Folgen von Gas-Lieferstopp durch EU-Solidarität wären beherrschbar

Gasförderanlage in Russland
Wäre Österreich aber auf sich alleine gestellt, wäre der Schaden wesentlich größer, so eine Studie.

Österreich könnte auch einen Totalausfall russischer Gaslieferungen vergleichsweise glimpflich überstehen, sagen die Forscher des Complexity Science Hub Vienna - Voraussetzung dafür ist aber eine EU-weite Zusammenarbeit, um das russische Gas zu ersetzen. Ohne Kooperation mit den anderen EU-Ländern wäre der Schaden für Österreichs Wirtschaft um ein Vielfaches größer.

Erdgasimporte machen etwa 38 Prozent des Gasverbrauchs der EU aus und rund 80 Prozent des Verbrauchs in Österreich. Egal, ob die russischen Gaslieferungen durch ein von der EU verhängtes Importembargo, ein russisches Exportembargo oder aufgrund einer Störung der Pipelines ausbleiben sollten - es würde für Österreich den Wegfall von knapp 7,5 Mrd. Kubikmeter Erdgas pro Jahr bedeuten. 2021 verbrauchte Österreich laut CSH 9,34 Mrd. Kubikmeter Erdgas.

Zwei Szenarien

Die Forscher haben für ihre Analyse angenommen, dass die russischen Gaslieferungen ab 1. Juni 2022 ausfallen. Verglichen wurden zwei Szenarien: In Szenario A schafft es die EU, koordiniert zu handeln und das Gas, das die EU zusätzlich beschaffen kann, solidarisch aufzuteilen. In Szenario B würde Österreich alleine versuchen, zusätzliches Gas zu kaufen.

Im Falle eines koordinierten Vorgehens könnte es der EU gelingen, zusätzliche Importmengen von 55 Mrd. Kubikmetern zu beschaffen, bestehend aus zusätzlichen 10 Mrd. Kubikmetern über bestehende Pipelines aus Norwegen, Aserbaidschan und Algerien und 45 Mrd. Kubikmetern an Flüssigerdgas, etwa aus den USA oder den Golfstaaten, so die Annahme in Szenario A. Dabei habe man angenommen, dass die EU um ein Zehntel weniger LNG-Importe realisieren könnte als derzeit von der EU geplant, erklärte CSH-Leiter Stefan Thurner am Dienstag bei der Präsentation der Studie.

Gasspeicher

Wenn sich weniger abhängige Länder solidarisch mit Ländern verhalten, die von russischem Gas stark abhängig sind - zu letzteren gehört auch Österreich -, "würden wir überproportional profitieren", sagte Thurner. Bei der Nutzung der Gasspeicher müsste Österreich allerdings Kapazitäten abgeben, würde also nicht profitieren, weil es über überproportional große Gasspeicher-Kapazitäten verfüge.

Jedenfalls hätte Österreich auf sich alleine gestellt einen Netto-Lieferengpass von 3,4 Mrd. Kubikmetern Gas, das wären 36,6 Prozent des derzeitigen Gesamtverbrauchs. Mit Unterstützung anderer EU-Länder wäre dieser Engpass mit 17,4 Prozent nur etwa halb so groß.

Raumtemperatur senken

In beiden Szenarien könnte man durch den Ersatz von Gas durch Öl zur Stromerzeugung in Kraftwerken knapp eine Milliarde Kubikmeter Gas einsparen. Auch beim Heizen ließe sich im Winter durch eine Senkung der Raumtemperatur der Gasverbrauch um 0,11 Mrd Kubikmeter reduzieren.

Insgesamt würde das im günstigeren Szenario A (EU-Kooperation) eine Reduktion des verfügbaren Erdgases um 5,2 Prozent bedeuten, wobei die Industrie überproportional verlieren würde, nämlich gut ein Zehntel ihrer bisherigen Gasversorgung. Das hätte einen Produktionsrückgang um 1,9 Prozent zur Folge oder 1,11 Mrd. Euro pro Monat. "Damit sind diese Verluste signifikant kleiner als die wirtschaftlichen Auswirkungen der ersten Welle der Covid-19-Pandemie, als sich die Verluste im BIP im zweiten Quartal des Jahres 2020 auf 14 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum beliefen", so die Forscher.

Rückgänge

Im Szenario B, in dem jedes Land für sich alleine agiert, wären die Auswirkungen aber viel gravierender und würden zu einem Rückgang der österreichischen Bruttoproduktion um 9,1 Prozent führen. "Das entspricht einem Verlust von etwa 5,3 Mrd. Euro an Bruttoproduktion im Monat", so Thurner.

Deshalb müsste man schon jetzt damit beginnen, die Gasversorgungspolitik auf EU-Ebene zu koordinieren, sagte Anton Pichler, der die Szenarien gemeinsam mit Stefan Thurner, Jan Hurt, Tobias Reisch und Johannes Stangl erstellt hat. Schon über den Sommer sollte man die Umstellung von Kraftwerken auf andere Brennstoffe vorbereiten und auch Anreize für die Umstellung auf weniger gasintensive Produktion setzen.

"Angesichts der immensen Schäden des Krieges könnte ein EU-weites Importembargo gegen russisches Gas eine wirtschaftlich vertretbare Strategie darstellen", meinen die CSH-Forscher.

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