Ausgeliefert: Wie Essen-Zusteller ausgebeutet und beschimpft werden

Ausgeliefert: Wie Essen-Zusteller ausgebeutet und beschimpft werden
Sie arbeiten unter miserablen finanziellen Bedingungen, werden rassistisch beschimpft und von Kunden gemaßregelt. Der KURIER hat einen „Rider“ begleitet
Von Uwe Mauch

Im Wiegetritt glüht er die Argentinierstraße im vierten Bezirk hinauf. Dabei spürt er die bereits abgespulten Kilometer in den Oberschenkeln. Seine Finger und Zehen fühlen sich klamm an, passend zu einer Temperatur unterhalb des Gefrierpunkts.

Fabio Hofer ist einer von rund 3.000 Zustellern von Essen in Wien. Er fährt seit der Pandemie für „Wolt“ und „Foodora“. Die beiden Plattformen verdienen gut an ihm. Denn er müht sich für sie ab, und sie zahlen ihm für eine Vier-Stunden-Schicht und 50 Kilometer Radfahren gegen die Uhr nicht mehr als 55 Euro. Brutto, wohlgemerkt.

Sofort auffallend ist für den Autor dieser Zeilen bei der versuchten Verfolgungsfahrt: Vor jeder Ampel, die Rot ist, bleibt Fabio Hofer stehen. Er kann einen nachvollziehbaren Grund dafür ins Treffen führen: „Du zahlst mehr Strafe, wenn du bei Rot über eine Kreuzung fährst, als du in einer Schicht verdienen kannst.“

Ausgeliefert: Wie Essen-Zusteller ausgebeutet und beschimpft werden

Fabio Hofer

Einige Zusteller selbst nennen sich „Rider“. Klingt verwegen. Ist es auch. Denn sie riskieren bei jeder Zustellung ihr Leben.

Freiwild der Konzerne

Finanziell riskant ist aber auch der Start in diesen Beruf. Weil die Plattformen in erster Linie dazu da sind, um Geld zu verdienen, können sie es sich nicht leisten, den Mitarbeitern fahrbare Untersätze sowie die Ausrüstung kostenlos zur Verfügung zu stellen. 

„2.000 Euro muss man für einen E-Roller investieren“, weiß Fabio Hofer aus Gesprächen mit Kollegen. Er hat seine eigenen Erfahrungen und auch die Perspektive einer Berufsgruppe, die jede/r in der Stadt bei der Arbeit beobachten kann und doch niemand näher kennt, in einer Ausstellung im Wien Museum thematisiert.

Fabio Hofer selbst benötigt für sein Fahrrad aufgrund der vielen Stop-and-go-Manöver nach zwei, drei Monaten neue Bremsbeläge. Wer diese zahlen muss, ist mittlerweile längst klar: Derselbe, der auch eine Provision für den mit dem Logo des Konzerns versehenen Rucksack hinterlegen muss.

Mittwochs gegen 14 Uhr ist auch Hofer hochgradig nervös: „Da werden die Schichtdienste für die darauffolgende Woche vergeben. Wer fünf Minuten zu spät online anklickt, weil sein Mobiltelefon zum Beispiel kein Netz hat, läuft Gefahr, dass er dann nicht arbeiten kann.“

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Das ist doppelt belastend für alle, die von ihrer Plattform Rad oder Roller mieten, weiß der Ausstellungskurator. „Sie zahlen Miete für etwas, was sie dann gar nicht nützen dürfen.“

Freiwild für Rassisten

Fabio Hofer hat im Vergleich zu seinen Kollegen den großen Vorteil, dass er auf seinen Nebenjob jederzeit verzichten könnte. Der Absolvent der Universität für angewandte Kunst begründet seine Mitarbeit so: „Als Künstler hast du immer wieder Phasen, da musst du den Kopf freibekommen. Oder du wartest auf Post der Jury nach einem Open Call.“

Deshalb fährt er weiterhin mit einem Rad ohne E-Motor, gibt aber zu bedenken: „Wer Tag für Tag mit dieser Arbeit Geld verdienen muss, hält das auf Dauer nicht durch.“

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Für die Kollegen würde er sich mehr Empathie vonseiten der Wiener und Wienerinnen wünschen. Alltagsrassismus hat auch er zu spüren bekommen: „Von hinten sehen Autofahrer nicht, wer auf dem Rad sitzt. Auch ich wurde schon auf das Übelste beschimpft.“

Sein Kollege Abdul bringt es im Video für die Ausstellung vorsichtig und dennoch präzise auf den Punkt: „Die Herkunft spielt eine große Rolle.“

Kritik von Radfahrern und Fußgängern

Harsche Kritik an den oft mehr als 25 km/h schnellen E-Fahrzeugen kommt auch von Radfahrern und Fußgängern. Fabio Hofer kann das gar nicht verstehen: „Sie fahren selten aggressiv. Und oft regen sich die am meisten auf, die sich gleichzeitig beschweren, dass sie zu Hause zu lange auf ihr Essen warten müssen.“

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Es ist durchaus angenehm, wenn man nach einer längeren beruflichen Fahrt durch einen Wiener Februar-Frost-Tag seine warme Stube erreicht und dort zu spüren bekommt, wie das Blut wieder durch Finger und Zehen fließt. 

Womit wir bei einem finalen Rider-Problem angelangt wären. Miki, ebenso Kollegin von Fabio, erzählt in einem Video der Ausstellung: „Die größte Herausforderung ist nicht das Radfahren, es ist viel mehr das Wetter.“

Bei Wind und Wetter

Auf extreme Hitze, auch extreme Niederschläge nehmen ihre Arbeitgeber nur wenig Rücksicht: „Wir müssen auch dann zustellen, wenn es den ganzen Tag durchregnet und sich andere irgendwo im Trockenen verschanzen“, sagt Fabio Hofer. Ihm ist zu danken, dass er uns mit seiner Ausstellung auf andere Gedanken bringt.

Mal nett einen Zusteller grüßen? Verdient hätte es sich dieser Berufsstand. Allemal.

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