Ansturm auf billige Ablauf-Ware und altes Brot

Silvio Berlusconi hält ein Brot in einem italienischen Lebensmittelgeschäft.
Das durchschnittliche Einkommen der Italiener ist auf demselben Niveau wie vor 27 Jahren.

Die Alleinerziehende Lorena lebt in einer Wohngemeinschaft an der Via Tuscolana, an der östlichen Peripherie von Rom. Die Rechnungen von Miete, Strom und Versicherung stapeln sich auf dem Küchentisch. Gemeinsam mit zwei Frauen und insgesamt vier Kindern teilt sich Lorena die Vier-Zimmer-Wohnung. Wie ihre Mitbewohnerinnen arbeitet die 52-Jährige in einem Call-Center. In guten Monaten verdient sie bei vollem Einsatz 800 Euro. Das Gehalt ist leistungsbezogen, pro erfolgreichem Anruf erhält sie 80 Cent. Um den Job überhaupt zu bekommen, musste sie ihren Universitätsabschluss in Geisteswissenschaften verheimlichen.

Mit dem prekären Job und der hohen Miete kann sich die Mutter einer 17-jährigen Tochter keine Wohnung alleine leisten. „Wir teilen uns ein Auto, haben einen Gemeinschaftsfernseher und nur einen Computer. Wir teilen alles, auch die Einkäufe“, erzählt Lorena. Um ihre Resignation zu überspielen, spricht sie scherzhaft von einer „70er-Jahre Kommune“. Doch die Realität ist bitter: „Früher engagierte ich mich politisch, heute gehe ich nicht einmal mehr wählen.“

So sieht das auch Stefano: „Der ganze Wahlkampfzirkus interessiert mich nicht. Während rechte wie linke Politiker streiten, verlieren meine Freunde ihre Arbeit.“ Für den Architekten aus Rom müsste es im Wahlkampf nur ein Thema geben: die Schaffung von Arbeitsplätzen.

Die Bevölkerung möchte von der Politik konkrete Projekte, die dem Land Beschäftigung zurückgeben sollen. Ohne materielle Freiheit gäbe es weder politische Freiheit noch Demokratie – resümiert die Tageszeitung La Repubblica angesichts der steigenden Armut.

Das durchschnittliche Einkommen der Italiener ist auf das Niveau von vor 27 Jahren gefallen. 8,2 Millionen Personen – 14 Prozent der Bevölkerung – sind laut Statistikamt armutsgefährdet. Sie müssen mit weniger als 980 Euro im Monat auskommen. 3,4 Millionen Italiener leben unter der Armutsgrenze.

980 Monat im Monat

Besonders dramatisch ist die Situation im Süden. Die Zahl der Familien die mit weniger als 980 Euro monatlich leben, ist in Sizilien fünf Mal so hoch wie in Norditalien. Besonders betroffen sind Pensionisten und Junge.

Die Misere, die den Alltag bestimmt, erlebt eine 40-jährige Kassierin im Billigsupermarkt Todis in Rom täglich. Fast alle ihrer Kolleginnen wurden entlassen. Jetzt werden nur noch junge Leute mit kurzen Ausbildungsverträgen eingestellt. „Dabei verdienst du einen Hungerlohn, und nach drei Monaten schicken sie dich nach Hause“, erzählt sie. Ihren Namen möchte die Frau aus Angst vor Problemen nicht verraten.

Last-Minute-Angebote

Der Discounter ist wegen seiner Last-Minute-Angebote beliebt. Käse, Milch, Fleisch und andere Produkte, die am nächsten Tag ablaufen, kosten um 80 Prozent weniger. Der Ansturm auf die reduzierte Ware ist jeden Abend groß.

„Den meisten sieht man ihre schwierige finanzielle Lage nicht an. Sie sind alle gut gekleidet. Doch alle kaufen nur noch das Notwendigste, haben gerade zehn Euro in der Geldbörse und zahlen im Vergleich zu früher häufiger mit Münzen als mit Banknoten“, beobachtet sie.

Schauplatzwechsel in die Region Abruzzen. Vor der Bäckerei „Profumo Di Pane“ in Sulmona bildet sich eine Schlange. Es ist nicht der Duft von frischem Brot, der Kunden lockt, sondern der günstige Preis: Luigi Di Ianni verkauft Brot vom Vortag zum halben Preis, nachdem er krisenbedingt starke Verkaufsrückgänge verzeichnete. Diese Maßnahme gleicht in einem Land, in dem kulinarische Tradition hochgehalten wird und drei Mal täglich frisch gebacken wird, einer Revolution.

„Ich hänge das nicht an die große Glocke, aber die Nachfrage nach dem alten Brot ist groß. Viele rechtfertigen sich und sagen, sie brauchen es für Semmelbrösel“, erzählt der 64-jährige Bäckermeister.

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