Cobra-Chef: Weniger Hierarchie, dafür keinen Euro mehr für Elite-Beamte
Sein strenger Blick gilt nur der Kamera. Generalmajor Rainer Wintersteiger ist ein fröhlicher Mensch, strahlt, wenn es um seine Leidenschaft das Fallschirmspringen geht und um sein Team – rund 400 Einsatzbeamte in ganz Österreich. „Ich bin mit Sicherheit der glücklichste Generalmajor in Österreich“, sagt er zum KURIER, als ihn dieser am Standort Wiener Neustadt trifft. Es ist Wintersteigers freier Tag, aber er ist sowieso „mit der Arbeit verheiratet“ und das seit 1988. Da begann seine Karriere bei der Cobra, noch bevor diese überhaupt so hieß. Seit fast genau zwei Jahren ist er der Kommandant – der oberste Chef der Spezialeinheit des Bunds. Er verrät, welcher Persönlichkeitstyp es zur Cobra schafft und warum Geld nie eine Motivation sein kann.
KURIER: Sie sind zwei Jahre Kommandant – fehlen Ihnen die Einsätze?
Rainer Wintersteiger: Ja, definitiv. An das muss man sich wirklich gewöhnen. Natürlich habe ich diese Entscheidung selbst getroffen, weil, wenn man woanders sitzt, man noch einmal mehr erreichen kann für das, wofür man lebt. Aber es tut natürlich weh.
Lässt sich kein Mittelweg finden? Ab und zu ein Einsatz?
Das wird immer schwieriger. Aber ich bin Leiter der Fallschirmspringer-Schule und komme so noch in die Nähe meiner Spezialisten. Bei schwierigen Einsätzen sehe ich es als meine Aufgabe, dass ich mich sofort dorthin bewege, für meine Kollegen da bin. Egal, wo in Österreich das ist. Einsätze mit Schusswaffengebräuchen und schweren Zwangsmittelanwendungen sind in den vergangenen Jahren mehr geworden. Das bringt die Zeit mit sich. Ich bringe die Erfahrung von etlichen Jahrzehnten in diese Einheit und bin dann sozusagen der beruhigende Pol.
Cobra-Kommandant Rainer Wintersteiger am Stützpunkt Wiener Neustadt.
Wie viele Einsätze verträgt eine Laufbahn?
Ich bin am Land aufgewachsen, in einer gesunden Umgebung. Ich habe in meiner ganzen Karriere nie das Problem gehabt, an meine geistigen Kapazitäten gestoßen zu sein, weil ich schwerwiegende Einsätze nicht verarbeiten hätte können. Aber es gibt schon sehr viel Elend, das man über die Jahrzehnte sieht. Wobei es für jeden Bereich eine Nachbetreuung gibt, egal wie groß oder klein der Einsatz war.
Was belastet mehr: Selbst von einer Schusswaffe Gebrauch zu machen oder sich selbst in Gefahr zu wissen?
Es ist so, dass all unsere Schussmittelgebräuche oder schweren Zwangsmittelanwendungen immer tadellos gerechtfertigt waren. Aber das ist ein Tatort. Er wird durch Kollegen des Landeskriminalamtes aufgearbeitet. Es werden Spuren gesichert, die Waffen beschlagnahmt, den Kollegen wird die Schutzausrüstung und die ganze Oberbekleidung abgenommen wegen der Schmauchspuren (Rückstände des Mündungsfeuers einer Schusswaffe, Anm.). Das heißt, sie werden in diesem Fall sofort wie Beschuldigte behandelt. Das ist ziemlich prägend. Weil man ja versucht hat, im Einsatz das Beste rauszuholen.
Lässt sich das vorbeugen?
Wir haben darauf reagiert. Damals, als ich Kommandant geworden bin, haben wir eine umfangreiche Einsatzleiterschulung gemacht. Die Kollegen wissen jetzt, das wird kommen.
Was lockt die meisten Bewerber zur Cobra? Das Prestige?
Es ist ein klingender Name, klar. Den muss man sich verdienen. Bei unseren Bewerbungsgesprächen gibt es am Abschluss immer ein Hearing. Da sagen uns viele Beamte, sie sind nur zur Polizei gegangen, damit sie zur Cobra kommen können.
Der Weg zur Cobra
Wer zur Cobra will, muss mind. zwei Jahre Polizei-Außendienst absolviert haben, sich „körperlich und geistig in Topverfassung befinden“, den B-Führerschein haben, keine disziplinären Beanstandungen aufweisen sowie die Eignungstests für die Eliteeinheit bestehen. Diese zählen zu den härtesten innerhalb der Polizei und finden am Stützpunkt Wiener Neustadt statt. Frauen und Männer können sich bewerben, Altersbeschränkungen gibt es keine.
Die Aufnahmekriterien sind für alle gleich, schließlich kann die Schutzausrüstung bis zu 30 Kilogramm wiegen. Nach positiver Absolvierung sowie guten Werten auf der Rangliste müssen sich die Anwärter (ca. 60) einer Kommission stellen. Je nach Bedarf werden die besten 20 bis 30 aufgenommen, dann beginnt die sechsmonatige Grundausbildung. „Aber es ist noch keine Garantie, dass man Cobra-Beamter wird“, so der Kommandant.
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Das Geld ist es aber nicht – Cobra-Beamte verdienen wie reguläre Polizisten. Keine extra Gefahrenzulage.
Wir haben das gleiche Entlohnungsschema wie jeder Polizist in Österreich. Es gibt keine Cobra-Zulage. Das ist auch etwas, das uns unterscheidet von eigentlich allen Sondereinheiten in Europa. Geld kann nicht die Motivation sein.
Online wird für Polizisten unmittelbar nach der Grundausbildung ein Durchschnittsgehalt von 4.850 Euro brutto angenommen. Kommt man nach zwei Jahren im Exekutivdienst zur Cobra, wäre das also circa ein realistischer Betrag?
Ob Sie auf einer Polizeiinspektion, in einem Bundesland Dienst machen oder bei der Cobra, Sie werden genau das gleiche verdienen, was für Ihre Einstufung vorgesehen ist. Keinen Euro mehr.
Was macht den Job am attraktivsten? Das Team?
Definitiv ja. Ich weiß nicht, wo ich dieses Teamgefüge sonst finden würde in der österreichischen Exekutive. Es ist sehr menschlich, sehr kollegial, das sagen alle, die zu uns kommen. Obwohl sich jeder quälen muss, bis zum Umfallen ab und zu. Aber gemeinsam zu feiern, ist das eine. Gemeinsam zu leiden, bindet viel stärker.
Ist das ein Persönlichkeitstypus, den Sie rekrutieren? Die Besonnenen statt jene mit Hang zum Nervenkitzel?
Cobra-Beamte wollen nicht dieses Bild verkörpern, das man überall findet – nicht erkennbar mit Gesichtsmasken und Helm, die Schutzweste voll mit Equipment und schweren Waffen. Es ist genau das Gegenteil. Da stecken Menschen dahinter, ausgesprochen nette Menschen, die entspannt sind. Sie wissen, was sie können, brennen für eine Sache. Und ich glaube, dass das unser großer Benefit ist. Dass wir solche Menschen haben und immer in ausreichender Anzahl bekommen.
Wie viele bewerben sich und wie viele schaffen es?
Bei der letzten Ausschreibung hatten wir 208 Bewerber für ganz Österreich, knapp unter 200 sind tatsächlich erschienen und wir durften 24 Beamte für die Grundausbildung nehmen.
Und die Dropout-Quote?
Letztes Mal waren es vier Kollegen, die es nicht geschafft haben, beziehungsweise, die festgestellt haben, dass es doch nichts für sie ist. Manchmal sind es Verletzungen, die es unmöglich machen oder weil es zu familiären Veränderungen kam.
Wo scheitern die meisten im Auswahlverfahren?
Das Verfahren ist erlassmäßig geregelt. Die Kolleginnen und Kollegen können sich darauf vorbereiten, sie gehen in Schießvereine, trainieren, was zu trainieren ist. Die Herausforderung ist die Rangliste. Die ist beinhart und die Besten werden genommen. Es gibt auch bei der psychologischen Auslese eine Rangliste, beide werden zusammengeführt.
- Die Eliteeinheit wurde 1978 als Gendarmerieeinsatzkommando gegründet. Seit 2002 heißt sie Cobra. Sie ist eine Anti-Terroreinheit, rückt aus bei Geiselnahmen, organisierter Kriminalität und immer, wenn eine Schusswaffe involviert ist (Suizidankündigung, Gewalt in der Ehe).
- Der Generalmajor: Rainer Wintersteiger wurde am 3. November 2023 zum Kommandanten ernannt. Seit über 40 Jahren ist er bei der Polizei, seit 1988 bei der Sondereinheit. Er ist ausgebildeter Fallschirmsprunglehrer, gewerblicher Sprengbefugter und Präzisionsschütze.
- 900 Einsätze absolvieren Cobra-Beamte von insgesamt acht Standorten in Österreich. Am zentralen Hauptsitz in Wiener Neustadt sind aktuell 75 Beamte stationiert.
Die Polizei hat den Bewerbungsprozess niederschwelliger gemacht, Aufnahmebedingungen gelockert. Merken Sie bei der Cobra einen Unterschied bei Bewerbern?
Einen Qualitätsunterschied merken wir nicht. Was wir natürlich feststellen, dass es auch andere Kompetenzen gibt, unter jenen, die sich bewerben. Es gibt viel mehr technische Berufe, auch im IT-Bereich. Früher waren es eher die handwerklichen, die zu uns gekommen sind. Wir haben dadurch auch ein anderes Potenzial, das wir nutzen können. Unsere Anforderungen sind gleich, gelten auch für Kolleginnen in demselben Ausmaß.
Gibt es aktuell wieder weibliche Beamte bei Ihnen?
Wir haben seit mehreren Jahren keine Frau mehr in der Cobra-Intervention.
Überall in der Arbeitswelt werden Hierarchien abgeflacht. Bei Ihnen auch?
Wie wir von der obersten Führungsebene bis ganz nach unten kommunizieren, ist im Gegensatz zu anderen Bereichen in der Polizei, doch deutlich flacher. Wir haben ein gemeinsames Ziel, wir wissen, was jeder kann. Es würde nichts bringen, abgehoben Menschen Befehle zu erteilen, die sowieso wissen, was sie zu tun haben.
Wie sieht der klassische Tagesablauf im Einsatzkommando aus?
Unterschiedlich. Wir können einen Tag von der heutigen Einsatzbereitschaft nehmen: Es beginnt um sieben Uhr, normalerweise sind es 24-Stunden-Dienste. In der Früh werden unsere Fahrzeuge, die fix und fertig eingeräumt sind, übergeben, kurz gecheckt, dann folgt die Morgenbesprechung. Das Einsatzmodul hat dann zwei Stunden Nahkampf-Ausbildung, zwei Stunden Schießkanal und am Nachmittag werden taktische Einheiten trainiert. Und wenn es dunkel wird, gibt es eine Nacht-Schießausbildung. Die Beamten sind jederzeit fertig, zu einem Einsatz zu fahren, sobald das Telefon läutet oder sie es über Funk hören.
Wie oft ist das?
Wir kratzen in der ganzen Cobra-Operative knapp an vierstelligen Einsatzzahlen jedes Jahr. Es kann sein, dass wir heute nichts haben oder wie am Wochenende drei Ausfahrten nur hier in Wiener Neustadt.
Bei der Polizei sind Überstunden ein großes Thema – und bei der Cobra?
Durch unsere 24/7-Verfügbarkeit an acht Standorten ist das natürlich stundenintensiv. Es ist so wie überall in der Polizei: Wir bräuchten viel mehr Leute, um keine Mehrdienstleistungen machen zu müssen. Mit diesem Personalstand ist das aber unumgänglich.
Beim Thema Work-Life-Balance rümpfen Einsatzbeamte vermutlich die Nase?
Kommt darauf an. Ich finde, ich habe ein sehr schönes Leben hier drinnen (lacht).
Wie groß ist das Risiko, diesen Job auszuüben wirklich?
Ein Polizist, der draußen Nachtdienst hat und eine Verkehrsanhaltung macht, weiß nie, wem er begegnet. Deswegen ist seine Arbeit eigentlich gefährlicher als unsere. Das ist aber nur ein Teil der Wahrheit. Wir wissen oft, mit was wir zu rechnen haben. Aber wir wissen nicht, was wirklich passiert, trotzdem marschieren wir hin. Wir haben eine gute Schutzausrüstung, eine gute Taktik aber Tatsache ist, dass wir in Bereiche gehen, wo wir wissen: Wir werden beschossen und könnten nicht mehr zurückkommen. Das macht es gefährlich, aber was ist nicht gefährlich?
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