Anwalt erklärt: Sind freie Dienstnehmer künftig wirklich mehr geschützt?

Freie Dienstnehmer sind Personen, die für eine bestimmte oder unbestimmte Zeit für einen Auftraggeber arbeiten, ohne sich in persönliche Abhängigkeit zu begeben. Bedeutet auch: Sie sind nicht eingegliedert in den Betrieb, müssen sich nicht an Arbeitszeiten oder Weisungen halten, ihr Einkommen selbst versteuern und – ganz wichtig – sie können sich auf keinen Kollektivvertrag (KV) oder Mindestlohntarif berufen. Sie genießen also weniger Schutz. Das soll sich jetzt ändern.
Ab 2026 sollen auch freie Dienstnehmer, wie etwa Essenszusteller, in den KV eingebunden werden können, verkündete Arbeits- und Sozialministerin Korinna Schumann diese Woche (mehr dazu lesen Sie hier). Auch klare Kündigungsfristen soll es geben. Wie das in der Umsetzung aussieht? Der KURIER hat Klaus Cavar, Rechtsanwalt im Bereich des Arbeitsrechts, um seine Einschätzung gebeten.
KURIER: Das Sozial- und Arbeitsministerium verkündete diese Woche neue Regelungen für freie Dienstnehmer ab 2026. U. a. sollen Arbeitgeber die Möglichkeit haben, freie Dienstnehmer in den Kollektivvertrag aufzunehmen. Was ist davon zu halten?
Klaus Cavar: Die Einbeziehung freier Dienstnehmer in Kollektivverträge ist arbeitsrechtlich ein bemerkenswerter Schritt. Er wirft in der praktischen Umsetzung viele Fragen auf. Derzeit liegt ein Gesetzesentwurf vor – es bleibt daher abzuwarten, welche Bestimmungen letztlich beschlossen werden. Hervorzuheben ist, dass der Entwurf lediglich die Möglichkeit eröffnet, dass die Kollektivvertragsparteien auch für freie Dienstnehmer Kollektivverträge abschließen. Eine verpflichtende Einbeziehung von freien Dienstnehmern ist laut den gesetzlichen Materialien ausdrücklich nicht vorgesehen.
Warum sollten Arbeitgeber, die bewusst auf freie Dienstnehmer setzen, diese nun mehr absichern und schützen wollen?
Das ist der eigentliche Knackpunkt: Freie Dienstverhältnisse werden von Unternehmen in der Praxis häufig gezielt gewählt, um nicht an arbeitsrechtliche Bestimmungen wie Kündigungsfristen, Entgeltfortzahlung, Urlaubsansprüche oder Arbeitszeitregelungen gebunden zu sein. Die nun vorgesehenen Neuerungen sind daher nicht von den Arbeitgebern initiiert, sondern sind eine politische Maßnahme, mit der auf vermeintliche Schutzlücken reagiert werden soll.
Auch neue Kündigungsregeln sind geplant: Konkret eine Kündigungsfrist von vier bzw. sechs Wochen auch für freie Dienstnehmer. Wie lässt sich das umsetzen?
Die Frage, ob die für echte Dienstnehmer geltenden Kündigungsfristen auch auf freie Dienstnehmer anwendbar sind, war zuletzt Gegenstand kontroverser Diskussionen. Die jüngere Rechtsprechung hat nun klargestellt, dass dies nicht der Fall ist. Mit freien Dienstnehmern konnten daher bislang deutlich kürzere Kündigungsfristen vereinbart werden – etwa im Vergleich zu Arbeitern oder Angestellten. Der aktuelle Gesetzesentwurf greift diese Rechtslage auf und sieht erstmals gesetzliche Mindestkündigungsfristen für freie Dienstverhältnisse vor: vier Wochen bzw. sechs Wochen ab dem vollendeten zweiten Dienstjahr. Vertraglich günstigere Regelungen zugunsten freier Dienstnehmer bleiben jedoch weiterhin zulässig.

Klaus Cavar ist seit 2018 selbstständiger Rechtsanwalt in Wien und hat sich gänzlich dem Arbeitsrecht verschrieben. Er vertritt beide Seiten, Arbeitgeber wie Arbeitnehmer.
Auch ein Probemonat kann vereinbart werden – ist das sinnvoll bei freien Dienstnehmern?
Da der vorliegende Gesetzesentwurf ab 2026 die Einführung gesetzlicher Kündigungsfristen für freie Dienstverhältnisse vorsieht, kann die vertragliche Vereinbarung eines Probemonats künftig durchaus sinnvoll sein. Sie bietet beiden Vertragsparteien in der Anfangsphase zusätzliche Flexibilität.
Für freie Dienstnehmer "gibt es ab 1. Jänner 2026 bessere Arbeitsbedingungen, geregelte Mindestentgelte und ein Schutzpolster durch klare Kündigungsfristen“, sagt die Ministerin laut Aussendung. Aber nur, wenn der Arbeitgeber das auch will, richtig?
Die gesetzlichen Änderungen hinsichtlich der Kündigungsfristen sind zwingend und gelten unabhängig davon, ob der Arbeitgeber damit einverstanden ist oder nicht. Ob freie Dienstnehmer jedoch künftig auch kollektivvertragliche Ansprüche erhalten, hängt davon ab, ob die Kollektivvertragsparteien von der ihnen eingeräumten Möglichkeit zum Abschluss entsprechender Kollektivverträge tatsächlich Gebrauch machen. Sollte das der Fall sein, bleibt abzuwarten, wie weitreichend diese kollektivvertraglichen Regelungen ausfallen: Beschränken sie sich auf Mindestentgelte – oder wird über den Weg des Kollektivvertrags künftig sogar ein Urlaubsanspruch oder eine Entgeltfortzahlung im freien Dienstverhältnis etabliert?
Es soll dazu beitragen, „unlautere Praktiken und Lohn- und Sozialdumping einzudämmen.“ Was braucht es Ihrer Meinung nach im Arbeitsrecht, um diesen Effekt zu erzielen?
Ich bezweifle, dass die geplante Novelle einen substanziellen Beitrag zur Bekämpfung von Lohn- und Sozialdumping leisten wird. Dienstnehmerähnliche freie Dienstnehmer sind dem echten Dienstnehmerstatus im Bereich der Sozialversicherung ohnehin weitgehend gleichgestellt und gelten als „vollversichert“. Die eigentliche Problematik liegt weniger im Fehlen sozialversicherungsrechtlicher Absicherung, sondern vielmehr in der falschen arbeitsrechtlichen Einordnung vieler Vertragsverhältnisse. Zahlreiche als „freie Dienstverhältnisse“ gemeldete Tätigkeiten erfüllen in Wahrheit die Kriterien eines echten Arbeitsverhältnisses. Eine wirksamere Maßnahme wäre daher eine konsequentere, engmaschigere Kontrolle solcher Beschäftigungsverhältnisse, um Scheinselbstständigkeit frühzeitig zu erkennen und zu sanktionieren.
Die SPÖ nennt dies einen „historischen Meilenstein im Arbeitsrecht“ – ist es das? Oder muss man auf die konkrete Ausführung warten, um das zu beurteilen?
Dass die Politik diesen Schritt als bedeutenden Fortschritt bewertet, überrascht nicht. Aus meiner Sicht handelt es sich jedoch eher um eine reaktive Maßnahme mit Anlasscharakter Stichwort – „Lex Lieferando“. Die neuen Regelungen ändern nichts am strukturellen Problem der Scheinselbstständigkeit, das insbesondere in bestimmten Branchen wie der Plattformarbeit fortbesteht. Gerade bei Essenszustellern ist die arbeitsrechtliche Einordnung häufig fragwürdig. Hier wird der nationale Gesetzgeber allerdings ohnehin tätig werden müssen, da die EU-Richtlinie zur Plattformarbeit bis Dezember 2026 in nationales Recht umzusetzen ist. Diese sieht unter anderem eine widerlegbare gesetzliche Vermutung für ein Dienstverhältnis vor.
Also kein Meilenstein.
Im Ergebnis würde ich daher nicht von einem historischen Meilenstein sprechen. Eine gewisse Symbolwirkung mag der Novelle zugestanden werden – arbeitsrechtlich ist jedoch Zurückhaltung angebracht. Für eine abschließende Bewertung ist es ohnehin zu früh: Die tatsächliche Wirkung wird davon abhängen, wie die neuen Vorgaben konkret gesetzlich umgesetzt werden – und wie sich das in der Praxis auswirkt.
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