier.)
Warum der Vergleich mit anderen hinkt
„Der Vergleich mit anderen kann glücklich oder krank machen“, warnt Martina Ernst. „Allerdings nur, solange wir Gehalt als Tabuthema betrachten. Fangen wir an, es zu versachlichen, verstehen wir besser, welche Position derzeit wie hoch am Markt bemessen wird.“ Das könnte der Anfang sein, marktwirtschaftlich gut bewertete Funktionen kritisch mit ähnlichen Jobs zu vergleichen, deren Bewertung niedriger ist, sagt die Gehaltsexpertin. Etwa warum man in der Metallindustrie gut verdient und im Handel nicht.
Letztlich ist das Gehalt immer nur der Preis, den Unternehmen bereit sind, für eine bestimmte Funktion zu zahlen. Martina Ernst: „Es geht primär um den Wert der Funktion und nicht um den Wert der Person. Und natürlich geht es auch um die Leistung, die in dieser Funktion geliefert wird.“
Kommentare