Schuhhändler Wunderl: "Wir greifen uns aufs Hirn, wenn wir das sehen"

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Franz Wunderl V. hat mit seiner Frau Andrea zwar das "Urgeschäft“ in Sollenau geschlossen, setzt aber seit März in Wien-Wieden auf schöne, hochwertige Schuhe, die man auch in 15 Jahren noch tragen kann.

Zu Besuch beim neuen Wunderl in der Wiener Schleifmühlgasse, wo große Labels im Gegensatz zu früher keine Rolle mehr spielen.

KURIER: Vor zwei Jahren war Schluss beim berühmten Schuh- und Taschen-Mekka Wunderl in Sollenau. Haben Sie sich damals gedacht: „Das war’s jetzt mit Schuhen?“

Franz Wunderl: Kurzfristig kommen solche Gedanken, aber es ging eher darum, einen oder zwei Schritte zurückzumachen.

Sie haben heuer in Wien einen Shop eröffnet – schon einmal gab es diesen Versuch.

Andrea: Franz Senior hat uns 1992 angeboten, in Wien ein Geschäft aufzumachen. Sozusagen die „Wunderl-Auslage“. Aber als wir ein Kind bekommen haben, sind wir wieder nach Sollenau zurückgegangen.

Franz: Sollenau ist damals quasi „explodiert“.

Andrea: Damals begann das mit den Luxuslabels, die man haben musste. Da war der Franz dann schon sehr vonnöten vor Ort.

Jetzt ist das Gegenteil der Fall: Der Schuhhandel ist in der Krise, verstärkt durch die Pandemie. Alle tragen Sneakers und alle kaufen online. Wie geht es Ihnen damit?

Franz: Sehr gut. Wir merken, dass auch die Jungen an wertvollen Produkten interessiert sind. Die sind mit Online-Bestellungen aufgewachsen, aber da fehlt das sinnliche Erfassen beim Kauf. Und es kehren auch Leute unseres Alters ins Geschäft zurück, weil Online einfach keinen Spaß macht.

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Andrea: Viele wollen auch nicht mehr zurückschicken. Das ist ja vor allem bei Schuhen ein Thema, wenn man nicht gerade Laufschuhe einer Marke kauft, die man immer hat.

Und nun machen Sie das Geschäft – ohne Angestellte?

Franz: Ich habe eine Angestellte – die beste! (lacht)

Andrea: Wir stellen unsere Kompetenz von über 30 Jahren zur Verfügung, und es findet Anklang. Die Kunden sind teilweise erstaunt, was man über Schuhe so erzählen kann, auch was die Pflege betrifft.

Im Geschäft stehen auch ein paar schwindelerregend hohe Stöckelschuhe. Gibt’s außer ORF-Wetterlady Christa Kummer noch Interessentinnen dafür?

Franz: Heutzutage ist es primär Deko, wir kaufen sie ein, weil sie wirklich toll ausschauen mit 10 Zentimeter Absatz.

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Andrea: Der Trend ist ganz sicher zu niedrigeren Absätzen gegangen.

Was ist sonst der Trend?

Franz: Schlapfen und Sneaker. (lacht) Aber insgesamt geht er zu Produkten, die eine Wertbeständigkeit haben. Die Wegwerfproduktion von Kleidungsstücken braucht man ja wirklich nicht zu unterstützen. Für uns ist klar, dass ein Schuh, der gut gebaut ist, auch reparierbar sein muss. Und er soll auch in Europa erzeugt sein.

Andrea: Wertvolle Schuhe kann man auch nach 15 Jahren noch tragen. Schlimm finde ich, wenn jemand zu einem schönen Anzug grausliche Schuhe trägt.

Welche Labels haben Sie?

Franz: Labels sind relativ irrelevant geworden für uns.

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Andrea: Marken wie Gucci, Prada, Valentino oder Chloe verlangen Budgets, die man erfüllen muss, die immer höher werden. Das hat die Schuhe verteuert, und die Kunden wollten es plötzlich nur noch im Sale kaufen, was wiederum für uns schwierig ist. Bei dem neuen Projekt wollen wir keinen Druck und keine Mengen-Vorgaben mehr. Aber es muss schick sein.

Wie gehen Sie mit der Schnäppchenmentalität um?

Franz: Am ersten Tag unseres Ausverkaufs in Sollenau war der Parkplatz immer voll von Autos der teuersten Marken – also von Leuten, von denen man erwarten würde, dass sie während der Saison kommen. Jetzt kaufen wir nur Dinge ein, bei denen wir sicher sind, sie länger im Geschäft haben zu können. Bei sehr saisonalen Produkten machen wir klarerweise schon einen Sale.

Haben Sie Männerschuhe?

Andrea: Ja, aber bei den Männern liegt noch viel Potenzial. Wer zu uns kommt, ist wissbegierig. Unsere Beratung erspart Fehlkäufe.

Der Vater war ein legendärer Patriarch, die Großmutter hat im Geschäftshaus gewohnt und für drei Generationen gekocht. Hätte es ihm das Herz gebrochen, wenn er das Zusperren des Geschäfts in Sollenau miterlebt hätte?

Franz: Nein, mein 2020 verstorbener Vater hätte spätestens beim zweiten Lockdown gesagt: Wisst’s was, ich sperre entweder gar nicht zu oder lasse das Ganze.

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Andrea: Das Herz gebrochen hätte es ihm, wenn wir das in diesem Rahmen nicht mehr ausgehalten hätten.

Und es gibt jetzt natürlich wirklich eine fette Krise der Schuhindustrie.

Franz: Ja. 80 Prozent des Marktes werden mittlerweile von Billiganbietern dominiert, die in Fernost produzieren und die Schuhe um die ganze Welt schicken. Die restlichen 20 Prozent des Marktes sind heiß umkämpft. Das Schwierigste für Produzenten ist es, Fachkräfte zu finden. In Italien haben die Luxusfirmen die Arbeiter, die noch wissen, wie man das macht, aufgesogen. Doch jetzt sind auch diese Firmen selbst in der Krise.

Welche Kunden leisten sich einen Schuh um 400 Euro?

Franz: Die Leute, die jetzt kommen, um sich um 600 Euro einen handgemachten, durchgenähten Loafer – einer unserer Bestseller heuer – entscheiden, sind nicht unbedingt die Bestverdiener.

Andrea: Natürlich befinden wir uns in einer gehobeneren Preiskategorie. Aber wir greifen uns aufs Hirn, wenn wir sehen, was Labels kosten, die wir früher verkauft haben. Franz: Da werden Marken primär über den Preis, nicht über die Wertigkeit definiert.

Verdienen Sie selbst gut oder muss man Idealist sein?

Franz: Also, meine Angestellte verdient relativ gut.

Andrea: Haha! Die Kaufleute jammern ja immer gerne. Reich wird man wirklich nicht, aber man kann davon leben.

Was ist im vierten Bezirk besser als im ersten?

Andrea: Wir waren ja schon einmal in der City vor 30 Jahren. Da war der erste Bezirk „the place to be“. Aber wir finden die Entwicklung dort nicht so gut: zu viele Souvenirshops.

Franz: Zu wenig Authentizität.

Andrea: Und die Mieten sind viel zu hoch.

Zum ausführlichen Gespräch mit Franz und Andrea Wunderl

Welche Schuhe tragen Sie selbst?

Andrea: Heute 15 Jahre alt Prada-Schuhe.

Franz: Turnschuhe von der Firma Valsport aus dem Veneto. Dort habe ich einst sogar in der Fabrik gearbeitet. Und von dort aus habe ich Andrea den ersten Liebesbrief geschrieben.

Gibt es auch einen Franz Wunder VI.?

Andrea: Unser Sohn hat drei Vornamen, einer davon ist auch Franz. Er ist ein großer Schuhliebhaber, aber kein Schuhhändler.

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