Untermieter als Retter in der Not
Wirtschaftliche Not zwingt zu Erfindergeist. Immer mehr Italiener müssen improvisieren, um schuldenfrei bis zum Monatsende zu kommen. „Wie nach dem Krieg sind viele wieder gezwungen, Zimmer in ihren Häusern zu vermieten“, titelten Zeitungen alarmiert. Für Arbeitslose und Pensionisten sind die Mieteinnahmen jedoch oft die einzige Einnahmequelle, um ihr Einkommen aufzubessern. Wer durch die Straßen in Rom, Mailand oder Bologna schlendert, dem fällt die große Anzahl an bunten „Affittasi“-Schildern auf.
Laut der Immobilien-Plattform Immobiliare.it ist das Angebot an privaten Fremdenzimmern in den vergangenen zwei Jahren um 26,5 Prozent gestiegen. Abhängig von Lage und Größe der Wohnung verdienen die Vermieter damit durchschnittlich 170 bis 500 Euro pro Monat.
Der Musiker Diego C. vermietet ebenfalls seit vergangenen Sommer ein Zimmer seines Mailänder Apartments. Er verrechnet 90 Euro pro Tag. Erfahrungsgemäß ist er an fünfzehn Tagen im Monat ausgebucht. Doch von den eingenommenen 1350 Euro bleibt ihm nur ein kleiner Teil. „Das Problem sind die Steuern von mindestens 23 Prozent, je nach Höhe des Einkommens bis zu 50 oder 60 Prozent. Außerdem darfst du laut Gesetz bei der Aktivität „Affittacamere“ (Zimmervermietung) drei Monate lang im Jahr nicht vermieten“, beschwert sich Diego. Doch das sei typisch für Italien: Wer alles korrekt regle, werde von den Kosten überrollt.
Matteo aus Florenz vermietet daher ausnahmslos „schwarz“. Und ist damit in guter Gesellschaft: Laut Schätzungen werden mehr als die Hälfte der Zimmer ohne Vertrag vergeben, um Abgaben zu sparen. Nur so kann er genügend auf die Seite legen. Mit den Einnahmen bezahlt Matteo die umstrittene Immobiliensteuer Imu – sie beträgt jährlich 0,76 Prozent des Kaufpreises –, die von der Regierung unter Premier Mario Monti wieder eingeführt wurde. „Das war früher mein Büro“, zeigt Matteo auf das Zimmer neben der Eingangstür. „Nun habe ich meinen Computer und meine Bücher ans andere Ende der Wohnung übersiedelt und nur die ausziehbare Couch hier gelassen. Es kommt vor, dass ich den Gast nur bei der Abreise sehe“, fühlt sich Diego nur wenig in seiner Privatsphäre eingeschränkt.
Studenten
Auch Familie Mancini in Rom vermietet an eine Studentin – allerdings nur, wie bereits in der Annonce angegeben, als „settimana corta“, an fünf Arbeitstagen. Dafür ist die Miete etwas niedriger und die Familie kann am Wochenende ungestört ihre Wohnung mit Terrasse nützen. Lorena S. aus Latina ist mit dieser typisch italienischen Lösung zufrieden. Ihre studienfreien Tage verbringt sie ohnehin lieber bei ihrem Freund in einer Kleinstadt im Latium.
Doch es sind nicht immer nur rein ökonomische Gründe, warum jemand vermietet. Chiara Rivella freut sich über neue Kontakte. Vor sieben Jahren hat sich die PR-Managerin in der Mailänder Via Bramante, in der Nähe des Parco Sempione, eine geräumige Zweizimmer-Wohnung gekauft. Ein Drittel ihres Gehalts fließt in ihren Wohnkredit, der 450 Euro im Monat kostet. Sie vermietet für 40 Euro pro Nacht ein Zimmer. „Meine Wohnung ist kein Hotel. Viele Gäste sind mittlerweile zu Freunden geworden, wo man auch mal gemeinsam zu Abend isst.“ Geschäftsleute, Studenten und Touristen aus Italien und anderen europäischen Ländern schätzen den für die zentrale Lage moderaten Preis. Zu finden ist Rivella über die Webseite www.airbnb.com, die Privatwohnungen auf der ganzen Welt anbietet.
Keine Kredite
Im Gegensatz zur Untervermietung ist der Immobilienkauf eingebrochen. Im Vorjahr wurde ein Drittel weniger Wohnungen als in den Jahren zuvor verkauft. Da die Banken in den meisten Fällen aufgrund fehlender Garantien Kredite verweigern, können sich immer weniger den Traum von den eigenen vier Wänden erfüllen.
Während in der größten Krise aller Zeiten der Großteil der Italiener mit geringeren Gehältern und höheren Ausgaben kämpft, haben renommierte Gegenden wie die Toskana für wohlhabende Prominente nichts an Attraktivität eingebüßt. So kaufte Gerard Depardieu zu Jahresbeginn – mitten im Medienrummel um seine Staatsbürgerschaftsaffäre – ein Landhaus mit weitläufigem Olivenhain in der Nähe von Siena. Vermittelt wurde das Anwesen übrigens von der gleichen Immobilienagentur, die bereits für Angelina Jolie und Brad Pitt eine Villa im venezianischen Valpolicella-Gebiet und für George Clooney sein Anwesen am Comer See fand.
Unternehmen
Doch nicht nur Privatleute nutzen die Chance auf zusätzliche Einkünfte. Die Wirtschaftskrise brachte ein neues Phänomen zutage: Immer mehr Unternehmen bieten freie Büroräume zur Miete an. In Krisenzeiten versuchen sie Synergieeffekte zu nützen und teilen sich mit anderen Firmen einen gemeinsamen Portier oder eine Putzkraft. In der Mehrheit der Firmen ist der untervermietete Arbeitsplatz durch Kündigungen eigener Mitarbeiter frei geworden. Das Statistikinstitut Istat bestätigt eine neue Rekordquote von 37 Prozent bei Jugendarbeitslosigkeit. Die Dunkelziffer ist noch höher – besonders bei Frauen und jungen Leuten im Süden des Landes.
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