EU-Lieferkettengesetz: Kaffeehändler zieht sich aus Äthiopien zurück

EU-Lieferkettengesetz: Kaffeehändler zieht sich aus Äthiopien zurück
Geforderte Rückverfolgbarkeit der Lieferkette nicht gegeben. Kleinere Kaffeebauern fürchten um Existenz. AK-Studie ortet "Win-Win-Situation"

Die EU will Umweltschutz und Menschenrechte entlang globaler Lieferketten stärken und diesbezüglich große, internationale Unternehmen stärker in die Pflicht nehmen. Sie müssen im Rahmen des EU-Lieferkettengesetzes künftig Umweltauflagen entlang der Lieferkette für alle Produkte und Dienstleistungen überprüfen und dokumentieren. Das Gesetz befindet sich derzeit in den Trilog-Verhandlungen zwischen Kommission, Parlament und EU-Rat und soll noch vor der EU-Wahl Anfang Juni beschlossen werden.

Bevor die letzten Details fixiert sind, werden bereits mögliche Auswirkungen publik. So gab der deutsche Kaffeehändler Dallmayr bekannt, sich aus Äthiopien zurückziehen zu wollen. "Die EU verordnet eine digitale Rückverfolgbarkeit, die Äthiopien nicht leisten kann", sagt Johannes Dengler, Mitglied der Dallmayr-Geschäftsleitung zum Schweizer Tagesanzeiger. Dallmayr ist einer der größten Bezieher von Rohkaffee aus dem afrikanischen Land.

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Rückzug aus Äthiopien

Die äthiopischen Bauern fürchten, dass Dallmayr kein Einzelfall bleiben wird und sie ihren Kaffee künftig nur noch nach China liefern werden können, wo keine Auflagen in punkto Umweltschutz gemacht werden. Eine Sorge, die kürzlich auch die Hilfsorganisation "Menschen für Menschen" postulierte. „Das Lieferkettengesetz wird dazu führen, dass sich europäische Röster aus Äthiopien zurückziehen“, sagte Sebastian Brandis von "Menschen für Menschen" zur FAZ. Den Preis würden die sechs bis sieben Millionen Menschen zahlen, die dort vom Kaffee leben und denen die Organisation ein besseres Einkommen verschaffen will. 

Industrieverbände, Textilhersteller und Baukonzerne warnen schon länger vor dem Rückzug aus Entwicklungsländer, vor allem in Afrika und einer Verschiebung der Lieferkette, sollten die strengen Auflagen bleiben. Der hohe bürokratische Aufwand dürfte weiters die Endkundenpreise in die Höhe treiben. 

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AK-Studie ortet "Win-Win-Situation"

Deutlich positive Auswirkungen durch die neue Regelung sieht eine Studie der Fachhochschule des BFI Wien, FIAN Österreich und der Fundación Sol, Santiago de Chile im Auftrag der Arbeiterkammer. Es sei eine "Win-Win-Situation", so Studienautor Johannes Jäger. Weniger Ausbeutung von Menschen und Umweltzerstörung insgesamt minimiere die negativen ökonomischen Effekte  und so die gesamte Wirtschaft, auch jene in Europa profitiere.

Es werde ein sogenanntes Level playing field geschaffen, also gleiche Regeln für alle. Das Gesetz soll schließlich nicht nur für europäische Firmen gelten sondern für alle Unternehmen, die mit dem europäischen Markt in Interaktion stehen. So erfolge auch ein Ausgleich zwischen schon jetzt vorbildlich agierenden Unternehmen und vielen schwarzen Schafen.  "Das Gesetz wird dazu führen, dass in vielen Ländern und Betrieben außerhalb der EU und speziell im Globalen Süden die Menschenrechte vermehrt eingehalten werden", glaubt Jäger. "Auf europäischer Ebene wird man davon profitieren, dass Sozialdumping woanders schwieriger wird."

Die EU-Kommission will Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeiter/innen und 150 Millionen Jahresumsatz in die Pflicht nehmen. In Branchen mit starken Auswirkungen auf Menschenrechte und Umwelt im globalen Süden, wie der Textilindustrie, der Landwirtschaft und dem Bergbau sollen die Regeln bereits für Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeiter/innen und 40 Millionen Euro Jahresumsatz gelten. Die Regeln gelten auch für Unternehmen außerhalb der EU, sofern sie ihre Waren in die EU liefern.

Der EU-Ministerrat unterstützt den Vorschlag der Kommission in Bezug auf die Schwellenwerte der Unternehmen. Allerdings will der Rat einige Abschwächungen. So soll das EU-Lieferkettengesetz für den Finanzsektor nicht zwingend gelten. Außerdem will der Rat weniger umfangreiche Pflichten, indem beispielsweise die Wertschöpfungskette weniger umfassend definiert werden soll.

Das EU-Parlament will, dass die niedrigeren Schwellenwerte (250 Mitarbeiter/innen und 40 Millionen Jahresumsatz) generell gelten, um möglichst viele Unternehmen in das EU-Lieferkettengesetz miteinzubeziehen. Die höheren Schwellenwerte sollen nur für Unternehmen gelten, die nicht in der EU ansässig sind. Das EU-Parlament will Unternehmen darüber hinaus auch beim Klimaschutz zur Sorgfalt verpflichten und fordert Verbesserungen für Betroffene, die Zivilklagen einbringen.

Lieferbeziehungen werden sich verändern

Insgesamt könne die Produktivität steigen. Die administrativen Kosten für Unternehmen hingegen seien minimal.Die EU-Kommission beziffert die Kosten für die Einhaltung der Sorgfaltspflicht mit 0,009% des Umsatzes für große Unternehmen. Es könnten sich zwar einzelne Lieferbeziehungen verändern, aber einen großen Rückzug aus bestimmten Ländern erwartet Jäger nicht. Manche Rohstoffe seien alternativlos."Ich gehe nicht davon aus, dass es keinen Kakao mehr aus Afrika geben wird".  Ein Rückzug sei auch eine Chance für jene Länder, die Umwelt- und Arbeitsstandards einhalten würden und etwa gegen Kinderarbeit vorgehen.

Österreich soll sich konstruktiv einbringen

Die Arbeiterkammer, die die Position des EU-Parlaments unterstützt, forderte am Dienstag einmal mehr die Bundesregierung und speziell den zuständige Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) dazu auf, sich konstruktiv auf EU-Ebene einzubringen.  Zuletzt habe er sich bei der Abstimmung enthalten.

Die Wirtschaftskammer warnte vor einem "Abwälzen von staatlichen Hoheitsaufgaben auf die Unternehmen". Das dürfe "nicht zum Bumerang für den Wirtschaftsstandort Europa werden". Es brauche eine "praxistaugliche Lösung mit Augenmaß". "Aktuell lässt die Ausgestaltung noch zu viele Fragen offen", so WKÖ-Rechtsexpertin Rosemarie Schön.

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