Von Lehm bis Schafwolle: Die vielen Vorteile der natürlichen Baustoffe

Holz hat sich als nachhaltiger Baustoff auf dem Markt längst etabliert. Aber es gibt in der Natur noch viel mehr Materialien, die man zum Bauen nutzen kann wie etwa Lehm, Stroh, Schafwolle, Hanf oder Jute. Sie kamen bereits vor Jahrhunderten zum Einsatz, gerieten aber zunehmend in Vergessenheit. Mittlerweile hat sich das Blatt gewendet. Projektentwickler, Bauunternehmen, Architekten, aber auch Bauherren wollen CO2- und Treibhausgas-Emissionen reduzieren. Biologische Baustoffe gewinnen daher an Bedeutung. Was sie können und wie sie noch besser eingesetzt werden können, hat sich der KURIER im „Reallabor – Nachhaltiges Bauen“ in Wien-Liesing angesehen.

Die linke Wand hat Schafwolle als Dämmung, ist mit sortenreiner Strohplatte beplankt und mit Kalk verspachtelt und verputzt.
In Liesing wird geforscht
Auf dem Areal einer ehemaligen Fassfabrik in der Lastenstraße findet sich seit Jänner 2025 ein Ort der Forschung für kreislaufgerechtes Bauen. Im Reallabor der Strabag werden unter der Leitung von Bauingenieurin Winona Reddig Baustoffe und Prozesse getestet. „Die Bauindustrie verursacht knapp 40 Prozent der weltweiten Treibhausgas-Emissionen. Die Baustoffe haben daran einen Anteil von knapp 15 Prozent“, erklärt Reddig. „Die Strabag hat sich als Ziel gesetzt, ab 2040 nur mehr Baustoffe zum Einsatz kommen zu lassen, die klimaneutral sind. Das umfasst die Eigenproduktion und die Materialien, die wir von Lieferanten und Subunternehmen beziehen. Das Reallabor – Nachhaltiges Bauen ist ein wichtiger Schritt für die Zielerreichung.“

Winona Reddig, Projektleiterin „Reallabor – Nachhaltiges Bauen“.
Innenwände im Praxistest
Das Reallabor ist ein 1.200 m2 großer Forschungsraum für alternative Baustoffe, der gleichzeitig als Werkstatt für Künstler des Strabag Art genutzt wird. Ihre Atelierwände sind nicht nur Raumtrenner, sondern in erster Linie dienen sie als Forschungsobjekte, um künftig Trockenwände aus Gipskartonplatten zu ersetzen.
Fünf Versuchswände wurden als Holzständerkonstruktionen aufgebaut und mit natürlichen Materialien gedämmt, beplankt, verspachtelt und verputzt. Zum Einsatz kamen Schafwolle, Stroh, Hanf, Lehm und Jute. Das Team hat sich angesehen, welche Kombinationen machbar sind und welche Emissionen eingespart werden können. Ziel ist es, die Einbauvarianten der Baustoffe über einen Zeitraum von zwei Jahren zu erforschen, um ihre Leistungsfähigkeit und Einbindung in bestehende Bauprozesse zu bewerten.

SCHAFWOLLE: Heimische Schafwolle dämmt die Zwischenwände des Wohnturms Taborama im Nordbahnviertel im zweiten Bezirk.
Hohes Einsparpotenzial
Projektleiterin Winona Reddig präsentiert das erste Ergebnis: Diese fünf unterschiedliche Wand-Aufbauten wurden mit Vergleichswänden aus Metalleinfachständern, Gipskarton und herkömmlicher Dämmwolle gegengerechnet. Jede Wand misst 25 Quadratmeter. Die Wand mit dem größten Einsparpotenzial ist folgendermaßen aufgebaut: Holzriegelkonstruktion, Strohdämmung, OSB Platte (Holz), Naporo Hanfputzträgerplatte, Claytec Lehmputz. Das Einsparpotenzial dieser einen Wand liegt bei 1.418 Kilo CO2. Das entspricht 1,5 Fahrten von Hamburg nach Nigeria mit einem Mittelklassewagen. „Die Akzeptanz für diese Materialien muss wachsen“, sagt Reddig. „Wir wollen daher Workshops anbieten, wo gelernt wird, mit Naturbaustoffen zu arbeiten. Diese richten sich auch an Studierende und HTL-Schüler.“

LEHM: Der Innenausbau des Schulneubaus der Waldorfschule Mauer in Wien-Liesing erfolgte mit Lehmbauplatten und verputzten Lehmoberflächen. Das Ziel der Architekten Dietrich Untertrifaller und Andreas Breuss war es, weitgehend chemiefreie Innenräume zu schaffen. Für die Lehmoberflächen wurde das Aushubmaterial vor Ort verwendet.
Vorteile der Naturbaustoffe
Viele Naturbaustoffe sind regional verfügbar, wachsen also quasi vor der Haustüre. So ist Stroh etwa ein jährlich nachwachsendes Nebenprodukt des Getreideanbaus. Lehm kann im Idealfall direkt aus der Baugrube gewonnen werden. Auch der Hanf wächst auf heimischen Feldern.

STROH: Das vivihouse ist ein innovatives Bausystem zur Errichtung mehrgeschoßiger Gebäude für gemischte Nutzungen. Es basiert auf einer modularen Holzskelettbauweise, die speziell für den Einsatz ökologischer Rohstoffe optimiert ist: Strohballen als Dämmstoff, Holzrahmen oder Kalk- und Lehmputze. Der Prototyp steht in Wien-Floridsdorf.
Durch den Einsatz von natürlichen Materialien wird nicht nur der CO2-Fußabdruck optimiert, sondern auch ein gesundes Wohnklima geschaffen. Schafwolle hat beste Dämmwerte, reinigt die Raumluft, reguliert Feuchtigkeit und reduziert Schall. Auch Lehm hat ein sehr gutes Feuchteverhalten, unterstützt die Regulierung des Raumklimas, wirkt schall- und brandhemmend und absorbiert Gerüche. Stroh speichert Wärme und bewirkt so einen guten Wärmeschutz im Sommer. Dieselbe Eigenschaft wird auch dem Hanf zugesprochen.
Durchschnittlich verbringen wir 90 Prozent unseres Tages in geschlossenen Räumen. Dies sollte Anreiz genug sein, Räume so gesund und natürlich wie möglich zu gestalten.
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